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Henry

Stöhnend ließ ich mich auf eine der vielen Bänke fallen. Ich könnte mich Ohrfeigen! Ich habe ja wohl alles falsch gemacht, was man hätte falsch machen können. Am Anfang war ja noch alles gut, bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie mich gesehen hatte. Beziehungsweise nicht gesehen. Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen. ›Wie kann man nur ein Idiot sein?‹ Ich hatte sie angerempelt, und dann einfach nur sprachlos wie ein Volltrottel da gestanden Anscheinend war ich das auch. Okay, anrempeln an sich ist ja eigentlich nicht so schlimm, ich meine, schlimm genug, dass sie mich für immer hassen würde, doch dass war immer noch besser als jetzt. Jetzt dachte sie, dass ich einfach nur einen knall hätte. Das einzige, was ich in dem Moment gerade hatte sagen können, war ›Entschuldigung‹ Man, das hört sich ja wirklich sehr Charmant an. Da hätte ich selbst mit einem selbst ausgedachtem Anmachspruch wie ›Hey, glaubst du an Liebe auf den ersten Blick, oder soll ich noch mal vorbei gehen‹ besser punkten können. Ich schämte mich in diesem Moment einfach in Grund und Boden.
Tief im Selbstmitleid verloren formte ich meine Hand zur Faust, und stützte mein Kinn auf ihr ab. Wenn ich hier nicht in aller Öffentlichkeit herum sitzen würde, hätte ich keinen Grund, sie mir ins Gesicht zu schlagen, doch wie gesagt, ich war hier mitten in der Innenstadt. Was sollte ich denn antworten, wenn ich gefragt werde, warum ich blutig durch die Straßen irre? ›Ach, halb so wild, ich hab mich nur mit mir selbst gekloppt‹ oder ›Nichts schlimmes, mir ist nur meine Hand ausgerutscht!‹ Wenn ich unbedingt wollte, dass mich jetzt auch noch alle anderen für bekloppt hielten, könnte ich das gerne machen, aber warum sollte ich? Ich stand auf, und machte mich auf den Weg nach Hause. Ich wollte nicht noch länger um mich selbst trauern, und mir den Kopf darüber zerbrechen, was ich hätte tun sollen, wenn dieses und jenes passiert wäre. Wie gesagt: wäre. Doch das ist es nicht, ich konnte es nun mal nicht ändern, und ich musste mich damit abfinden, damit ich nicht noch durchdrehte. Schritt für Schritt setzte ich einen Fuß hinter den anderen. Um mich abzulenken schaute ich in die Geschäfte, suchte mir Sachen heraus, die man sich eventuell zu Weihnachten wünschen konnte, oder mit denen ich andere Glücklich machen könnte. Ironischer weise fand ich überwiegend Juweliere, die Rabatte auf Ringe gaben, oder Karten, auf denen ›Ich liebe dich‹ stand. So war das halt in der Weihnachtszeit, es wurde geliebt, geküsst, geschmust, und so weiter. Egal, wo man hinschaute, man sah zwei dicht aneinander geschlungene Personen, bei denen es einen nicht wundern würde, wenn sie sich nicht augenblicklich die Klamotten vom Leib rissen. Als normal lebender Single musste man krampfhaft versuchen, alles auszublenden, damit man nicht Kirre wurde. Man musste sich irgendwie ablenken, und hoffen, dass man diese Jahreszeit überlebt, bevor der Frühling kam, und die Pärchen nicht mehr im Schnee, sondern auf einer Bunten Wiese knutschten. Es war zum Wahnsinnig werden.
Nach einer gefühlten Stunden endete die Straße in einer Sackgasse, von der man entweder links oder rechts abbiegen, oder einfach wieder zurück gehen konnte. Ich drehte mich einmal auf der Stelle, um noch einmal den Ort zu begutachten, an dem ich sie über den Haufen gerannt hatte, welcher jetzt schon einen guten halben Kilometer hinter mir lag. Doch anstatt dass ich wieder umkehrte, blieb mein Blick an etwas Glitzerndem kleben. Ich trat näher, um besser sehen zu können, um was es sich handelte, doch ich sah nichts mehr. Ich wendete mich, um nach Hause zu gehen, und doch musste ich mich am Ende der Straße doch noch mal umdrehen. Und da war es wieder! Ein schwaches glänzen, ein Lichtschein, der reflektiert wurde. Ich musste einfach wissen, was es war, und so ging ich mit strammen Schritten wieder zurück. Alles schirmte ich ab, ich sah nur noch auf die Stelle, an der wir gekniet hatten. Nicht einmal mehr die Passanten auf dem Weg beachtete ich. Andauernd rempelte ich jemanden an, oder brachte Leute ist wanken. »Hey, pass doch auf, wo du hinläufst, Junge«, schrie mir einer hinterher. Doch das war mir egal. Ich rannte nun fast. Hin und wieder sah ich etwas kurz aufblitzen, doch es verwand immer wieder schneller, als es gekommen war.
Und endlich, kurz bevor ich ankam, sah ich etwas rechteckiges auf dem Boden liegen. Ich hechtete die letzten Schritte, und blieb außer Atem vor einem Vergoldetem Portemonnaie stehen. Es funkelte mich an, und ich kniete mich hin, genau an die selbe Stelle, an der ich vorhin auch gekniet hatte. Ich betrachtete das prachtvolle Stück, doch noch bevor ich es mir schnappen konnte, griff eine andere Hand nach dem Etui, und riss es an sich. Wütend, aufgeregt und fassungslos zugleich sprang ich auf, und schrie dem vielleicht Anfang 20 Jährigem Dieb hinterher. Dieser drehte sich um, und das war meine Gelegenheit. Ich sprang mit voller Kraft ab, und riss ihn mit mir zu Boden. Unten angekommen duellierten wir uns einen kurzen Augenblick, dich durch meinen Überraschungsangriff war er gar nicht in der Lage, etwas gegen mich zu unternehmen. Ich legte meine Hände um das Täschchen, und zerrte es mit aller Kraft zu mir. Der Junge war stark, doch ich war stärker. Sein Griff löste sich, ich stand auf, und rannte so schnell weg, wie ich nur konnte. Auch er hatte sich erhoben, nahm gerade meine Verfolgung auf, doch schon nach weniger als einer Minute war ich außer Sichtweite. Doch ich rannte weiter, immer weiter Richtung zu Hause. Als ich ankam riss ich die Tür auf, versperrte sie hinter mir, und presste mich mit voller Kraft gegen sie. Mit Zitternden Händen öffnete ich das Portemonnaie. Das erste was mir ins Auge fiel, war ein winziges Porträt von ihr, und ihr Ausweis. Von diesem Moment an wusste ich, in wen ich mich hoffnungslos verliebt hatte. Ein Mädchen Namens Ruby Horner.

Solange ich LebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt