Viel langsamer als sonst ruderte Niccoló durch die Seitenstraßen der Wasserstadt. Er wusste nicht, ob er wütend, enttäuscht oder besorgt sein sollte; wahrscheinlich war es eine Mischung aus allem. Fiero war in der letzten Nacht nicht aufgetaucht, obgleich er es versprochen hatte. Vielleicht hatten sie sich verpasst, oder es war ihm etwas dazwischengekommen— und dennoch war Niccoló unsicher, ob er glauben sollte, was der Jüngere ihm erzählt hatte.
Er hoffte, dass er seinen Instinkten vertrauen konnte. Und die sagten ihm, dass viel mehr hinter der Geschichte stecken musste, vielleicht sogar Dinge, die er nicht auf Anhieb verstehen würde.
Es war seltsam, wie viele Gedanken er sich über diesen Mann machte, den er eigentlich noch gar nicht so lange kannte. Doch die Art wie er ihn anschaute, wie er über Kunst sprach und solch prachtvolle Zeichnungen auf Papier bringen konnte, an die auch so manch teure Ölgemälde nicht herankommen könnten, ließen sein Herz schneller schlagen. Da war eine Leidenschaft in Fiero, die er nicht beschreiben konnte, und sie zog ihn magisch an wenn er auch nur in diese glitzernden, hellen grünen Augen blickte, die ihm jede Sekunde folgten wenn er glaubte, dass Niccoló es nicht merkte.
Doch schon an dem Abend als sie sich das erste mal getroffen hatten war es ihm aufgefallen.Seine Bewegungen wurden langsamer, bis er schließlich einen leisen Seufzer ausstieß und mitten in der Gasse zwischen zwei eng stehenden Häuserwänden halt machte. Seine Gondel trieb in Zeitlupe vor sich hin, und für einen Moment fühlte es sich an als stünde die Welt still.
Kurz schloss er die Augen. Er war nun schon viel zu lange unterwegs und hatte bisher kaum Geld eingenommen, weil er sich von den Hauptstraßen fern hielt. Nicht einmal bei Cato hatte er vorbeigeschaut. Er würde sicher wieder einen auf den Deckel bekommen wenn er sich nicht bald wieder bei ihr blicken ließ.
Leise Stimmen ließen ihn aufhorchen. Er vermeinte, eine davon schon einmal gehört zu haben, nicht allzu lange her. Suchend schaute er sich um, doch er konnte niemanden in der Nähe erblicken.
Er hörte irgendetwas das sich anhörte wie Geburtstag. Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen; es waren englische Stimmen. Er war so sehr daran gewöhnt, Fiero englisch sprechen zu hören, dass ihm der Unterschied der Worte kaum aufgefallen war. Nun konnte er auch besser orten, woher die Stimmen kamen. Er setzte sich in die Mitte seiner Gondel und ruderte vorsichtig in die Richtung, in der er sie vermutete.„...im Schlaf angegriffen", sagte die Stimme nun etwas näher, und dann erkannte er, weiter weg in der Spieglung des Wassers, hinter einer Nische in der Wand zwei Menschen, die am Eingang einer Gasse saßen. Darauf bedacht, ja nicht in ihre Sichtweite zu kommen, legte er sein Ruder neben sich ab und stützte sich mit einer Hand an der Wand ab.
„Er zeigte mir die Würgemale an seinem Hals und sagte mir, dass er sich gegen den Angreifer wehren konnte und ihn in die Flucht schlug. Aber er... er bat mich, es für mich zu behalten", fuhr die männliche Stimme fort.
Eine Gänsehaut überkam ihn.
„Das darf doch nicht wahr sein. Verdammt nochmal! Wer war es? Hat er etwas gesagt?"
Das darf doch nicht wahr sein. Fürwahr, wie konnte das sein? Sprachen sie tatsächlich über Fiero? Es konnte doch kein Zufall sein, dass sie über jemanden sprachen, der vor kurzem noch Würgemale am Hals getragen hatte. Er erinnerte sich daran, dass Fiero erzählt hatte, es einem Ritter gebeichtet zu haben. War es dieser Mann? Wer war der andere?
War es einer der Kerle, den er vor kurzem noch zum Hause des Herzogs gefahren hatte?
Angestrengt versuchte er der weiteren Konversation zu folgen, doch die Stimmen waren mal lauter, mal leiser. Er meinte sie sagen zu hören: Welcher der beiden?
Das müssen wir wohl herausfinden.
Doch er war sich nicht sicher.
„Die kleine Signora weiß ebenfalls Bescheid", fuhr die tiefere Stimme fort. Nun durchzuckte es Niccoló wie der Blitz. Es musste die kleine Medici sein, von der er sprach. Er hatte Fiero und sie zusammen gesehen.
Ein leises, metallenes scheppern war zu hören. „Gestern passierte etwas ähnliches", sagte die andere Stimme. Nun fiel ihm der Name des Mannes wieder ein: Bastet, der sich auf der Fahrt mit seinem Kumpanen so besorgt umgeschaut hatte. Er konnte keine Details mehr heraushören, er sprach einfach zu leise. Nur ein paar Wortfetzen drangen zu ihm durch.
Fiero musste... dem Tod ins Gesicht geblickt... wirklich schreckliches... die Hoheiten sprechen kein Wort... Lord...
Wir müssen vorsichtig sein!
Sein Herzschlag beschleunigte sich. Er konnte mit diesen einzelnen Worten nichts anfangen, und wahrscheinlich jagten sie ihm deshalb solche Angst sein. Fiero's Namen hatte er klar und deutlich herausgehört. Nun war es also klar. Und nicht nur das, wahrscheinlich war ihm etwas schreckliches passiert. Doch wer waren wohl die Hoheiten, über die sie sprachen? Waren die Ritter da um sie zu beschützen, so wie Fiero?
„...einem Hinterhalt gegenüber..."
Er zuckte zusammen. Mehr hörte er nicht, die Stimmen wurden immer leiser. Vorsichtig, mit klopfendem Herzen stieß er sich an der Wand ab und versuchte etwas näher heranzufahren, doch das Wasser vor ihm schlug Wellen, die ihn verraten würden wenn er nicht aufpasste. Notgedrungen blieb er stehen und sah über die Schulter, doch hinter ihm war ebenfalls niemand.
Er verstand kaum noch etwas von dem was die Männer sprachen, und sah ein dass es sinnlos war weiter zu lauschen. Zudem würde es ihn wahrscheinlich den Kopf kosten wenn er erwischt wurde. So leise wie möglich stand er auf und nahm sein Ruder in beide Hände. Schließlich vernahm er nur noch leises Geklapper, das sich anhörte als käme es von einer Rüstung.
Er musste nicht weiter darüber nachdenken, um sich in Bewegung zu setzen. Mit langen, kräftigen Bewegungen zog er durchs Wasser, in die Richtung aus der er gekommen war, hoffte dass er nicht allzu laut war. Wenn er sich recht erinnerte wusste er, wo sich die Männer befinden mussten, schließlich kannte er diese Stadt wie seine Westentasche, womöglich sogar besser.
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Die Prinzen von Venedig
Teen FictionEngland, 1721. Fiero Fountain, dritter Kronprinz im alten Großbritannien, verbringt sein Leben als Schande der gesamten Familie. Da der junge Mann alles andere als scharf darauf ist, sich in Politik und tödlichen Schlachten zu üben, geschweige den...