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Henry

(»Das bedeutet, dass es das beste für uns, für euch und vor allem für sie ist, wenn wir sie in ein Hospiz versetzen.«)
Das haute mich um. Ich spürte, wie meine Muskeln anfingen, sich anzuspannen, als ich mich zu meiner Oma drehte fing sie an zu weinen. Ich wusste, dass sie keines unserer Worte verstand, sie konnte es einfach nicht, und doch deutete sie unsere Gesichtsausdrücke. Leise flüsterte ich:
»Wie lange hat sie noch?«. Dr. Black sah mich mitfühlend an. »Vermutlich noch etwas länger als einen Monat. 5 Wochen, mehr nicht«Meine Mum sank in sich zusammen, und ich hechtete aus dem Zimmer. Ich konnte sie nicht weinen sehen. Sie beide nicht. Ich rannte den langen Flur entlang, versuchte meine Gedanken zu ordnen. Ich wusste nicht, wo ich hergekommen war, wusste nicht, wo es raus ging. Ich bog mehrmals rechts ab, stand schließlich genau dort, wo ich losgerannt war, flüchtete nach links, doch die Treppe wollte einfach nicht auftauchen. Nach einiger Zeit jedoch entdeckte ich einen Fahrstuhl, betrat ihn, dann drückte ich den Knopf für das Erdgeschoss. Langsam setzte er sich in Bewegung. Ich ließ mich auf dem dreckigem Boden nieder, hoffte ich würde aus diesem Albtraum erwachen. Als der Fahrstuhl anhielt rappelte ich mich schnell auf und rannte weiter. Nach kurzer Zeit befand ich mich wieder in dem Krankenhausgarten, wo ich auch vorhin schon gewesen bin. Menschen in Fahrstühlen fuhren an mir vorbei, Leute auf Krücken eilten an mir vorbei, alle in diesen Langen blau weiß kartiertem Patientenkitteln.
Nur wenige Meter entfernt entdeckte ich eine Parkbank, und setzte mich nieder.
Ich war sprachlos, wusste nicht, was ich tun sollte. Ich hatte nur noch ganz schwache Erinnerungen an meine Oma, bevor sie erkrankte, doch in diesem Moment sah ich sie bildlich vor mir. Und in einem Monat würde alles das hinter mir liegen. Sie würde hinter mir liegen. Oder besser "unter mir liegen". Unter der Erde. Ich musste mich zusammen reißen jetzt nicht hier und jetzt anzufangen zu flennen, und doch entwischte mir eine kleine Träne. Schnell wischte ich sie weg. Ich wollte nicht, dass jemand sah, wie ich heulte.
Eine weile saß ich einfach hier und schaute in die Wolken. Wie sie sich formten, neue gestalten annahmen. Ob meine Oma das auch tun würde, nach ihrem Tod? Ich erhob mich, doch nur um mich wenige Sekunden später wieder hinzusetzen. Ich zog meine Jacke aus, legte sie mir über die Beine, dann spürte ich ein leichtes Vibrieren. Nach kurzem Überlegen stellte ich fest, dass es von meinem Handy ausgehen musste und kramte es mühselig aus meiner Jackentasche. Das Display war sandig, wo auch immer der Sand herkam, und es zeigte mir eine neue Nachricht an. Verwundert entsperrte ich den Bildschirm und öffnete sie.

Ruby

Ich bin schon den ganzen morgen nervös und aufgergt gewesen, doch ich hatte nicht auch nur die leiseste Ahnung, warum. Ich rannte immer und immer wieder die Treppe runter, fragte meine Mum, ob alles wie immer war und jedesmal fragte sie mich, was mit mir los war. »Nichts«, antwortete ich dann immer, ehe ich wieder hoch in mein Zimmer stürmte.
Doch nun war mir klar, was los war. Ich wollte ihn sehen, ihn hören, was auch immer. Das Problem war nur, dass ich nicht wusste, wo er war. Müde ließ ich mich auf mein Bett fallen, streckte Arme und Beine aus. Ich wälzte mich eine Zeit lang herum, dann blieb ich schließlich auf dem Bauch liegen und schnappte mir mein Handy. In diesem Moment fiel es mir wie schuppen von den Augen, und schrieb ihn einfach an.

Solange ich LebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt