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Ruby

Mit etlichen Tüten bepackt lief ich die Einkaufsstraße hinunter. Man kann sagen, was man will, aber eines war ich heute wirklich: erfolgreich! Ich hatte alles besorgt was ich hatte besorgen wollen, und sogar noch vieles mehr. Die einzige, die heute noch irgendetwas zu jammern hatte, war daher meine Bankkarte. Man schien mir meine gute Laune heute anzusehen, denn alle, die an mir vorbeigingen, musterten mich merkwürdig. Wenn heutzutage noch jemand alleine, und dann noch mit einem breiten Lächeln durch die Innenstadt lief, hatte er entweder gerade eine Bank ausgeraubt, oder war geistesgestört. Wahrscheinlich prägten sich gerade alle Leute mein Gesicht gut ein, damit sie hinterher ein möglichst genaues Phantombild erstellen könnten, wenn nach mir gefahndet  werden solle, falls ich tatsächlich eine Bank überfallen hätte. Doch das hatte ich nicht, ehrlich! Lediglich ein paar Weihnachtsgeschenke hatte ich besorgt. Okay, meinetwegen auch ein bisschen mehr als ein paar. Wenn ich ehrlich sein sollte: unfassbar viele. Doch das spürte ich jetzt auch, denn meine Ausdauer und mein Budget waren nun komplett aufgebraucht. Ich wusste, dass es jetzt nicht mehr weit zur Bücherei war, und doch hatte ich das Gefühl, keinen weiteren Schritt mehr gehen zu können. Ich hatte echt nicht die geringste Ahnung, wie diese Schulbiester das anstellten. Sie konnten Stunden, wenn nicht sogar Tage am stück Klamotten und dergleichen shoppen, ohne auch nur einmal eine Pause zu brauchen. Bei mir war es ganz anders. Ich war gerade mal seit 45 Minuten in der Stadt, und war schon vollkommen Durchlaucht. Erschöpft ließ ich mich auf eine der dreckigen Bänke fallen. Meine zahlreichen Einkaufstüten platzierte ich rechts und links von mir, sodass ich die komplette Bank in Anspruch nahm. Menschen, die an mir vorbei gingen schüttelten aufgebracht die Köpfe, als ich einem an die 70 Jahre altem Typen den Platz verweigerte, und stattdessen noch meine Beine weit ausstreckte. Es war sonst nicht meine Art, so arrogant zu sein, doch heute konnte ich es mir wirklich erlauben.
Ich beugte mich nach links, um mein Handy aus einer der Tüten heraus zu kramen, und schickte meiner Mum eine SMS, dass sie doch bitte einmal zu mir kommen sollte. Und das tat sie auch zu meiner Verwunderung.
»Ist alles Okay, Schatz, ist etwas schlimmes passiert?«, fragte sie mich aufgebracht. »Deine Nachricht hat mich sehr nervös gemacht!«
»Wieso das denn?«
«Du hast geschrieben: Mum, komm schnell her, es ist sehr wichtig...« Sie schaute mich vorwurfsvoll an. Ich hatte zwar keine Ahnung, weshalb sie so überreagierte, doch ich beschloss, sie nicht weiter zu reizen. »Mum, es ist alles in Ordnung, ich wollte dich nur fragen, ob du mir den Autoschlüssel geben kannst, damit ich meine Sachen abladen kann.« Ich deutete auf meine Einkäufe.
»Und deswegen hast du mich jetzt her zitiert? Sag mal! Mach mir nich noch mal so viel Angst!«
»Tschuldigung« murmelte ich, es war zwar meiner Meinung nach unangemessen, aber durchaus nötig, damit kein Weltkrieg zwischen Mum und mir ausbrach.
»Nicht so schlimm«, brachte sie mit beinahe geschlossenem Mund hervor. »Komm, ich nehme deine Tüten und fahr nach Hause. Kommst du mit, oder bleibst du noch ein wenig?«
»Ich bleibe noch, aber wie soll ich dann nach Hause kommen?« »Weiss ich doch nicht, mit dem Bus, oder zu Fuß. Das schaffst du schon« Sie drückte mir einen Kuss auf die Haare, sammelte meine Sachen zusammen und stand auf. »Um 5 bist du bitte wieder zu Hause.«, sagte sie, und verschwand hinter einem Geschäft. Ich wusste, dass sie mich liebte, aber ich war keine 5 mehr. Ich war stolze 16, und hatte mit Sicherheit nicht um 5 Uhr zu Hause zu sein.
Lediglich noch mit meiner kleinen Umhängetasche bepackt machte ich mich auf den Weg zur Bücherei. Der Wag war nicht lang, doch ich genoss jeden Meter, jeden Schritt, badete mich in der kühlen Wintersonne und lächelte. Ich lächelte, um zu zeigen, wie glücklich ich war.

Solange ich LebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt