„Was?"
Das Mädchen vor mir verdreht die Augen.
„Du sollst ins Studio vier.", wiederholt sie genervt im gebrochenen Englisch, da ich ihren gebellten Befehl auf Koreanisch nicht verstanden habe.
„Wieso? Das Training fängt doch offiziell erst morgen an."
Hee-Jin schnaubt und lässt sich auf ihr Bett fallen. Leider habe ich bei der Auswahl der Zimmergenossin Pech gehabt. Hee-Jin ist ein ziemlich mieses Biest und hat überhaupt keine Lust mit der komischen Ausländerin – also mir – Freundschaft zu schließen.
„Was weiß denn ich? Bin ich deine Sekretärin?"
Okay, ganz ruhig...
Ich stehe von meinem kleinen Schreibtisch auf und gehe ohne ein Wort aus dem Raum.
Irgendwann mal nehme ich ein Kissen und presse es ihr ins Gesicht, während sie schläft.
***
„Ah, Susy! Da bist du ja. Komm rein."
Kim Seung-Hyun, unser Trainee-Betreuer steht von der Couch auf, die in der Ecke des Tanzraumes steht und kommt auf mich zu.
Unsicher verbeuge ich mich kurz, wie ich es in meinen ersten Wochen hier gelernt habe.
„Komm, ich möchte dich mit jemanden bekannt machen."
Er schiebt mich zur Sitzecke, auf der mehrere Personen sitzen, die jetzt ebenfalls aufstehen und mich freundlich grüßen.
Als ich sie erkenne, werden meine Knie weich.
„Die Jungs wirst du ja sicherlich kennen. Sie haben bei uns eine große Karriere hingelegt und gehören momentan zu unserer Major League."
Ich brauche Mister Kims Erklärungen nicht, um zu wissen wer Stray Kids sind.
Ja, auch bei mir auf dem Dorf lebe ich nicht hinterm Mond. Das Phänomen K-Pop ist auch an mir nicht vorbei gegangen. Mit BTS kann ich zwar nie viel anfangen, aber mit Stray Kids dafür umso mehr.
Ich bin eine Stay. Ich verfolge ihren Werdegang und kenne viele ihrer Songs. Sie sind auch ein bisschen der Grund dafür, warum ich sofort zugesagt habe, als Rosa mir sagte, dass ich die einmalige Gelegenheit habe, bei JYP-Entertainment eine Karriere zu starten.
Ich habe immer gehofft ihnen mal eines Tages über den Weg zu laufen, aber das war bisher nie passiert.
Aber jetzt stehe ich hier und bekomme schweißnasse Hände vor Aufregung.
„Hallo, es freut mich sehr.", sage ich in meinem gebrochenen Koreanisch. So gut ich es eben hinbekomme.
„Ah, sehr schön! Wie ich sehe, gibst du dir Mühe."
Mister Kim deutet mir an, mich zu setzen.
„Bei uns ist es üblich, dass wir einige ausgewählte Trainees unseren erfahrenen Künstlern anvertrauen. Es ist ein Programm, aus dem unsere Neuankömmlinge, sowie unsere Seniors einen Mehrnutzen davon tragen."
Was kommt denn jetzt?
„Wir wissen, dass es nicht leicht ist, neben dem intensiven Training noch zusätzlich Koreanisch zu lernen. Aus diesem Grund haben wir uns gedacht, dass Stray Kids am besten zu dir passen. Felix und Bangchan mussten sich genauso wie du, durch den Koreanisch-Unterricht kämpfen."
Er lacht und klopft Bangchan, dem Leader der Gruppe freundlich auf die Schulter.
„Das Programm heißt ‚Stars for Stars' und soll eine kleine Unterstützung für dich sein. Die Jungs werden dich bei deinem Training und deinem Sprachunterricht unterstützen. Im Gegenzug wirst du ihnen zur Hand gehen bei diversen kleinen Aufgaben, um ihnen den Arbeitsalltag etwas zu erleichtern."
Soll das heißen, ich werde ab sofort mit meinen Idolen Zeit verbringen, wenn sie hier in der Firma sind?
Anscheinend. Denn Kim Seung-Hyun verabschiedet sich und lässt mich mit den Jungs allein.
„Gut, dann lass ich euch mal einander besser kennenlernen. Ich bin mir sicher, ihr werdet euch gut verstehen."
Mit diesen Worten schließt er die Tür hinter sich und ich fühle mich, als wäre ich eingeschlafen und ohne Ansage in einen wilden Traum katapultiert worden.
***
„Hey, dein Name ist also Susy, richtig?"
Bangchan lächelt mich an und ich bin vollkommen verzaubert von diesem Strahlen. Es ist nicht das Lächeln allein. Es ist seine komplette Aura, die Wärme und Wohlbehagen ausstrahlt.
„Ja, ich heiße Susy Tommaselli."
„Das ist ja ein interessanter Name. Klingt Italienisch.", erwidert diesmal Felix."
Er sieht aus der Nähe sogar noch makelloser aus, als auf dem Bildschirm. Seine Sommersprossen kommen noch mehr zur Geltung, wenn er ungeschminkt ist.
„Ja, ich komme aus Süditalien."
„Wie hat es dich dann hierher verschlagen?"
„Das war mehr Zufall, als Absicht. Meine Agentur hat mich vermittelt. Sie hat ein Video und ein Tape eingereicht. Und ich wurde angenommen."
„Dann musst du echt was draufhaben. Es ist ziemlich schwer für die JYP angenommen zu werden."
Der letzte Satz stammt von Han, der gerade eine Tüte Erdnüsse verputzt. Er bietet mir stumm welche an, doch ich schüttele lächelnd den Kopf.
Wenn ich jetzt noch was esse, kotze ich ihnen vor die Füße. Also vermeide ich das lieber.
„Willst du uns mal zeigen, was du so draufhast? Kannst du gut tanzen?"
Oh je, was passiert hier gerade?
Han, der mit Vornamen Jisung heißt, greift meine Hand und zieht mich in die Mitte des Tanzraums.
Ich habe das Gefühl, als würde gerade ein Zug mit zweihundert Sachen direkt auf mich zurasen. Die Panik zu unterdrücken, ist fast unmöglich.
Doch in letzter Sekunde erinnere ich mich daran, wie ich üblicherweise mein Lampenfieber in den Griff bekomme und fange an, im Kopf rückwärts zu zählen.
Ja, ich weiß. Klingt albern, aber das hilft mir tatsächlich. Das mache ich schon seit meinem ersten Bühnenauftritt und es hat sich bis heute bewährt.
Zehn, neun, acht...
Ich atme ein.
...sieben, sechs, Fünf...
Dann halte ich die Luft kurz an.
...Vier, drei, zwei, eins...
Ich atme wieder aus und mein Herz schlägt wieder normal. Zumindest so normal, dass ich nicht mehr drohe in Ohnmacht zu fallen.
Ich weiß, dass ich mich daran gewöhnen muss, mich mit Berühmtheiten abzugeben, wenn ich selbst eine werden möchte. Ich darf ihnen nicht zeigen, dass ich Angst habe. Ich darf ihnen nicht zeigen, dass ich mich nicht dazugehörig fühle.
Rosa sagt immer: Idole sind wie Herdentiere. Sobald sie merken, dass du nicht zu ihrer Gruppe gehörst, schließen sie dich aus und lassen dich verhungern.
„Habt ihr schon etwas einstudiert? Zeig mal."
Han holt mich wieder aus meinen Gedanken. Er steht neben mir und wartet darauf, dass ich irgendwas zum Besten gebe.
Zu meinem Glück fällt es mir leicht einige Tanzfiguren aus dem Ärmel zu schütteln. Schließlich bin ich keine Anfängerin.
Auch wenn ich ein Landei bin, weiß ich durchaus wie man sich zu Musik bewegt.
„Zurzeit trainieren wir die Choreographie von ‚Born to be', von ITZY."
„Wow, ganz schön anspruchsvoll für den Einstieg. Warte, ich glaube ich erinnere mich an ein bisschen was davon!"
Changbin springt von der Couch auf und gesellt sich zu mir. Jetzt stehen wir schon zu dritt nebeneinander und warten auf die Musik.
Hyunjin drückt einige Tasten auf der Musikanlage und die ersten Töne von ‚Born to be' ertönen.
Die Musik hilft mir enorm. Es ist, als ob man einen Schalter umlegt. Mein Körper wechselt sofort in den Tanzmodus, sobald die Bässe mein Ohr treffen und in meinem Brustkorb widerhallen.
Kurz darauf ist all mein Lampenfieber wie weggeblasen und ich widme mich vollkommen der Musik und meinen einstudierten Bewegungen. Ich fühle den Beat und den Rhythmus.
Mittlerweile haben sich alle acht Jungs in den Tanz mit eingeklinkt. Manche von ihnen mehr schlecht als recht. Aber alle amüsieren sich dabei und haben Spaß.
Am Ende sitzen wir alle schwer atmend auf den Boden und lachen ausgelassen.
„Das hat echt Spaß gemacht...", rufe ich in die Runde. Und ich meine es tatsächlich auch so. Wer hätte gedacht, dass ein bisschen albernes Tanztraining die Atmosphäre so auflockern würde?
„Ja! Mann, du bist echt gut!"
Han klopft mir auf den Oberarm, lässt sich aber dann gleich darauf wieder nach hinten auf den Boden fallen.
„Jetzt weiß ich, warum du aufgenommen wurdest. Deine Bewegungen sind wirklich kraftvoll und auf den Punkt."
Bei Bangchans Kompliment erröte ich und mir wird wieder bewusst, mit wem ich gerade meine Choreo geübt hatte.
Aber sie sind alle so nett und umgänglich, dass ich es für eine kurze Zeit komplett ausgeblendet habe.
Während wir uns noch von der Tanzeinlage erholen, unterhalten wir uns alle ein bisschen.
Ich bin froh, dass ich mir nicht mühsam ihre Namen merken muss, da ich sie bereits kenne. Ehrlich gesagt, tue ich mir mit koreanischen Namen sowieso unheimlich schwer. Sie wollen einfach nicht in meinen Kopf rein. Aber in diesem Fall weiß ich bereits wer von ihnen wer ist.
Bangchan ist der Leader von Stray Kids. Er ist auch der Älteste und derjenige der sich die Nächte mit Arbeit an neuen Songs um die Ohren schlägt. Er ist Australier und hat ein wundervolles Lächeln.
Felix ist ebenfalls Australier. Er hat es wohl am schwersten gehabt, denn er hatte – genauso wie ich – absolut kein Wort Koreanisch drauf, als er zu JYP-Entertainment kam. Er ist bekannt für seine Ungewöhnliche tiefe Stimme. Er kann die Tonlage von extrem hoch zu wirklich, aber auch wirklich extrem tief wechseln.
Dann gibt es da noch Changbin. Ein begnadeter Rapper, der früher bei Rap Battles teilgenommen hat, bevor er zu JYP gekommen ist.
Han ist ebenso ein Rap-Talent, dem nachgesagt wird, dass er mindestens genauso schnell rappen kann wie Eminem.
Hyunjin ist ebenfalls ein Rapper und ein Sänger. Aber vor allem ist er ein begnadeter Tänzer. Er ist einer der beliebtesten Mitglieder der Gruppe. Zumindest laut dem Ranking der letzten Jahre.
Er gilt als der bestaussehende der Gruppe. Er hat im Ranking der hundert schönsten Gesichter von Celebrities den zweiten Platz belegt und er ist ein Versace Model. Das sagt ja dann wohl alles.
Und dann gibt es noch Lee Know, Seungmin und I.N.
Ebenfalls talentierte Künstler, die nicht ohne Grund zu der zurzeit angesagtesten Band in der K-Pop Branche gehören. Neben BTS und Black pink, sind Stray Kids auch außerhalb von Korea sehr angesagt und beliebt.
Jeder von ihnen ist einzigartig und zusammen ergeben sie eine außergewöhnliche Mischung. Ihre Songs sind dafür bekannt, dass sie sehr abwechslungsreich und innovativ sind und oft einen harten Beat haben.
Trotzdem können sie auch wunderschöne Balladen singen, die ihresgleichen suchen. Sie sind sehr wandlungsfähig und experimentieren oft mit neuen Elementen, die sie bis zur Perfektion miteinander mischen.
Genau aus diesem Grund bin ich auf sie aufmerksam geworden.
Naja, und wie das dann eben so ist. Wenn man die Musik einer Gruppe gerne mag und sich dann ständig Musikvideos und Interviews ansieht, bleibt es nicht aus, dass sich irgendwann mal auch kleine Schwärmereien ergeben. In meinem Fall ist diese Schwärmerei ein bisschen ausgeartet...
Und derjenige, der von seinem Glück, oder Pech - wie man es sehen will – nichts ahnt ist...
„Hier, für dich."
Bangchan hält mir eine Wasserflasche entgegen und lächelt sein strahlendes Engelslächeln.
Moment, wie geht nochmal Atmen? Ah ja, ein und aus, und ein und aus.
Toll, war ja klar, dass ich mich am Wasser auch noch verschlucke.
„Langsam!"
Augenblicklich ist er zur Stelle und klopft mir auf den Rücken.
Ich möchte sterben. Jetzt sofort.
„Danke...", krächze ich hervor und blinzle die Tränen weg. Trinken will gelernt sein.
***
„Wie ich sehe habt ihr euch schon angefreundet. Schön, schön!"
Mister Kim betritt wieder den Raum und scheint sehr erfreut darüber zu sein, dass wir zusammensitzen und uns miteinander unterhalten.
„Wenn das also gut funktioniert, werdet ihr euch ab sofort jeden Tag sehen."
Jeden Tag? Habe ich das gerade richtig verstanden?
„Susy, du kümmerst dich um kleine Aufgaben, wie Getränke und Mittagessen für die Jungs besorgen, wenn sie ihr Training haben und im Gegenzug helfen sie dir dabei, dein Studium zu absolvieren. Du wirst mit Ihnen Choreographien üben, ihnen im Aufnahmestudio über die Schultern schauen und gewisse Tricks lernen, wie man die eigene Stimme trainiert. Bangchan hat sich zusätzlich dazu bereit erklärt, dir Koreanisch-Unterricht zu geben. Du wirst nach deinem Sprachunterricht, mit ihm Aufgaben und Übungen durchgehen."
„Ich kann dir meine alten Notizbücher überlassen und einige Lerntipps geben. Damit habe ich ziemlich schnell Fortschritte gemacht.", flüstert Bangchan mir ins Ohr.
***
Als ich wieder in mein Zimmer zurückkehre, kann ich nicht fassen was eben passiert ist. Mein Gehirn ist immer noch damit beschäftigt das Ganze zu verarbeiten.
Die Jungs waren so nett zu mir und wir haben uns für Morgen verabredet.
Meine Tage sind ziemlich strikt durchgeplant. Ich schaue auf meinen Stundenplan und jammere innerlich.
07:00 – 08:30 = Tanztraining mit Trainees
08:30 – 09:00 = Frühstückspause
09:00 – 13:00 = Koreanisch Unterricht
13:00 – 13:30 = Mittagspause
13:30 – 15:00 = Assistenz für Stray Kids Tanzstudio
15:00 – 15:30 = Kurze Snackpause
15:30 – 17:00 = Gesangsunterricht
17:00 – 19:00 = Assistenz Stray Kids Tonstudio
Das heißt für mich um sechs Uhr aufstehen, fertigmachen und dann geht mein langer Tag los.
Das kann ja heiter werden... Mein einziger Lichtblick ist, dass ich meine Idole am Nachmittag wiedersehe.
***
„Hee-Jin! Bist du endlich fertig?"
„Nerv nicht! Geh ins Gemeinschaftsbad, wenn du es so eilig hast!"
Diese Zicke raubt mir den letzten Nerv! Sie belegt jetzt schon seit fast einer halben Stunde das Badezimmer und unser Training beginnt bald.
Na warte...
Ich rufe sie kurz auf ihrem Handy an und der Beat des Songs „MIC Drop" von BTS ertönt. Dann lege ich auf und tue so, als hätte ich das Telefonat entgegengenommen.
„Hi, hier ist Susy, die Mitbewohnerin. Hee-Jin kann gerade nicht ans Telefon. Ja... Sie ist schon eine ganze Weile im Bad... Ich glaube sie hat Durchfa...."
Die Tür geht daraufhin so schwungvoll auf, dass sie gegen die Wand knallt.
„Gib her, du Miststück!"
Triumphierend grinse ich sie an und deute auf meine leeren Hände.
Ehe sie kapiert was los ist, schiebe ich mich an ihr vorbei und schließe mich ins Bad ein.
Geht doch...
„Du bist eine blöde Kuh! Warum muss ich mir ausgerechnet mit dir ein Zimmer teilen!", brüllt sie von der anderen Seite der Tür.
„Jahaa! Ich hab' dich auch lieb!"
Kichernd mache ich mich fertig und höre nur noch ihre empörten Flüche, bevor die Tür zu unserem Wohnraum laut zugeknallt wird.
Zu meinem Glück ist Hee-Jin zwar ein zickiges Luder, aber nicht besonders helle.
Keine zehn Minuten später eile ich ebenfalls aus dem Raum und laufe aus dem Gebäude. Die Schlafräume befinden sich in unmittelbarer Nähe des JYP-Gebäudes. Deshalb mache ich mir keine Gedanken das es bereits kurz vor sieben ist. Ich werde trotzdem pünktlich zu meinem Training erscheinen.
***
Hee-Jin steht bereits mit Ha-Rin und Sumi in einer Ecke des Studios und kichert über irgendeinen Witz, den Sumi wohl zum Besten gegeben hat. Würde mich nicht wundern, wenn der auf meine Kosten ging, denn ihre drei Augenpaare schnellen zu mir, als ich den Raum betrete.
Diese drei haben sich gesucht und gefunden. Sie passen zueinander wie drei der sieben Totsünden.
Stolz, Neid und Habsucht.
Wobei meine Mitbewohnerin dabei eindeutig der Stolz ist. So oft wie sie vor dem Spiegel an sich herumdoktert und sich für das schönste Geschöpf auf Gottes Erden hält, passt diese Eigenschaft zu ihr, wie die Faust aufs Auge.
Ha-Rin ist die Habsucht. Sie verkörpert alles, was mit Reichtum und Besitztümern zu tun hat. Ständig hat sie ein neues Handy, neuen Schmuck oder ein neues Prada oder Gucci Täschchen bei sich. Sie geht damit Hausieren und zeigt jedem, dass sie aus einem reichen Haushalt stammt.
Und wenn man dabei manchmal Sumis neidische Blicke bemerkt, die sie heimlich ihrer Freundin zuwirft, ergibt sich der Letzte Spitzname von ganz allein.
„Na, Susy? Dafür das du mich aus dem Bad ausgesperrt hast, siehst du aber immer noch aus, als wärst du eben aus dem Bett gekrochen, was? Wie armselig..."
Genervt verdrehe ich die Augen und antworte Hee-Jin, ohne sie dabei eines Blickes zu würdigen.
„Ich verwechsle auch nicht Tanztraining mit einer Modeschau, so wie du."
„Als angehender Star, hast du immer gut auszusehen. Auch beim Tanztraining. Aber woher soll so ein kleines Landei wie du das wissen?"
Ihr Gekicher prallt an mir ab. Natürlich war es in den ersten Wochen meines Aufenthaltes hier schmerzhaft gewesen. Aber mittlerweile ist mir ein dickes Fell gewachsen. Zumindest was diese drei Grazien betrifft. Bei so viel geballter Dummheit, ist mir ihr Geschwätz ziemlich egal geworden. Denn ich weiß genau, dass es nur heiße Luft ist. Sie haben mich auserkoren, um ihren Spaß zu haben. Das liegt einfach nur daran, dass ich hier die Ausländerin bin, die kein Koreanisch kann. Also tut man sich natürlich leicht dabei, auf der eigenen Muttersprache über die komische Neue herzuziehen, ohne dass diese ein Wort versteht. Sehr erwachsen. Irgendwann habe ich deshalb auf Durchzug geschaltet. Ich kann dieses Weibertrio einfach nicht ernst nehmen.
Aber einen positiven Aspekt hat das Ganze trotzdem. Da sich Ha-Rin und Sumi ein Zimmer teilen, habe ich oft das Vergnügen in meiner wenigen Freizeit auf Hee-Jin verzichten zu können, da diese ständig bei ihren beiden BFs am Ende des Flurs abhängt und ihnen die Ohren volljammert wie schlimm es doch ist, ein ausländisches Landei als Mitbewohnerin zu haben.
Ohne die Lästereien weiter zu beachten, widme ich mich ein paar Aufwärmübungen.
Die neue Konstellation an Trainees ist ungewohnt. Bisher waren wir in mehrere Gruppen von zirka zehn bis fünfzehn Teilnehmern aufgeteilt gewesen, die zu unterschiedlichen Zeiten die Räume belegten. Jede unserer Bewegungen wurde minuziös beobachtet und bewertet.
Ich vermute, dass sich das bei mehreren kleineren Gruppen besser bewerkstelligen lässt, als bei großen unübersichtlichen Massen.
Jetzt, da der Vorentscheid vorbei ist, hat man alle kleinen Gruppen neu zusammengewürfelt und eine einzige große daraus gemacht.
Zu meinem Erschrecken musste ich feststellen, dass aus den ehemaligen Anwärtern etwas mehr als zwei Drittel ausgeschieden waren. Von den über hundertfünfzig Künstlern sind bei meiner groben Zählung gerade mal ein bisschen mehr als vierzig Leute hier im Saal versammelt und warten auf den Beginn des Unterrichts.
Natürlich prahlt das Totsünden-Trio damit, dass sie alle drei den Vorentscheid mit Bravour bestanden haben und hängen immer noch zusammen wie Pech und Schwefel.
Ich fürchte dadurch werden sie noch unausstehlicher werden, als sie es bisher schon waren.
Ich bin bisher eine Alleinkämpferin gewesen. Denn auch wenn viele der Anwärter freundlich zu mir sind, ist es mir noch nicht gelungen wirklich Freundschaften zu knüpfen.
Früher waren die kleinen Gruppen nach Geschlechtern getrennt. Doch jetzt sind wir eine große gemischte Truppe und natürlich zieht das Totsünden-Trio sämtliche Blicke auf sich. Auch wenn nicht alle wohlwollend.
Einige machen sich auch lustig über sie. Kein Wunder. Sie sehen aus wie diese Tussis, die früher den Sportunterricht mit dem Laufsteg verwechselten. Jede Klasse hatte solche Weiber. Aber in der Schulzeit konnte man das noch mit Naivität und Dummheit eines Teenagers entschuldigen.
Jetzt mit zwanzig, ist solch ein Verhalten dann doch ziemlich albern.
Und von wegen, als angehender Star hat man immer gut auszusehen. Hee-Jins Aussage wird jetzt Lügen gestraft, da niemand sonst so aufgetakelt ist, wie sie und ihre Freundinnen.
Zufrieden doch die richtige Wahl meines Outfits getroffen zu haben, ziehe ich meinen Pferdeschwanz zurecht und setze mich im Schneidersitz in meiner dreiviertel Jogginghose und meinem weiten grauen T-Shirt auf den Boden.
Da tun sich die drei Lästermäuler mit ihren Bauchfreien Glitzertops und Hotpants schon etwas schwerer.
Kurz darauf öffnet sich die Tür und unser Tanztrainer kommt herein. Es ist ein junger Koreaner. Ich schätze ihn auf ende Zwanzig, Mitte Dreißig. Er ist nicht sehr groß aber drahtig muskulös.
Ohne große Umschweife klatscht er in die Hände und fordert unsere Aufmerksamkeit.
Mit einer kurzen Verbeugung und einem Lächeln stellt er sich als Choi Dong-Hae vor. Danach geht alles Schlag auf Schlag.
Wir studieren neue Choreographien ein und ich muss mich ganz schön anstrengen, um mit dem Tempo mitzuhalten. Nachdem die Schritte halbwegs sitzen, müssen wir in Fünfergruppen das eben erlernte wiederholen. Hierbei werden wir auch wieder in weiblichen und männlichen Grüppchen aufgeteilt.
Zum Glück muss ich mit keiner des Trios performen. In meiner Gruppe sind vier Mädchen, die ich bisher nicht kannte.
Es gelingt uns fehlerfrei durch die Stunde zu kommen, was fast an ein Wunder grenzt.
Als ich mich danach umsehe, erkenne ich das ich nicht als Einzige so Schwierigkeiten dabei hatte, bei dieser Wahnsinnsgeschwindigkeit mitzuhalten.
Überall sitzen keuchende und schwitzende Trainees und versuchen sich ihr Entsetzen über die letzte Stunde nicht anmerken zu lassen.
Aber das war ja eigentlich abzusehen gewesen. Herr Choi scheint ein freundlicher Lehrer zu sein, aber er verlangt uns auch sehr viel ab. Vielen von uns war vorher nicht bewusst gewesen, dass wir ab jetzt in der Profiliga spielten. Die Vorentscheidungsrunde war vorbei und jetzt hieß es, die Besten von den Besten herauszufiltern. Dafür musste man die Ansprüche dementsprechend hochschrauben.
Mir ist nach diesem harten Einstieg bewusst, dass nur die wenigsten aus diesem Raum den Sprung in das K-Pop-Business schaffen werden.
Bei mir kommt allerdings auch noch das extra Hindernis der Sprache dazu.
Zwar hat mir dieses Handicap die ‚Patenschaft' von Stray Kids eingebracht, trotzdem ist mir klar, dass es ein weiter und Steiniger Weg sein wird. Mit viel Schweiß, Blut und Tränen, die auf der Strecke zurückbleiben werden. Ob ich letzten Endes das Ziel erreiche? Keine Ahnung. Aber ich werde mein Bestes geben. Solange ich kann, werde ich kämpfen. Denn schließlich geht es nicht um den Ruhm, sondern um mein Leben, meine Existenz und meine Leidenschaft für die Musik.
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From Zero To Hero
RomantikSusy Tommaselli stammt aus einem kleinen malerischen Dorf aus Süditalien. Ihre musikalische Karriere beschränkt sich allerdings nur auf einige Lokalauftritte. Eines Tages erhält sie durch Zufall und durch das Programm E2K von JYP Entertainment die...