Kapitel 1: Erwachen

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Wann ich wieder bei Bewusstsein war, weiß ich nicht.
Ich weiß fast nichts.
Ich kenne meinen Namen.
Und weil das fast das Einzige ist, dass mir im Gedächtnis blieb, habe ich ihn mir immer wieder laut vorgesagt. Oder das dachte ich zumindest, aber mein Mund bewegte sich nicht.
Auch meine Zunge wollte mir nicht gehorchen.
Also dachte ich an meinen Namen.
Enya. Enya. Enya. Enya. Enya. Enya. Enya. Enya. En...
Ich hörte Stimmen. Und Schritte.
Wer auch immer kam, er kam auf mich zu.
Ich hatte meine Augen die ganze Zeit geschlossen gehalten und hatte auch jetzt nicht vor, sie zu öffnen.
Anfangs hörte ich die Stimmen nicht deutlich und nahm ihre bloße Anwesenheit wahr, doch als die Stimmen noch näher kamen, konnte ich verstehen, was "sie" sagten.
Wer auch immer ihr seid.
Ich spürte wie mein Herz schlug. Schnell und unbändig.
"Ich weiß es nicht. Als sie das letzte Mal wach war..."
Das letzte Mal? Wann?
"... schien sie eindeutige Gedächtnislücken zu haben. Ich meine sie erinnerte sich kaum einmal an mich."
Wer bist du? Woher soll ich dich kennen?
Ich strengte mich an, aber ich erkannte die Stimme nicht. Ich war mir ziemlich sicher, dass die Stimme einem Mann gehörte, aber mehr wusste ich nicht über ihn.
"Also glaubst du..." , sagte die zweite Stimme. Die Stimme klang nach einer Frau, die ich allerdings auch nicht erkannte.
"Tut mir leid. Vielleicht wird sie sicj erinnern, wenn wir ihn..."
"Nein!" , unterbrach ihn die Frau energisch. Ihre Stimme klang schneidend und kaum noch wie die gebrechlich wirkende Stimme zuvor.
"Das ist zu gefährlich für die Beiden! Sie müssen sich erst auskurieren. Ich will nicht, dass es sich wiederholt."
Was? Wovon reden die denn, um alles in der Welt?
Am liebsten hätte ich die Beiden angeschrien, was dies alles sein sollte.
Um wen geht es hier?
"Du musst dich gedulden."
"Du weißt ich würde nicht so sehr drängen, wenn es nicht notwendig wäre! Ich muss wissen, was passiert ist. Ich kann nicht lange warten. Wir haben jetzt die Chance den Krieg zu beenden, aber wir können sie nicht nutzen, weil sie sich an nichts erinnert!"
"Du solltest froh sein, dass sie überhaupt lebt!"
Der Mann war die ganze Zeit erstaunlich ruhig geblieben, doch jetzt schien er die Fassung verloren zu haben.
Ihre Stimme wurde wieder sanfter.
"Ja ich weiß. Und wenn wir Pech haben, sie sich nicht erinnert und wir verlieren, dann war es nur ein verzögerter Tod für sie."
Ich hörte, wie die Schritte davon gingen.
"Ich sage dir, was ich tun würde! Hol ihn! Sonst wird sie nicht mit sich reden lassen. Wahrscheinlich ist er der Einzige, an den sie sich erinnert.", rief der Mann ihr nach.
"Das ist die letzte Option, die uns bleibt. Wenn sie sich an nichts erinnert."
Sie lief weg und nach einer Weile verklangen ihre Schritte.
"Ja, glaub mir deine Sturheit ist noch immer bekannt und keiner glaubt, dass du die verloren hast."
Verwirrt verzog ich das Gesicht.
"Du erinnerst dich nicht mehr an mich, nicht wahr?"
Ich hörte den Schmerz in seiner Stimme.
Ich wusste aus irgendeinem Grund, dass es keinen Sinn hatte, ihm vorzuspielen, ich würde schlafen. Also schüttelte ich den Kopf.
"Kannst du sprechen?"
Vorher hatte es irgendwie nicht funktioniert, aber ich hatte nicht mit mir selbst gesprochen, woher also sollte ich das wissen? Ich zuckte ganz leicht mit den Schultern.
"Hm."
Er seufzte, dann fuhr er fort: "Weißt du wie du heißt?"
Ich nickte.
Ich konnte sein Lächeln spüren.
"Nun gut, Enya."
Er weiß wirklich, wer ich bin.
Vielleicht sollte ich die Augen öffnen. Er kennt mich. Und anscheinend kannte ich ihm auch. Sogar ziemlich gut, sonst hätte ihn die Tatsache, dass ich mich nicht erinnere, wahrscheinlich nicht so traurig gemacht.
Ich hörte wieder diese Wehmut in seiner Stimme.
Aber gleichzeitig hatte ich Angst.
Was wenn da etwas ist, das vollkommen fremd ist? Oder wenn mich etwas an etwas Schlechtes erinnert? Aber was wenn ich mich an alles wieder erinn...
Ich öffnete due Augen. Und schrie.
Vielleicht war es, weil ich einfach nicht darauf vorbereitet war.
Vielleicht aber auch, weil ich so etwas, soweit ich denken konnte, noch nie gesehen hatte.
Er war ein Mensch, der kein Mensch war. Vom Körperbau her könnte man auf einen einen Menschen tippen.
Aber seine Gesichtszüge waren makant, er hatte spitze Ohren, türkisblaue Augen und hellbraune, kurze Haare, die ich als das normalste an ihm betrachtete. Seine Eckzähne waren spitz und er besaß einen hin und er peitschenden Schwanz, der zwar so hellbraun wie seine Haare war, allerdings nicht behaart und spitz zulief.
Außerdem hatte er Klamotten aus Leder an.
Nach meinem Schrei, sah er noch unglücklicher aus und dann, ganz plötzlich und ohne Vorwarnung ging er davon.
"Nein, halt!", wollte ich schreien, doch es kam nur eine Art Knurren aus meinem geschlossenen Mund.
Er blieb stehen, ließ Schultern und Kopf hängen und ging dann weiter durch eine Tür am Ende des Zimmers.
Ich sackte zurück in mein Kissen, denn ich hatte mich bei meinem Versuch zu schreien zur Seite gedreht. Jetzt starrte ich geradeaus an die weiße Decke.
Das ganze Zimme war weiß. Es schien förmlich zu strahlen, obwohl ich keinerlei Lampen oder Fenstet fand. Das Zimmer war eigentlich sehr klein. Es hatte nur ein Bett, auf dem ich lag und einen Stuhl, der vor meinem Bett stand. Sie waren beide ebenfalls weiß. Der Rest des Zimmers war ein schmaler Gang, der zu einer wiederum weißen Tür führte.
Das einzig Farbige überhaupt in diesem Zimmer war ich. Mit all diesem Weiß um mich herum fühlte ich mich sehr unwohl in dem Zimmer.  Es wirkte alles so karg und trostlos. Wobei das ja genau meiner Situation entsprach.
Es gab keinen Spiegel, doch ich spürte, dass hier etwas anders war.
Etwas an mir war anders.
Reflexartig fuhr ich mir mit der Zunge über die Zähne.
Ich hatte spitze Eckzähne.
Schockiert taste ich mit der linken Hand mein Gesicht ab.
Keine makanten Gesichtszüge.
Meine Ohren... waren auch normal.
Wenn ich nur meine Augen sehen könnte...
Der Schwanz! Nein, den hab ich auch nicht. Aber wenn ich nicht einer von ihnen bin, was bin ich dann?
Ich stöhnte und verzog das Gesicht. Irgendwie war ich müde. Ich fühlte mich auf einmal sehr schläfrig und schloss die Augen. Ich wusst nicht, was als nächstes kommen würde oder was passiert war, aber was auch immer es sein mochte, es hatte mein Leben vollkommen verändert.
Kurz bevor ich einschlief, überlegte ich, was er vorhin mit 'du solltesz froh sein, dass sie lebt' gemeint hatte.
Bin ich verletzt?
Doch bevor ich genauer darüber nachdenken konnte, war ich weggedöst.

Unforgettable ~ MemoriesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt