Kapitel 11: Depressive

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Die nächsten Tage verliefen ruhig. Ich verbrachte die Zeit auf meinem Zimmer oder machte mit Kristzn Laufübungen, sowohl im Wasser als auch am Land.
Ich glaube es brauchten insgesamt dreieinhalb Wochen, bis ich wieder normal laufen konnte ohne nach zwei Schritten auf die Schnauze zu fliegen. Neben Kristzn sah ich auch Pinto, Ketzia, Arin, Feder und Steintänzer, der fast die ganze Zeit da war und mittlerweile auch schon ein eigenes Nest aus Stroh in meinem Zimmer hatte, in dem er jede Nacht schlief.
Ich fand es sehr beruhigend nichtmehr allein zu sein und vorallem da es Steintänzer war, der mich beschützte egal was kommen würde, konnte ich sehr gut schlafen. Nur ab und zu plagten mich Ängste.
Warum habe ich nichts mehr von Roulo gehört? Und auch Drace hat sich kein einziges Mal blicken lassen..
Da ist irgendwas im Busch.
Kristzn hatte gerade die Türe hinter sich geschlossen, als ich es nicht mehr aushielt und meine Bedenken an Steintänzer weiterleitete. Ich war zwar ziemlich sicher, dass er alles mitbekommen hatte, über was ich mir Sorgen machte, doch ich wollte es einmal ausgesprochen haben. Und insgeheim hoffte ih Kristzn hätte es noch gehört. So sah es unbeabsichtigt aus, doch er wüsste, dass dies ein geheimes Zeichen meinerseits war.
Er musste die Augen aufhalten, um jegliche Angriffe, Gegenzüge und Beschließungen zu erkennen. Ob er mir dies allerdings dann mitteilen würde stand in den Sternen, doch so wie ich Kristzn kannte, würde das mit sich selbst ausmachen, bis es nicht mehr anders geht.
Mach dir keinen Kopf, Enya.
Doch. Genau das tue ich.
Du solltest dich lieber auf deine Genesung konzentrieren. So schöpft Drace keinen Verdacht, denn auch wenn die Schlange sich nicht zeigt, sie ist nicht verschwunden. Wenn du erstmal wieder fit bist, können wir die Sache richtig angehen und dagegenhalten. Bis dahin spielen wir das Spiel mit und verhalten uns unauffällig.
Er legte sich in sein Nest und ließ seinen Kopf auf meiner Bettkante ruhen.
Unsere Zeit wird kommen, hab nur Geduld.
Ich lächelte ihn entschuldigend an.
Tut mir leid, die hatte ich noch nie.
Er schnaubte ein wenig belustigt aus und legte seinen Kopf auf seine Beine.
Du hast jetzt nicht wirklich vor zu schlafen oder?
Ich bekam keine Antwort.
Das ist doch nicht dein Ernst?
Immernoch nichts.
Steintänzer.
Stille.
Steintänzer!
Ich gab es auf und rollte mich auf meinen Rücken.
Wie kann er es waagen mich einfach... einfach...
Ich gab erneut auf, als mir die Worte fehlten und fragte mich wie mich jemand als Kämpferin bezeichnen konnte.
Ich bin zum Aufgeben verdammt.
Aha, führst du wieder Zwiegespräche mit dir selbst?
Ich schaute mich um woher die Stimme kam, auch wenn ich bereits wusste wer gekommen war.
"Dir auch einen schönen Tag, Pinto."
Er lief um den mittlerweile schlafenden und gleichmäßig atmenden Steintänzer umher und gab mir einen Kuss auf die Stirn.
Pinto war mittlerweile wie ein Bruder für mich geworden.
Auch wenn ich Kristzn sehr schätzte und auch vertraute, wusste ich dass ich ihm nicht alles erzählen durfte. Drace würde es vielleicht durch ihr ständiges Kontrollieren von Kristzn mitkriegen oder sie verlor vielleicht ihr Vertrauen zu ihm.
Pinto dagegen konnte ich alles erzählen und er hielt immer zu mir. Er verstand mich, auch wenn er nicht in meiner Situation war. Nur Aufmuntern konnte er mich nicht.
Vielleicht war da doch jemand, der mir fehlte. Jemand, der wusste wie man mich aufheitert und der mich wirklich kennt.
"Er fehlt dir, oder?"
Ich runzelte verwirrt die Stirn, da ich zu sehr in Gedanken versunken war, um zu verstehen, was er meinte.
"Du vermisst ihn."
Ich schwieg.
"Nicht?", fragte Pinto überrascht.
"Das war eine Aussage, Pinto.", sagte ich melancholisch.
Er schaute mich mit leicht geöffnetem Mund und schockierten Augen an, doch ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten.
Dann verließ er den Raum mit schnellen Schritten und ließ mich vollkommen irritiert zurück.
Hab ich was falsches gesagt?
Nein.
Ich zuckte bei dem Klang seiner Stimme zusammen.
Schläfst du nicht?
Nein.
Aber?
Aber ich habe gehört, dass er kommen würde und ich dachte ich lasse euch beiden in Ruhe reden.
Und warum habe ich deiner Meinung nach nichts Falsches gesagt?
Du hast die Wahrheit gesagt. Die Wahrheit ist nie falsch, das beinhaltet das Wort bereits.
Aber... Warum ist er dann gegangen?
Es hat ihn verletzt.
Also habe ich doch etwas falsches gesagt.
Nein, es hat ihn verletzt dich so zu sehen. Aber das war gut. Er hat es endlich verstanden.
Jetzt hör mal auf mit deinen Rätseln. Was hat er endlich verstanden?
Ich hörte ein leises Schnauben.
Er hat endlich kapiert, dass das alles nicht ohne Schäden an dir vorbeigeht. Er hat gemerkt, dass dich das mitnimmt und dass du nicht mehr so weiter machen willst. Er weiß, dass er handeln muss und dass sobald wie möglich, deshalb ist er jetzt gegangen. Sofort.
Ich starrte an die Decke, während ich über seine Worte nachdachte.
Ich kann nichts richtig machen.
Was?
Steintänzer war hörbar irritiert.
Ich kann nichts richtig machen. Was ich auch tue verletzt die, die mir am meisten bedeuten. Ich... das hat doch keinen Sinn mehr.
Verzweifelt schlug ich die Arme über meinem Kopf zusammen.
Immer wenn ich glaube es läuft mal einigermaßen aufwärts, falle ich wieder in ein so unendlich tiefes Loch.
Ich kann das einfach nicht mehr... Ich kann mich nicht mehr aus diesem Loch befreien, ich komme da nicht heraus. Es geht nicht. Ich bin zu schwach.
Steintänzer sprang urplötzlich auf und starrte mich an.
Du? Zu SCHWACH?!!!
Ich zuckte von seiner hitzigen Reaktion zusammen.
J.. ja?
Ich fragte kleinlaut, weil ich eingeschüchtert war, von seiner Reaktion.
Steintänzer schnaubte. Wütend.
Dir ist wirklich nicht zu helfen. Du bist verrückt.
W..was?
DU bist dem Tod so unglaublich knapp entkommen und zweifelst jetzt an dir selbst NUR weil jemand die gottverdammte Wahrheit eingesehen hat?!
Verängstigt rutschte ich rückwärts.
Du hast die wohl stärkste und mächtigste Feindin, die unser Land je bedroht hat, ermordet und uns damit so viel weiter gebracht.
Er kam einen Schritt näher, seine Augen funkelten mich durchdringlich an.
Du hast dein Leben aufs Spiel gesetzt und hättest fast dein Leben geopfert, um uns zu befreien und bist damit wohl eine der mutigsten, wenn nicht sogar die mutigste Tuuri die ich kenne.
Normalerweise sollte ich das als Kompliment sehen, aber momentan wirkte es so bedrohlich, dass ich auf meinem Bett noch weiter weg rutschte.
Für dich hat J... hat er fast sein Leben gegeben und DU willst das alles einfach wegschmeißen?
Er kam noch näher.
Ich rutschte noch weiter zurück und plötzlich hatte ich die Wand in meinem Rücken. Steintänzer reckte seinen Kopf nach vorne und seim gefährlich scharfkantiger Schnabel, war nur Zentimeter von meinem Hals entfernt.
Man muss dir eins lassen...
Du bist vielleicht die Mutigste, aber sicher nicht die Klügste.
Er wandte sich um und stolzierte aus meinem Zimmer.
Ich schaute ihm nach, keuchend.
Ich vertraute ihm, das war keine Frage, aber dadurch war es umso bedrohlicher, wenn er so etwas tat. Ich wusste, dass er mir nur klar machen wollte, dass ich nicht Recht hatte. Meistens schaffte er das, aber heute war ich einfach nur leer. Nichts war mehr in meinem Kopf. Nichts.
Ich versuchte nicht mehr an ihn und seine Worte zu denken, aber eine Sache blieb mir im Kopf hängen.
"Nur weil jemand die Wahrheit eingesehen hat.", murmelte ich vor mich hin.
Die Wahrheit.
Welche Wahrheit?, fragte ich mich selbst sarkastisch.
Man hatte mir so viel schon erzählt und ich konnte mich nur an einzelne Teile und Ausschnitte erinnern. Vieles von dem, was mir erzählt wurde, konnte auch einfach erfunden sein.
Was wenn in Wirklichkeit meine Freunde meine Feinde waren?
Was wäre wenn Drace eigentlich auf meiner Seite war, aber alle anderen uns gegeneinander aufstachelten?
Nein.
Aber trotzdem... Woher wusste ich wem ich vertrauen konnte?
Ich folge meinem Gefühl.
Aber was ist, wenn mein Gefühl falsch ist?
Wie viele waren schon ihrem Gefühl gefolgt und deshalb in einer Falle gelandet?
Aber es sind mehr ihrem Verstand gefolgt und gestorben.
Ich beschloss irgendetwas zu tun.
Irgendwo hinlaufen. Laufen war immer gut, da ich sowieso trainieren musste und da ich gerade nichts anderes tat, als depressiven Gedanken nachzugehen.
Trainieren bringt dich auf andere Gedanken.
Also rutschte ich vorsichtig von meinem Bett und machte ein paar wacklige Schritte, bis ich mich wieder an das Gefühl von Laufen gewohnt hatte und lief zu dem türartigen Tunnel, der durch seine Pflanzen mein Zimmer von der Außenwelt abtrennte.
Ich war in letzter Zeit des öfteren hier außerhalb gelaufen und trotzdem kannte ich mich noch nicht perfekt aus. Aber abgesehen davon durfte ich sowieso nicht allzu weit weg laufen, da ich es mit meiner momentanen Kondition nicht wieder zurück schaffen würde.
Aber immerhin war ich ein Stückchen freier.
Natürlich sah es weder Kristzn noch Pinto nicht gern, wenn ich auf Erkundungstouren ging, aber es war eine der wenigen Freiheiten, die ich besaß, also wagten sie es nicht es mir zu verbieten.
Ich lief also durch meine Tür und nahm sofort wieder das Grün um mich herum wahr.
Ich genoss den Geruch der Frische und fühlte mich ein wenig freier.
Der Flur verlief ein ganzes Stück nur geradeaus, deshalb lief ich den Gang entlang und betrachtete die Pflanzen, von denen die verschiedensten Arten zu beiden Seiten des Gangs wuchsen. Zwar hatten keine der Pflanzen Blüten, aber sie waren alle in verschieden Grüntönen und Formen. Ich erkannte nur wenige, aber das meiste waren farnartige Gewächse und große Bäume mit Lianen, die von oben herunter hangen. Ich stellte mir vor, wie es wäre an solchen Lianen durch die Gegend zu schwingen und frei zu sein. Ich sah in meiner Vorstellung einen großen See an dem eine solche Liane hing. Das wäre perfekt, um sich im Sommer in den See zu schwingen und fallen zu lassen. Es wäre so perfekt. Sich fallen lassen. Und aufgefangen werden. Nicht am Boden zerschmettern.
Nicht nachdenken.
Ich lief also weiter ohne nachzudenken.

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