Immer und immer wieder sah er Fiero davonrennen.
Niccoló schlief nicht. Er ging auch nicht raus, um seiner Arbeit nachzugehen. Er blieb in seiner dunklen Stube und starrte an die Decke und fühlte sich taub und wertlos.
Immer wieder fragte sich, warum er es gewagt hatte, einen anderen Mann zu küssen, mitten auf der Straße, einen Mann, den er kaum kannte, der Geheimnisse vor ihm hatte.
Warum hatte er ihn von sich gestoßen, was war diese schreckliche Angst in seinen Augen gewesen? Fiero hatte ausgesehen, als hätte ihn jemand angegriffen. Niccoló fragte sich, ob er vielleicht zu weit gegangen war, doch Fiero hatte den Kuss doch erwidert. Er hatte mit ihm getanzt, er hatte freudig gewirkt. Lag es an ihm oder an dem, was er verbarg?
Er vermochte sich nicht vorzustellen, welche Schrecken ihn wohl verfolgten.Niccoló wusste, dass er eigentlich nach ihm sehen sollte, um sich zu vergewissern, dass es ihm gut ging. Fiero war schon vor kurzem in Gefahr gewesen, und er hatte gesagt, er könne nichts unternehmen— also könnte ihm jederzeit erneut etwas passieren, nicht wahr? Doch Niccoló fürchtete sich davor, ihn wiederzusehen, wenn Fiero ihm vielleicht wieder den Rücken zuwenden würde.
Außerdem erinnerte er sich daran, wie er Fiero mit der kleinen Medici zusammen gesehen hatte. Vielleicht waren die beiden tatsächlich ein Paar, und Fiero würde sie heiraten... dann hatte er keine Chance mit ihm.
Gequält stöhnte er auf. Sein Bauch schmerzte. Seit gestern hatte er keinen Bissen mehr runterbekommen, nicht einmal das süße Brot, das er von Cato bekommen hatte. Und er war viel zu müde und niedergeschlagen, um aus seinem Bett zu kriechen. Vielleicht sollte er einfach für immer darin liegen bleiben, bis sein Herz aufhörte zu schmerzen. Auch wenn er befürchtete, dass es das niemals würde, wenn er Fiero so vermisste.
Heiser lachte er auf. Warum fehlte er ihm überhaupt so sehr? Sie kannten sich bloß ein paar Wochen lang, und dennoch hatte Fiero ihn dazu gebracht, viele Stunden seines wertvollen Schlafs einzubüßen, um ihn mitten in der Nacht zu sehen. Er fühlte diese tiefe Verbundenheit zu ihm, die er von nichts und niemandem sonst kannte. Es war, als gehörten sie zusammen— doch wie war das möglich?Ein leises, aber deutliches Klopfen an seiner Türe ließ ihn aufschrecken. Er hoffte, dass es niemand war, dass wer auch immer vor seiner Tür stand wieder gehen würde. Doch das Klopfen wurde nicht leiser, sondern dringlicher. Er beeilte sich aufzustehen, klaubte eine seiner Masken von einem Haken an der Wand, und öffnete seine Tür einen winzigen Spalt breit.
„Da bist du ja!", rief eine bekannte Stimme. Verdutzt zog Niccoló die Tür weiter auf und musterte Cato, die auf dem schmalen Gehsteig vor seinem Haus balancierte, hinter ihr ein fremder Gondoliere.
„Lass mich rein, sonst falle ich ins Wasser", sagte Cato und griff ohne Umschweife nach seinem Arm. Niccoló grummelte, doch er konnte ihr nicht widersprechen, sonst erwartete ihn mit Sicherheit ein Donnerwetter.
„Signora." Der Gondoliere hob einen Korb vom Boden seiner Gondel auf und reichte ihn rüber. Kurzerhand nahm Niccoló ihn entgegen. Er war schwer. Was hatte Cato dieses Mal wohl mitgebracht?
„Gib ihm das Brot, das ganz oben liegt, mein Lieber", sagte Cato hinter ihm. Niccoló ignorierte, dass sie die Hände in die Hüften stemmte und kritisch die Unordnung in seiner Kammer beäugte, und nahm den eingewickelten Brotlaib aus dem Korb. „Grazie", sagte der Gondoliere vor ihm und verstaute das köstliche Gut in einer Tasche. Dann deutete er auf Niccoló's Gondel, die ein paar Fuß entfernt am Ende der Gasse vertäut war. „Eure Gondel?"
Niccoló nickte.
Der Mann legte eine Hand an die Brust. „Ein Prachtstück, fürwahr. Einen angenehmen Tag Euch, werte Dame. Werter Herr." Damit zog er wieder ab.
„Arrivederci!", rief Cato hinter ihm, und Niccoló verbeugte sich knapp.„So, mein Lieber", sagte Cato streng, sobald er die Tür geschlossen hatte und sich zu ihr umdrehte. Sie hatte die Arme verschränkt und tippte mit dem Fuß herum. „Was verschlägt dich in die Dunkelheit deiner Kammer? Ich habe dich seit fast vier Tagen nicht mehr gesehen. Ich habe mir ziemliche Sorgen gemacht."
Geschafft ließ Niccoló die Schultern hängen und lief an ihr vorbei zu seinem Bett. Er nahm seine Maske wieder ab, warf sie achtlos übers Bett und wischte sich ächzend übers Gesicht.
„Niccoló, was ist mit dir?" Cato ließ sich neben ihm nieder und fasste ihn sanft am Arm.
„Mein Herz", stieß Niccoló erstickt hervor, und augenblicklich schossen ihm Tränen in die Augen. Er hatte keine Sekunde der letzten Tage geweint, doch nun wollte er nichts anderes tun als sich in Cato's Arme schmeißen und bitterlich zu weinen.
Außer vielleicht, bei Fiero zu sein.
Augenblicklich fühlte er sich noch schlechter.
„Was ist mit deinem Herzen?", fragte Cato besorgt, umfasste sein Kinn und musterte ihn eindringlich, während sie an seiner Brust nach seinem Herzschlag tastete.
Zerknirscht verzog Niccoló das Gesicht.
„Ohh, ich verstehe", sagte Cato lang gezogen, „hat er dein Herz gebrochen, dieser Junge, von dem du erzählt hast?"
„Nein", brachte Niccoló zittrig hervor, „ja. Vielleicht habe ich seines gebrochen. Ich weiß nicht. Ich... ich weiß es nicht, Cato."
Mit einem leisen Seufzen schloss sie ihn in ihre Arme. Weinend umklammerte er sie und vergrub das Gesicht in ihrer Schulter. Cato wiegte ihn hin und her wie ihre Kinder, wenn sie Albträume hatten, und summte ein Lied.
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Die Prinzen von Venedig
Ficção AdolescenteEngland, 1721. Fiero Fountain, dritter Kronprinz im alten Großbritannien, verbringt sein Leben als Schande der gesamten Familie. Da der junge Mann alles andere als scharf darauf ist, sich in Politik und tödlichen Schlachten zu üben, geschweige den...