🎭 XV. Niccoló

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Es war schon später Nachmittag, als Niccoló seine Gondel vor Cato's kleinem Häuschen hielt und an die Tür klopfte. Es dauerte einen guten Augenblick, bis jemand öffnete. Cato's Mann Leontes streckte den Kopf raus und schaute zu ihm runter.
„Ahh, Niccoló, mein Guter! Cato ist noch einkaufen. Brauchst du etwas?"
Niccoló nickte eifrig und deutete ins Innere des Hauses. Leontes verstand und ließ die Tür offen stehen, während er zurück in die Küche ging.
Niccoló machte seine Gondel an der Häuserfassade fest, balancierte über den schmalen Gehsteig und hüpfte ins Haus hinein.
„Setz dich, Niccoló. Es dauert sicher nicht mehr lang bis Cato zurück ist. Kann ich dir etwas zu trinken anbieten?"
Niccoló nickte dankbar. Sein Gastgeber brachte ihm einen Weinkrug an den Tisch und kramte einen Stapel Papier und Stift aus den Tiefen eines Schränkchens hervor.
Er sprach nicht mit vielen Menschen. Es gehörte einfach nicht zu ihm, das Schreiben war ihm lieber. Mit Cato war er aufgewachsen, ihr vertraute er und mit ihr sprach er gerne. Er mochte auch Leontes, er war ein ganz höflicher Kerl, doch er sprach auch mit ihm nicht.

Der alte Holzstuhl knarrte, als er sich vorbeugte und nach dem Wein griff. Da Leontes ihm den Rücken zukehrte, konnte er getrost die Maske zurückschieben und etwas trinken. Genau das brauchte er jetzt. Der Tag war ungewöhnlich warm gewesen, obgleich es gestern noch so stark gestürmt hatte.

Lautes Klopfen war zu hören. Leontes drehte sich zu ihm um und deutete mit einem Nicken zur Tür. „Na los, überrasche sie."
Niccoló grinste breit, auch wenn er es nicht sehen konnte, und sprang auf. Als er die Tür öffnete, fiel Cato ihm fast entgegen, so viele Päckchen und Säcke hatte sie auf die Arme gestapelt. „Mamma mia! Ohh!"
Niccoló fing die Päckchen auf, die Cato vor Überraschung hinunterfielen und stellte sie vorsichtig beiseite. „Caro mio, Niccoló! Was machst du denn hier?"
„Er wollte dich sehen." Leontes kam dazu und sie nahmen Cato die Einkäufe ab. „Konntest du etwa nicht genug von mir kriegen, mein Junge?", triezte Cato ihn zwinkernd und tätschelte die Wange seiner Maske.
„Cato, amore mio, hast du mich etwa schon abgeschrieben?" Leontes zog seine Frau in eine Umarmung und gab ihr einen Kuss.
Sofort dachte Niccoló wieder daran weshalb er hier war.
Die Küchentür öffnete sich und ihr Sohn Elia trat hinein. „Papa! Emilio hat meine Schnitzfiguren zerbrochen!"
Leontes seufzte auf. „Nun, das ist ja der perfekte Zeitpunkt, euch zwei alleine zu lassen."
„Danke Leo. Sei nicht zu streng mit ihnen." Leontes verdrehte die Augen, ging aber mit seinem Sohn los.

„Niccoló." Cato stemmte die Hände in die Hüften und sah ihn streng an. „Dich hatte ich heute nicht mehr erwartet. Hast du was angestellt?"
Unschuldig hob Niccoló die Hände und schüttelte den Kopf. Cato versuchte angestrengt, ein Schmunzeln zu verstecken. Sie hob ein paar Päckchen auf und drückte sie ihm in die Hand. „Komm, hilf mir die Sachen zu verstauen. Dann können wir reden."

Während sie die frischen Lebensmittel in der Küche unterbrachten und Cato damit begann, Gemüse fürs Abendessen vorzubereiten, dachte Niccoló darüber nach, wie er Cato sagen sollte, was er dachte. Er hatte den Gedanken den ganzen Tag bereits verdrängt und daher überhaupt nichts geplant– dass er hier auftauchen würde, hatte er in der letzten Minute entschieden.
„Anstatt so versteinert in die Luft zu starren, solltest du vielleicht mit der Sprache rausrücken, mein Lieber."
Niccoló seufzte auf und warf ihr einen entschuldigenden Blick zu. Ihm war gar nicht aufgefallen, dass er mit einem Sack Kartoffeln im Arm stehen geblieben war. Cato winkte ihn heran und nahm ihm die Erdäpfel ab. Er wollte schon nach einem Messer greifen, um ihr zu helfen, Cato gab ihm aber direkt einen Klaps auf die Finger. „Lass das, das letzte mal als du mir beim kochen geholfen hast war ein Desaster. Und gönne deinem Gesicht ein wenig frische Luft."
Niccoló seufzte tief und ließ die Stirn auf Cato's Schulter sinken. Die Frau schnaubte und schüttelte ihn ab. „Was hab ich dir gesagt? Wenn du reden willst, zeig mir dein Gesicht, du bist doch nicht hässlich."
Manchmal hasste er Cato von tiefem Herzen. Widerwillig streifte er die Maske ab und legte sie weiter weg auf die Anrichte. Dann legte er den Kopf zurück auf ihre Schulter.
„Ist es so schlimm?", fragte Cato etwas versöhnlicher.
„Mhm", machte er leise.
„Wer außer ich bricht dir denn sonst das Herz?"
Niccoló wusste nicht, ob ihr siebter Sinn sie in die richtige Richtung lenkte oder ob sie das metaphorisch meinte, aber er machte einen wehleidigen, peinlichen Laut der womöglich schon alles sagte.
Cato gab ihm etwas Zeit, bis er von sich aus redete, wofür Niccoló dankbar war. Manchmal fiel es ihm schwieriger, mit ihr zu sprechen, wenn er erst seine Gedanken sortieren musste. Schließlich löste er sich von ihr, als es ihm zu ungemütlich wurde, und stellte sich einen Stuhl zu ihr an die Wand. Unschlüssig drehte er seine Maske in den Händen herum.

„Es gibt da wen", erklärte er schließlich leise. Er war noch immer heiser, doch er wusste dass sie ihn verstehen würde.
„Ah? Sprich weiter, Junge, ich bin gespannt."
„Wir... haben uns vor kurzem das erste mal kennengelernt, Kunden von mir. Und wir haben uns immer wieder gesehen. Als ich ins Wasser geschubst wurde... wir haben uns übers Papier unterhalten und das Notizbuch war voll mit Zeichnungen. Heute haben wir uns auch wiedergesehen..."
Cato hielt inne und musterte ihn eindringlich von Kopf bis Fuß. „Ist es ein Mädchen?"
Niccoló holte tief und zittrig Luft. Er hatte noch nie darüber nachgedacht, oder gar gesprochen, dass er jemand der kein Mädchen war interessant finden könnte. Womöglich lag dies daran, dass er bisher auch noch kein Mädchen interessant gefunden hatte.
„Es ist ein Junge."
Cato hob die Brauen so hoch, dass es wirkte, als würden sie unter ihren Haaransatz verschwinden. „Ein Junge? Niccoló, der Herr beobachtet uns alle, das weißt du doch noch, oder?"
Müde wischte Niccoló sich übers Gesicht. „Cato, bitte."
Seufzend wandte sie sich wieder dem Gemüse zu. „Gut. Dann gibt es heute eben Sünde zu Abend. Wie ist er denn?"
Er ignorierte den hoffentlich sarkastischen Kommentar und rieb sich die Arme. „Wir haben noch nicht viel gesprochen, aber er scheint sehr verständnisvoll zu sein, vor allem was meine Art betrifft. Er zeichnet unglaublich gut. Menschen, Kleider, Masken... er ist noch nicht lange hier, aber sein Italienisch ist schon sehr gut. Und ich habe ihm etwas von deinem ganzen Brot abgegeben, er fand es himmlisch."
Wie erwartet reagierte Cato auf dieses Kompliment mit einem Lächeln.
„Und was bringt dich hierher, Niccoló? Du scheinst so gestresst. Mag er dich nicht?"
Nervös fuhr Niccoló sich durch die Haare. „So weit kam es noch nicht", brummte er. „Es ist etwas vorgefallen."
Da Cato nicht antwortete, fuhr er seufzend fort. „Ich habe ihn heute Morgen an einer Brücke getroffen. Gestern hatte er wohl Geburtstag und hatte gefeiert... aber irgendwas stimmte nicht. Ich habe ihn mit der Gondel mitgenommen und in unser altes Viertel gebracht..." Seine Stimme wurde immer leiser, und er war sich unsicher, ob Cato ihn überhaupt noch verstehen konnte. Abgelenkt ließ er den Blick durch die Küche schweifen.
„Mamma mia, dann ist es ernst. Beides. Was ist passiert?" Cato stellte den Topf auf die Kochstelle und wischte sich die Hände an der Schürze ab. „Niccoló?"

Niccoló schaute auf seine Hände und schluckte den Kloß in seinem Hals herunter. Es fiel ihm noch schwerer zu sprechen, doch irgendwie würgte er die Worte hervor. „Als er sich umgeschaut hat, ist mir aufgefallen, dass unter seinem Halstuch dicke blaue Flecken waren. Sie waren garantiert noch frisch. Ich... ich bin ausgeflippt und habe ihn gepackt– ich glaube ich habe ihn erschreckt, aber ich wollte es sehen. Erst wollte er sich rausreden, und dann sagte er dass er nicht darüber reden will. Also habe ich ihm nur angeboten dass ich ihm helfen werde wenn er es braucht."
„Oh, Niccoló", seufzte Cato und ging vor ihm in die Hocke, um seine Wange zu streicheln. „Also jemand scheint ihm wehzutun?"
Er knurrte. „Jemand scheint ihn umbringen zu wollen, Cato. Sein ganzer Hals war übersäht von Blessuren."
Besorgt verzog Cato das Gesicht. „Mamma Mia. Du solltest auf ihn aufpassen, wenn er dir so wichtig ist."
Niccoló nickte. „Natürlich." Er seufzte müde und schloss die Augen. „Es hat mich so sehr geschockt, dass ich mit ihm gesprochen habe. Es ist einfach aus mir rausgerutscht."
Cato stockte. „Aber caro mio, das heißt doch etwas gutes. Du vertraust ihm. Auch wenn ihr euch noch nicht lange kennt. Versuche ihn besser kennenzulernen, und du wirst schon sehen wohin dich das Schicksal führt."
Niccoló lächelte leicht. „Danke, Cato. Dafür liebe ich dich." Er stand auf und zog sie in eine Umarmung. Cato kicherte. „Aber lass das ja nicht Leontes hören, nicht dass er noch eifersüchtig wird."
„So sehr mag ich dich nun auch nicht", triezte er, wofür er direkt einen Klaps auf den Arm kassierte.
„Willst du zum Essen bleiben mein Lieber?"
„Danke, heute nicht. Ich lege mich lieber hin." Niccoló sammelte seine Maske auf und platzierte sie wieder auf seinem Gesicht.
Kopfschüttelnd stemmte Cato die Hände in die Hüften. „Du bist viel zu gutaussehend, um ständig mit einer Maske herumzulaufen, Niccoló. Aber das sage ich ja auch zum zigsten mal."
„Und ich werde niemals auf dich hören", flötete er, schnappte sein Ruder und lief zur Tür, bevor Cato erneut nach ihm ausholen konnte.
„Lass mich wissen wenn ihr heiratet!", rief sie ihm hinterher.
„Auf keinen Fall!" Schnell flüchtete Niccoló auf die Straße und ließ die Tür ins Schloss fallen, bevor Cato noch auf weitere dumme Ideen kam. Seltsam beschwingt lief er zu seiner Gondel und sprang hinein. Er war wirklich froh, endlich seine Gedanken los zu sein, und so dankbar dafür, Cato zu haben.
Nun musste er nur noch ihre Ratschläge befolgen.


Wen mögt ihr mehr; Niccoló🎭 oder Fiero🔥?
Ich kann mich nicht entscheiden🫡

Die Prinzen von VenedigWo Geschichten leben. Entdecke jetzt