🔥XXIII. Fiero

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So schnell wie in dieser Nacht war Fiero noch nie gerannt. Die Gassen und schmalen Gehsteige waren glitschig unter seinen Stiefeln, und die Häuser um ihn herum wurden zu verwaschenen Schemen, die nur so an ihm vorbei zischten.
Er hatte keine Ahnung ob er Niccoló wirklich sehen würde, doch er hoffte dass er ihn an ihrem Treffpunkt finden würde.
Der Kapuzenumhang, den er in dem versteckten Stiegenhaus deponiert hatte, flatterte nur so um ihn herum, und er konnte kaum atmen unter der Maske, doch er wurde auch nicht langsamer um kurz zu verschnaufen. Die Angst und Sorge jagten ihn, doch vor allem die Schuld trieb ihn durch die Straßen.

Ihm fiel gar nicht auf dass er Niccoló's Kindheitsviertel bereits erreicht hatte, so schnell war er. Erst als er auf der Brücke stand und an ihrem Fuß eine dunkle Gestalt am Boden sitzend erblickte wurde ihm klar wo er war.
Ehe er es sich versah, brachen ihm die Beine unter dem Körper weg, unsanft landete er auf dem Boden und schlitterte das letzte Stück die Brücke hinunter. Ruckartig drehte sich die Person vor ihm um, und dann landete er auch schon mit einem erschrockenen Aufschrei auf ihr.

Fiero fand sich im starken Griff eines Mannes wieder. Sein Herz raste. Hektisch riss er den Kopf hoch und starrte in eine schwarze, gesichtslose Maske.
„Fiero?", kam es atemlos darunter hervor.
Sein Herz stolperte. Eine Gänsehaut breitete sich auf seinen Armen aus. Er war genau in den Armen des Gondoliere gelandet.
Zittrig richtete er sich auf. Niccoló hatte die Knie an die Brust gezogen, sein Ruder lag zu seiner linken am Boden, und so wie es aussah hatte er die Arme nach ihm ausgestreckt, um seinen Fall abzubremsen. Nun hing Fiero halb in seinen Armen, halb auf seinem Schoß. Seine Wangen begannen zu brennen.
Für einen Prinzen war er wirklich sehr tollpatschig.

Niccoló schob ihn ein Stück von sich, und seine dunklen Augen musterten ihn ungläubig. Fiero schluckte schwer.
„Tut mir leid", stammelte er und machte Anstalten sich von ihm zu lösen, doch Niccoló hielt ihn am Arm fest. Sein Blick war unverändert. Er tastete ihn nach Verletzungen ab, besah sich seine Hände und Beine. Nun merkte Fiero auch dass er sich wohl die Knie aufgeschlagen hatte. Über den Schrecken hatte er es gar nicht gemerkt, und seine Glieder fühlten sich taub an, machten den Schmerz erträglicher.
Eine Hand legte sich an sein Kinn, und er blickte hinauf zu Niccoló. Besorgnis zeichnete sich in den Augen des Gondoliere ab. „Entschuldige", sagte er erneut, doch der Mann schüttelte heftig den Kopf und schnitt ihm das Wort ab. Dann klopfte er die Taschen seines Mantels ab, bis er das Notizbuch fand, das Fiero ihm geschenkt hatte. Ein Kribbeln zog durch Fiero's Glieder.
Geht es dir gut? stand auf einer der Seiten. Niccoló's Schrift war schiefer als sonst, als zitterte er.
„Mir geht's—" Fiero stockte. Zerstreut schüttelte er den Kopf. Gut ging es ihm nicht. Die Schrammen machten ihm nichts aus; viel mehr litt er noch immer unter den Schmerzen seiner Erinnerungen.
Er fasste sich ein Herz und blickte in Niccoló's Augen. „Niccoló, es tut mir leid", wisperte er. Erneut schüttelte jener den Kopf. Fiero beugte sich vor und griff nach seinen Armen. „Dass ich weggelaufen bin als wir uns das letzte mal sahen", fuhr er erstickt fort, sah zu wie sich Niccoló's Pupillen weiteten und wieder schrumpften, „ich hatte Angst. Bitte verzeih mir, ich kann es dir erklären, versprochen."
Einen Moment lang rührte sich keiner der beiden, bis Niccoló zögerlich nickte. Er schrieb etwas in sein Büchlein, und Fiero nahm etwas Abstand um ihm die Sicht aufs Papier zu gewähren.
Langsam bildeten sich die Worte unter der stumpfen Bleistiftmine. Darf ich dich entführen?
Erleichterung machte sich in Fiero breit, obgleich diese Wortwahl manch anderen vielleicht in die Flucht geschlagen hätte. Er nickte schnell.
Niccoló nahm sich kurz Zeit um ihn anzusehen und strich federleicht über die Wange seiner Maske, bevor er sich erhob und ihm eine Hand hinhielt. Mit klopfendem Herzen ließ der Prinz sich hochziehen.

Niccoló führte ihn zu seiner Gondel und geleitete ihn sicher hinein. Wie immer sah Fiero dabei zu wie der Gondoliere routiniert sein Gefährt losmachte, sein Ruder fast packte und sich mit einem kräftigen Tritt von der Häuserwand neben ihnen abstieß, um sie in Bewegung zu bringen.
Die ganze Fahrt über dachte Fiero darüber nach wie er es ihm erklären sollte. Es missfiel ihm, ihn anzulügen, doch er fühlte sich nicht bereit dazu ihm von seiner Königsfamilie zu erzählen. Er wollte für Niccoló nicht auch noch der Prinz sein, sondern ein ganz normaler junger Mann wie jeder andere um ihn herum.
Niccoló brachte ihn in einen Teil der Stadt, wo die meisten Normalverdiener wohnten, die weder zu arm, noch reich waren. Neugierig sah Fiero sich um. Hier waren sie noch nie zusammen gewesen.
Sie durchquerten mehrere schmale Querstraßen, die gerade so breit genug für eine gewöhnliche Gondel waren, bis sie schließlich weit vom Zentrum entfernt in einer Gasse hielten. Niccoló vertäute die Gondel an deren Ende, wo ein großer Ring anscheinend für genau diesen Zweck an der Wand befestigt war. Dann schnappte er sich sein Ruder, sprang elegant auf den schmalen Gehsteig zu seiner linken und streckte Fiero eine Hand hin.
Der Blondschopf erhob sich und ergriff sie.
„Wo sind wir?", fragte er leise, als er neben ihm stand. Niccoló bedeutete ihm abzuwarten. Er zog ihn an den Wohnungen mit Flachdach entlang, wobei er wirkte als liefe er jeden Tag über den sehr schmalen Steinweg, während Fiero fürchtete ins Wasser zu fallen, wenn er einen Fuß zu weit nach rechts stellte.

Die Prinzen von VenedigWo Geschichten leben. Entdecke jetzt