𝟖. "𝑫𝒊𝒆 𝑱𝒂𝒈𝒅 𝒊𝒎 𝑳𝒂𝒃𝒚𝒓𝒊𝒏𝒕𝒉 𝒅𝒆𝒓 𝑺𝒄𝒉𝒂𝒕𝒕𝒆𝒏"

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Die Tage vergingen, und Sophia begann, sich an das leichte, befreite Gefühl zu gewöhnen. Erst waren es zwei Tage, dann drei, und bald war bereits eine ganze Woche vergangen, ohne dass sie etwas von dem mysteriösen Biker wahrgenommen hatte. Keine unheimlichen Träume, keine flüchtigen Berührungen oder Schatten, die sie verfolgten. Es war, als hätte die Dunkelheit, die sie so lange bedrückt hatte, sich endgültig verzogen. Sie fand langsam eine Routine für sich, die sie beruhigte.

Nach dem letzten Besuch in der Bibliothek mit Anna hatte sie sich drei Bücher ausgeliehen, in die sie sich in den folgenden Tagen immer mehr vertiefte. Lesen war schon immer ihre Flucht aus der Realität gewesen, und jetzt war es umso wichtiger. Sie verschlang jede Seite und ließ sich in die Geschichten hineinsinken, als ob sie die Kontrolle über ihre Fantasie zurückgewonnen hätte. Diese Welten waren sicher, sie konnte in ihnen verschwinden, ohne Angst haben zu müssen, dass irgendetwas Dunkles oder Unkontrollierbares auftauchte.

Jeden Abend, nachdem sie sich mit einem der Bücher ins Bett gekuschelt hatte, spürte sie die Ruhe in sich wachsen. Die Unruhe, die sie noch vor Tagen geplagt hatte, war nur noch ein fernes Echo. Sophia fing sogar an, wieder zu träumen - diesmal waren es jedoch keine albtraumhaften Begegnungen mit dem Biker, sondern farbenfrohe, lebhafte Träume, die von den Geschichten geprägt waren, die sie las. Die Welten der Romane, in denen sie sich verlor, boten ihr eine Art Zuflucht. Eine Zuflucht vor der Realität, die zwar heller geworden war, aber immer noch Spuren der Dunkelheit in sich trug.
Doch auch wenn Sophia den Frieden in ihrem Alltag fand, bemerkte sie, dass etwas Seltsames passierte. Es war nicht so, dass sie den Biker vergessen hätte - ganz im Gegenteil, sie dachte immer wieder an ihn, aber nicht mehr mit der Angst, die sie zuvor gefühlt hatte. Stattdessen mischte sich etwas anderes in ihre Gedanken. Eine Neugier, ein unausgesprochenes Verlangen, das sie verwirrte. Warum ließ er sie plötzlich in Ruhe? Was hatte sich verändert? Sie versuchte, diese Gedanken beiseitezuschieben, sich auf ihre Bücher und ihre Freunde zu konzentrieren, aber tief in ihrem Inneren wusste sie, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis er wieder auftauchen würde.
In der zweiten Woche nach der letzten Begegnung begann Sophia, sich mit dieser neuen Normalität wohler zu fühlen. Die leichten Schritte, das helle Lachen, die bunten Kleider - sie waren fast zur Gewohnheit geworden. Doch jede Nacht, kurz bevor sie einschlief, war da dieser Moment der Unruhe, als ob ihre Seele auf etwas wartete. Etwas Unausweichliches.

Eines Abends, als sie sich gerade zum Schlafen hingelegt hatte und das Buch beiseitelegte, das sie die letzten Stunden in seinen Bann gezogen hatte, spürte sie es wieder - dieses Flüstern, das aus den Schatten ihrer Gedanken aufstieg. Sie schloss die Augen, wollte sich der Erschöpfung hingeben, aber da war es: eine vage Präsenz, eine Erinnerung an die Kälte seiner Berührung.

Plötzlich war die Sicherheit der letzten Tage wie weggeblasen, und die Unruhe kehrte zurück, stärker als zuvor. Ihr Herz begann schneller zu schlagen, als sie auf ihrem Bett lag, die Dunkelheit des Zimmers um sich herum. Sie konnte ihn nicht sehen, aber sie wusste, dass er da war. Nicht körperlich, aber in ihren Gedanken. Und diesmal war es anders. Es war nicht mehr nur Furcht, die sie spürte. Es war ein Sog, eine magnetische Anziehung, die sie nicht erklären konnte.
Sophia lag reglos in ihrem Bett, den Blick zur Decke gerichtet, doch die Unruhe in ihrem Inneren ließ ihr keine Ruhe. Ein merkwürdiger Gedanke kroch in ihren Kopf und nistete sich dort ein, ohne dass sie verstand, warum. Es war ein leises Flüstern, das immer lauter wurde, bis es ihr unmöglich war, es zu ignorieren: **Stell dich vor den Spiegel.**

Ihr Herz klopfte schneller, und sie versuchte, diesen Impuls zu verdrängen. Warum sollte sie jetzt aufstehen, sich aus den warmen Decken winden und im Dunkeln vor ihren Spiegel treten? Es ergab keinen Sinn. Und doch konnte sie den Gedanken nicht abschütteln. Es war, als hätte etwas Fremdes von ihr Besitz ergriffen. Ein unsichtbarer Faden, der an ihr zog, sie zwang, sich zu erheben.
Mit zitternden Händen schob Sophia die Decke von sich und setzte sich langsam auf. Ihr Zimmer lag in völliger Dunkelheit, die Schatten tanzten bedrohlich an den Wänden, doch sie fühlte sich merkwürdig angezogen von der Ecke, wo ihr Ganzkörperspiegel stand. Es war, als würde der Spiegel sie rufen - ein stilles, aber unüberhörbares Verlangen, dem sie sich nicht entziehen konnte.

𝔇𝔞𝔯𝔨 𝔯𝔬𝔪𝔞𝔫𝔠 || 𝙏𝙝𝙚 𝙣𝙞𝙜𝙝𝙩 𝘿𝙧𝙞𝙫𝙚𝙧 || Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt