Kapitel 3 - Alltag?

1 0 0
                                    

Gestern Abend war der Vampir nicht nur plötzlich verschwunden gewesen, er war auch nicht noch einmal aufgetaucht. Noch immer konnte ich kaum begreifen, es kaum fassen, dass er mich am Leben gelassen hatte. Und das ohne auch nur einen einzigen Tropfen meines Blutes zu konsumieren.

Diese Tatsache widersprach so ziemlich allem, was ich über Vampire zu wissen geglaubt hatte. Soweit ich wusste, waren sie die mordlüsternsten und brutalsten Wesen die man sich überhaupt nur vorstellen konnte. Und ausgerechnet ein solches Wesen hatte mich einfach laufen lassen?

Da musste noch etwas anderes dahinter stecken! Die ganze Nacht hatte ich mich hin und her gewälzt, ohne auch nur ein Auge schließen zu können. Meine beste Freundin war tot und ein Vampir hier irgendwo in der Nähe. Niemandem hatte ich von meiner Begegnung erzählt. Wenn es nach meinen Mitmenschen ginge, dann gäbe es angeblich überhaupt keine Vampire. Und ehrlich gesagt, hätte ich nicht mit eigenen Augen schon selbst welche gesehen, dann hätte ich es vermutlich auch nicht geglaubt!

Ein Blick in den Spiegel machte klar deutlich, wie ich mich fühlte. Mein Haar war zerzaust und gnadenlos verstrubbelt, meine Augen knallrot und blutunterlaufen und mein Gesicht kreidebleich. Dementsprechend dauerte es auch eine Weile, bis ich die Ansicht vertrat, das Haus verlassen zu können und mich wieder unter Normalsterbliche zu begeben, ohne dass sich mein Gegenüber dazu verpflichtet fühlen konnte, bei meinem Anblick sofort den Notarzt rufen zu müssen.
Als ich die Haustür öffnete, schlug mir augenblicklich eine leichte Brise entgegen, was mich direkt wieder an gestern erinnern ließ.
Ich war fast stolz darauf, wie gut ich es schaffte, meine Gedanken von der Tatsache abzulenken, dass meine beste Freundin tot war. Zum Weinen würde später wohl noch genug Zeit bleiben müssen.

Heute trug ich der Hitze zum Trotz eine lange Hose, um die Schrammen an meinen Beinen zu verbergen, die ich mir zugezogen hatte. Fast schon hysterisch lief ich die wenigen Straßen entlang, die mich von meinem Zielort trennten.

Bei jedem noch so kleinen Rascheln wandte ich mich um und hatte die gesamte Zeit über das fürchterliche Gefühl, verfolgt zu werden. Und diese Befürchtung war gewiss nicht ganz unbegründet, bedachte man, dass hier tatsächlich ein Vampir sein Unwesen trieb. Ich spürte gar nicht richtig, wie ich ein Bein vor das Andere setzte und wunderte mich sowieso schon, dass ich überhaupt noch wusste, wohin mit mir.

Als ich das Schulgelände erreicht hatte, umwogte mich auch schon direkt der Klang dutzender Stimmen, ein ewiges Stimmengewirr.

"Rachella!" Der Klang meines Namens ließ mich zusammenfahren. Mit großen zum Schock geweiteten Augen wandte ich mich um, konnte kaum glauben, wer mich da soeben angesprochen hatte.

"Kerta?" Mein Herz fing wieder lautstark zu Pochen an und ich musterte sie mit Argusaugen. Klar war ich froh, sie zu sehen. Aber ich traute dem Frieden nicht. Ich hatte mit Vampiren bisher nie gute Erfahrungen gemacht und das lag schlichtweg daran, dass es keine Guten gab. Es gab nur Bestien, die stets darauf bedacht waren, einem das Blut aus den Adern zu saugen und dabei zu ermorden. Aber wie konnte es bitte möglich sein, dass der Vampir nicht nur mich gehen gelassen hatte, sondern auch noch Kretas Lehen verschont?

"Bist Du ... jetzt auch ein Vampir?", fragte ich sie also das, was mir am ehesten noch als Erklärung für ihren Anblick einfiel. Meine Stimme zitterte bei diesen Worten unkontrolliert.

Scherben für die Ewigkeit - Kurzgeschichte über einen VampirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt