🔥XXV. Fiero

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Erst am Abend, als Fiero nicht zum Essen erschien, fiel auf dass es ihm schlecht ging.
Zum Glück sah Leonora nach ihm, und nicht etwa seine Familie. Wäre Archibald in seinem Zimmer aufgetaucht, hätte er den nächstbesten Fluchtweg genommen— und der führte über die Terrasse in die Lagune.
Er sagte Leonora dass er sich krank fühlte. So verheult wie er war, kaufte sie ihm das sofort ab und brachte ihm frischen Tee und ein paar Kanten Brot, damit er bei Kräften blieb.
Er wünschte sich so sehnlichst, dass seine Familie so wäre wie die Medicis. Doch er wusste dass sie es nie sein würden, nicht solange er lebte.

Wenig später klopfte es erneut an seiner Tür. „Nein", rief er schwach. Er wollte niemanden sehen. Und die einzige Person, die er vielleicht geduldet hätte, befand sich viel zu weit weg.
Dennoch ging die Tür auf. Alarmiert schreckte er auf und erblickte Ramona, die sich durch die Tür schob und sie leise schloss. Er brummte genervt. „Ramona, bitte geh. Ich bin—"
„Du bist nicht krank", unterbrach sie ihn. Er hörte wie sie den Schlüssel im Schloss umdrehte. Dann tapste sie auf leisen Sohlen auf ihn zu. „Wir müssen reden."
Die Strenge in ihrem Blick ließ Besorgnis in ihm aufwallen. Er schüttelte den Kopf. „Ich möchte nicht reden. Lass mich allein."
Schnaubend setzte sie sich an seine Bettkante. „Verstehst du die Bedeutung von müssen nicht? Es ist wichtig, du Dämlack, also hör jetzt lieber zu oder ich schreie."
Stöhnend vergrub er das Gesicht in seinem Kissen. „Gut, was willst du? Verdammt nochmal..."
Sie ließ sich Zeit mit ihrer Antwort. „Ich habe deinen Bruder reden gehört. Heute Nachmittag, als du den Ballsaal verlassen hast", sagte sie leise.
Er spannte sich an, schaute vorsichtig auf. „Wovon redest du?", wisperte er nervös.
„Das weißt du ganz genau", erwiderte sie streng. Sie seufzte auf und legte behutsam eine Hand auf seine Schulter. „Fiero, ich weiß nicht genau was er dir angetan hat, aber ich habe gehört wie er dich genannt hat. Ich weiß auch dass die Ritter dich aufs Zimmer gebracht haben. Vielleicht wäre jetzt der beste Zeitpunkt um zu erzählen was passiert ist."
Er hörte das Blut in seinen Ohren rauschen und sein Herz angestrengt schlagen, und starrte sie furchterfüllt an. Was sollte er schon sagen? Dass sein eigener Bruder— nein, er wollte gar nicht erst daran denken.
Energisch rüttelte Ramona ihn an der Schulter. „Rede mit mir", rief sie gedämpft. „Ich mache mir Sorgen, merkst du es nicht? Das ist doch viel mehr als Gschwisterrivalitäten. Und du kannst mir nicht sagen, dass ein paar blöde Worte dich so sehr mitnehmen!"
Sie hatte recht— wie immer. Er holte tief Luft, schüttelte müde den Kopf. „Es stimmt, aber ich möchte dennoch nicht ins Detail gehen. Vergiss es einfach, Ramona. Den Stress ist es nicht wert."
„Willst du mich verarschen?", rief sie aus, dieses Mal viel lauter. Fiero zuckte zusammen und stemmte sich auf, um sie an den Armen zu packen. „Beruhige dich!", sagte er flehend, „bitte, Ramona. Zwing mich nicht. Ich kann es dir nicht sagen."
In einer Mischung aus Trotz und gleich noch mehr Besorgnis musterte sie ihn. Schließlich schüttelte sie ihn ab und verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust. „Gut, wenn es so ist dann höre ich auf mir Sorgen um dich zu machen. Verreck halt, wenn du meine Hilfe nicht willst."
Entnervt stöhnte Fiero auf. Solch ein Verhalten konnte er gerade gar nicht gebrauchen. Er setzte sich auf, lehnte sich an die Wand und zog die Beine an die Brust. Er hatte noch immer Schmerzen zwischen den Beinen, und das widerliche Brennen hatte sich unbarmherzig in seinem gesamten Körper festgebissen. Eigentlich wollte er sich einfach nur verkriechen und auch mit Ramona keine Diskussion führen, doch sie saß noch immer an Ort und Stelle und machte keine Anstalten, ihn alleine zu lassen.
„Ramona", setzte er an, „Ich rechne es dir hoch an, dass du dich um mich sorgst. Ich wünschte das wäre nicht nötig. Aber du musst wissen dass Archibald und Marshall wirklich gefährlich werden könnten, nicht nur mir, sondern vielleicht auch anderen gegenüber. Ich möchte nicht dass sie auch dich ins Visier nehmen. Also bitte behalte das was passiert ist für dich. Sie sollen nicht wissen dass es noch jemand gesehen hat."
Sie schnaubte, blickte auf ihre gepflegten Fingernägel hinunter. „Das sollten sie mal versuchen. Vater würde sie hochkant rauswerfen."
„Dazu wird es nicht kommen." Er beugte sich vor und fasste sie am Arm, zwang sie, ihn anzusehen. „Sie sind viel gerissener als du, glaube mir. Ich habe mein gesamtes Leben mit diesen Kerlen verbracht. Ich weiß wovon ich rede."
Skeptisch zog sie die Brauen zusammen. „Also willst du mir sagen dass es nichts gibt was du gegen sie unternehmen willst?"
Er antwortete nicht. Was auch immer er ihr sagen würde, es würde ihr ohnehin nicht gefallen. Ramona war viel mutiger als er, und das rechnete er ihr hoch an. Er im Gegenzug hatte den Kampf schon lange aufgegeben.
„Was sollte schon passieren?", drängte Ramona nun. „Wenn wir sie an meinen Vater verraten— wovor hast du Angst?"
Heiser, freudlos lachte Fiero auf. „Sie würden sich als Opfer hinstellen und so lange jedermanns Worte herumdrehen bis man ihnen glaubt. Man kommt einfach nicht gegen sie an. Nicht einmal mein Vater." Zittrig stieß er einen Schwall Luft aus. „Und vielleicht würden sie dir etwas antun, um mich als den wahren Bösewicht hinzustellen. So weit darf es auf keinen Fall kommen."
Mit gerunzelter Stirn blickte sie ihn an. „Also ist es das, wovor du Angst hast?"
Er grummelte. „Ich will dich vielleicht nicht heiraten, aber ich möchte dennoch nicht dass dir etwas passiert. Außerdem würde man mich dann auch hinrichten."
Sie rümpfte die Nase. „Gut, vielleicht hast du recht. Das wäre tatsächlich unvorteilhaft." Sie streckte den Rücken durch. „Aber irgendwas muss uns doch einfallen! Das kann doch nicht ewig so weitergehen."
Fiero wandte den Blick ab, stieß einen leisen Seufzer aus. „Nun, spätestens wenn sie zurück nach England kehren wird es hoffentlich ein Ende haben. Wir müssen nur bis zur Hochzeit warten..."
„Nun komm mir nicht auch noch damit", maulte Ramona. „Lass uns doch einfach abhauen. Du könntest Maler werden und ich schließe mich den Piraten an."
Fiero verzog das Gesicht. Er musste sofort an Captain Hunter denken. „Schlag dir das aus dem Kopf. Du kannst nicht einmal eine Waffe benutzen, du würdest keinen Tag auf der See überleben."
Sie warf ihm einen bitterbösen Blick zu. „Weil du mir immer noch nicht beigebracht hast wie man richtig fechtet! Es liegt allein an dir, ob ich mich gegen Piraten wehren kann."
Genervt sprang Fiero aus dem Bett und begann unruhig im Zimmer auf und ab zu tigern. „So einfach ist das nicht, ist dir das klar? Du könntest dich verletzen— oder mich— und wir würden mächtigen Ärger bekommen. Ich kann mir das nicht leisten! Ich will wegen solchen Dummheiten nicht abgemurckst werden! Und wir werden auch auf keinen Fall abhauen, das wird nämlich sofort schief gehen. Am besten findest du dich auch endlich mit deinem Schicksal ab."
Ramona legte den Kopf schief. „Das tust du doch selbst nicht", sagte sie leise. Sie stand auf, trat langsam auf ihn zu und reckte das Kinn. „Sonst würdest du keinen Mann treffen, in den du dich verliebt hast. Du würdest mich freudestrahlend heiraten." Ein kaltes Lächeln legte sich auf ihre Lippen.
Fiero schauderte. „Ich bin nicht verliebt", stritt er ab, doch Ramona schnitt ihm sofort das Wort ab. „Du hast ihn geküsst. Mehrmals—"
„Zweimal."
„Zweimal", korrigierte sie ungerührt, „du hast dein Schicksal nicht einfach so akzeptiert. Vor mir musst du dich nicht verstecken, warum tust du es trotzdem?" Sie trat noch einen Schritt näher, und Fiero zwang sich dazu nicht zurückzuweichen. „Wo ist der Rebell, von dem ich gehört habe? Der Prinz, der ein ganzes Land geschockt hat? Mit etwas so einfachem wie Liebe?"

Stumm erwiderte er ihren Blick. Er wusste dass er nicht die Antworten hatte, die sie sich wünschte. Er erschlaffte, schloss die Augen. „Ich will nicht mehr kämpfen", wisperte er tonlos. „Ich wollte nie ein Rebell sein. Ich wollte ein friedvolles Leben führen, mehr nicht. Ich will einfach nur, dass dieser Albtraum vorbei ist."

Lange rührte sich keiner der beiden. Irgendwann ergriff Ramona seine Hand, und er schaute auf. „Komm", sagte sie, zog ihn durchs Zimmer. Verwirrt folgte er ihr hinaus auf den Flur und fand sich kurz darauf in ihrem Schlafgemach wieder. Ohne Umschweife zerrte sie ihn zum Bett und schubste ihn in die Kissen. „Ramona, was—"
„Sei nicht so ein Angsthase", meckerte sie und verdrehte die Augen. Sie kletterte neben ihn und steckte ihm ein dickes Kissen hinter den Rücken, warf ihm dann noch eine Decke zu. „Leg dich hin und sei still."
Perplex sah er zu wie sie ein altes, abgewetztes Buch unter ihrem Kopfkissen hervorzog und es aufschlug. Sie machte es sich neben ihm gemütlich und drehte die Öllampe auf ihrem Nachttisch ein wenig heller.
Fiero wollte sich aufsetzen, doch Ramona drückte ihn energisch wieder nach unten. „Hör endlich auf so zu gucken als würde ich dich umbringen wollen. Ich bin doch nicht dein Onkel."
Wütend verzog er das Gesicht. „Sag das nie wieder."
„Jaja, schon gut." Sie rollte die Augen. „Bist du jetzt fertig?"
„Was hast du da?", erwiderte er statt einer Antwort.
Sie leckte sich die Lippen. „Das Buch hat Mutter uns immer vorgelesen, wenn wir Albträume hatten. Es wirkt Wunder. Also halt endlich die Klappe und hör zu."

~

Erschöpft blinzelte Fiero gegen das Licht an. Die ersten Sonnenstrahlen des Tages blendeten ihn. Er wischte sich übers Gesicht und verschanzte sich grummelnd im Kissen. Die Schrecken des vergangenen Tages saßen ihm noch immer tief in den Knochen und hatten ihn bis in den Schlaf verfolgt. Die Schmerzen hatten ein wenig nachgelassen, doch sie waren noch da, erinnerten ihn mit ihrer Qual daran, dass er noch immer die Schande der Familie wie eiserne Fesseln trug.

Ein Summen ließ ihn aufhorchen. Als er sicher war, dass er es sich nicht nur einbildete, drehte er sich auf die andere Seite.
Dann erblickte er Ramona und erinnerte sich schlagartig wieder wo er war, konnte aber nicht verhindern dass er heftig zusammenzuckte.
Ramona hob den Blick von dem Buch, dass sie schon wieder —oder immer noch— in den Händen hielt. „Guten Morgen", sagte sie geschäftig und musterte ihn abschätzig. „Was hast du denn schon wieder?"
„Gar nichts." Grummelnd vergrub er das Gesicht im Kissen. Wann durfte er denn endlich einen friedvollen Morgen erleben? Oder gar einen friedvollen Tag? War es das, was ihm bevorstand, wenn er Ramona heiratete?
Ausgerechnet jetzt stupste sie ihn an. Murrend schielte er zu ihr hoch.
„Darf ich dich was fragen?"
„Bitte nicht."
Er spürte ihre Finger an seinem Rücken, und setzte sich hastig auf.
„Woher kommen die Narben?", fragte sie dennoch, natürlich hielt sie sich nicht zurück. Fiero ignorierte sie und suchte stattdessen sein Hemd, das er nur ausgezogen hatte, weil es ihm in der Nacht zu warm gewesen war und er nicht allein zu seinem Zimmer hatte gehen wollen, um sich umzuziehen. Er war wirklich ein Angsthase, genau wie sie es sagte.
„Suchst du das hier?" Ramona zog sein Hemd unter der Decke hervor.
„Natürlich nicht", sagte er schnippisch und nahm es ihr weg, um es sich wieder überzuwerfen. Schnell machte er, dass er aufstand. Wäre sie doch ein Mann gewesen, dann hätte er getrost bleiben können.

Mitten in der Bewegung hielt er inne. Verdammt, er hatte vergessen Niccoló zu treffen! Er hatte ihm doch versprochen ihn in der nächsten Nacht zu sehen! Und ausgerechnet jetzt war er hier. Hoffentlich war der Gondoliere nicht enttäuscht, oder gar wütend. Das musste er dringend in Ordnung bringen.

Ausgerechnet jetzt klopfte es an der Tür. Die beiden erstarrten, tauschten einen schnellen Blick. Doch ehe sie antworten konnten, öffnete sich die Tür leise und Leonora streckte den Kopf ins Zimmer.
„Guten Morgen", setzte sie an, ein warmes Lächeln auf den Lippen, das jedoch in einen verdutzten Ausdruck kippte, als sie Fiero erblickte. Nun war es zu spät um sich zu verstecken. Schnell verschränkte er die Arme vor der Brust und lächelte vorsichtig.
Schwungvoll sprang Ramona auf. „Tantchen! Ist es nicht etwas früh für Kaffeekränzchen? Lass uns doch beim Frühstück plaudern, ja?" Bevor Leonora irgendetwas erwidern konnte, hatte sie auch schon die Tür erreicht und schob ihre Tante sanft, aber bestimmt wieder hinaus auf den Flur. Fiero hörte noch wie sie ein paar unverständliche Worte von sich gab, dann drückte Ramona hartnäckig die Tür ins Schloss.
„Puh." Ramona lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. „Wahrscheinlich wird sie denken dass wir uns wirklich gern haben."
Mit einem entkräfteten Seufzer presste Fiero zwei Finger an seine Nasenwurzel. Je länger er hier blieb, desto gewaltiger wurde die Chance, dass er den Verstand verlor.

Die Prinzen von VenedigWo Geschichten leben. Entdecke jetzt