Kapitel 8: Lauftraining

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Ich hatte mich am Abend relativ bald schlafen gelegt und war nur kurz wach geworden, als Kristzn und Pinto ihren Wachposten getauscht hatten. Danach hatte ich weitergeschlafen. Und somit wachte ich am nächsten Morgen zufrieden und ausgeschlafen auf. Pinto war auch noch da, aber verschlief seine Wache mal wieder.
Ich ließ ihn schlafen.
Nicht nur, weil ich ihn nicht wecken wollte, sondern auch, weil ich etwas ausprobieren wollte.
Ich hatte nachts etwas aufgeschnappt und wenn das stimmte, müsste ich nun wieder laufen können. Allerdings habe ich auch gehört, dass man mir das nicht sagen wollte, daher musste ich es allein ausprobieren.
Es kann ja sowieso nichts passieren, wenn ich es nicht schaffe, dann schreie ich laut und schon ist Pinto wach.
Also rutschte ich vorsichtig an Pinto vorbei zur Kante meiner Liege und ließ meine Beine herunterbaumeln.
Dann rutschte ich immer weiter runter. Stückchen für Stückchen Richtung Boden.
Zuerst mit Links, der ist gesund.
Ich berührte mit den Zehenspitzen meines linken Fußes den Boden und verspürte schon ein leichtes Glücksgefühl, dass sich ausbreitete, als ich den ganzen Fuß auf dem Boden abgesetzt hatte. Langsam verlagerte ich mein Gewicht auf das Bein, während ich mich mit meinen Händen weiterhin am Rand festklammerte.
Ich kann mich nichtmehr lange so halten. Ich muss mich irgendwie umdrehen.
Also stellte ich mich komplett auf den Fuß und drehte mich vorsichtig auf der Stelle. Mein rechter Fuß schleifte leicht auf dem Boden. Als ich umgedreht war, versuchte ich den Fuß richtig hinzustellen, doch mich durchzog nur ein Stechen. Also beugte ich mein Knie ein wenig. Es knackste, aber schmerzte nicht. Ich wurde langsam zittrig, da meine Muskeln die Belastung nicht mehr gewohnt waren. Also ließ ich meinen rechten Fuß vorsichtig in Richtung Boden herab und hoffte, dass ich es halten könnte. Ich berührte mit den Zehenspitzen erneut den Boden, doch mein Fuß rutschte nach hinten weg.
Noch einmal.
Ich beugte mein Knie, es knackste, ließ mein Fuß vorsichtig nach unten und zog dann aber noch einmal den Fuß an.
Es versetzte mir einen quälenden Stich und ich schrie auf, doch Pinto wurde zu spät wach, denn ich flog schon, als mein zittriges Bein unter mir wegklappte.
Ich fiel direkt in die Arme einer Person. Mein Blick ging nach oben, zu meinem Retter und ich schaute direkt in ein Paar türkise Augen.
Ich stöhnte.
Auch wenn ich sehr froh war, dass man mich aufgefangen hatte, verwunsch ich die Person.
Warum muss es ausgerechnet Kristzn sein? Er wird mich umbringen und ich werde wieder nicht laufen dürfen.
"Du gibst nie auf, Enya, nicht wahr?"
Er griff um und zog mich zurück auf die Liege. Ich kam mir vor, wie ein Kleinkind, dass man tadeln musste.
Ich fühlte mich so hilflos und nichtsnützig und ließ den Kopf sinken und wagte es nicht Kristzn in die Augen zu schaun.
"Hey, lass den Kopf nicht so hängen. Wir kennen deine Sturheit und deinen Ehrgeiz, ich kann dich dafür nicht umbringen, so bist du nunmal. Auch wenn du manchmal anstrengender als jedes Kleinkind bist, hat das alles seine Vorteile."
Er beugte sich mit einem Grinsen zu mir und fügte flüsternd hinzu: "Sonst wäre Ravenna jetzt nicht tot."
Ich biss mir auf die Unterlippe, um ein Lächeln zu unterdrücken.
Da hat er wohl Recht.
"Aber da du sowieso so viel Lust zu Laufen hast, können wir ja gleich los, oder?"
Ich schaute ihn irritiert an.
"Was?"
Er hob mich hoch und trug mich wieder in seinen Armen, die mir allmählich leid taten.
Die müssen mich ständig tragen...
"Wasserlaufen.", bekam ich noch zur Antwort, dann flitzte er auf schon los.
Tuuris sind wirklich sehr ausdauernd.
Tut mir leid, dass ich verschlafen habe.
Ich schaute zur Seite und sah Pinto in seiner Wolfsgestalt.
Kein Problem, Pinto. Es ist meine Schuld, ich bin einfach zu eigensinnig.
"Müsst ihr immer so laut denken? Das müssen nicht alle hier mitkriegen.", sagte Kristzn zähneknirschend mit gedämpfter Stimme.
"Laut denken?", fragte ich Kristzn.
Später.
Ich nickte nur und fügte diese Frage zu meiner immernoch langen Liste an rätselhaften Fragen hinzu.
Da ich den Wegen die Kristzn absolut zu kennen schien, für mich alle gleich aussahen und mich nur verwirrten, beobachtete ich ihn und Pinto.
Pinto schlich in seiner Wolfsgestalt die Gänge entlang und wirkte geschmeidig und trotzdem irgendwie tapsig. Er schien meinen Blick im Nacken zu spüren, da er voraus lief und seinen Kopf nach hinten drehte.
Alles in Ordnung bei dir?
Ja, alles gut.
Gut. Du weißt wo wir hingehen oder?
Nicht wirklich, aber das ist ja nichts Neues.
Ach, sei doch bitte nicht so, Enya. Wir wissen es ist hart, aber es lässt sich nunmal momentan nicht verändern. Dann hilft es nicht, wenn du auch noch darauf herumtrittst und uns zusätzliche Sorgen bereitest.
Schon okay. Ich wollte es nur mal erwähnt haben. Aber zurück zum Thema. Nein, ich weiß nicht wohin wir jetzt gehen, aber wenn du mich so fragst, weißt du es sicher und wirst es mir jetzt sagen.
Sehr richtig. Du darfst heute mit dem Lauftraining beginnen und zum ersten Mal seit sehr langer Zeit wieder ins Wasser gehen. Wir haben hier eine Art Mini-Pool, indem du im Kreis laufen und von der einen zur anderen Seite laufen kannst. Aber ich denke für heute, kannst du auch einfach mal stehen und die angenehmen Temperaturen testen.
Soll das heißen, dass das Wasser eiskalt ist?
Ich kann das nicht beurteilen, keine Ahnung.
Aber ich hörte ihm die Schadenfreude an und machte mich auf ein Eisbad gefasst. Kristzn hatte sich nicht weiter zu Wort gemeldet und ich hatte ihn schon fast wieder vergessen, als mir auffiel, dass er stehen geblieben war und mich versuchte auf eine Art Beckenrand zu setzen.
Wir befanden uns in einem kleinen, viereckigen, beigen Zimmer mit einem wirklich Mini-Pool in der Mitte. Der Pool war kreisrund und hatte einen Durchmesser von vielleicht gerade einmal 1,5 Metern. Allerdings hatte das Zimmer eine angenehme Raumtemperatur und nichts deutete auf ein kaltes Becken hin. Hm.
"Also gut, rein mit dir."
Kristzn schmiss mich angezogen ins Wasser. Es war nicht wirklich tief, ich konnte gut darin stehen und es war auch einigermaßen warm, aber es war kein Wasser.
Es sah zwar genau wie Wasser aus, doch es fühlte sich an wie Glibber. Man konnte sich darin genauso gut darin bewegen, wie in Wasser. Es war also nicht fest wie Wackelpudding, sondern verlangsamte nur die eigene Bewegung.
Ist das Wasser?
"Ähnlich. Es nennt sich Quasser und ist eine Art Wasser, aber eine die mehr für unser Vorhaben geeignet ist. Stehen klappt doch schon hervorragend. Willst du versuchen ein paar Schritte zu machen? Aber überschätz dich nicht und werde nicht wieder übermütig. Dein Körper muss sich auch irgendwann mal erholen.", sagte Kristzn lachend, weil er wusste, dass ich immer mehr wollte, als mein Körper mir geben konnte.
"Okay, ich versuchs."
Ich machte einen kleinen Schritt mit meinem linken Bein zur Seite und zog dann mein rechtes Bein hinterher. Dann verlagerte ich mein Gewicht nur auf meinen rechten Fuß und konnte wirklich wieder ganz auftreten. Ich verlagerte mein Gewicht wieder zurück, auf den linken Fuß und machte mit dem Rechten einen Schritt nach vorne. Es klappte und ich konnte ihn ganz normal abstellen und auch die Zehenspitzen anziehen, ohne jegliche Schmerzen zu spüren.
Am liebsten wäre ich vor Freude umhergesprungen, aber Kristzn meinte ich darf nicht zu viel verlangen.
Ich war so beschäftigt zu laufen und mich zu freuen, dass ich nicht bemerkt hatte, dass Pinto sich wieder in seine tuurische Gestalt verwandelt hatte und Kristzn weg war.
"Hab ich was verpasst?", fragte ich Pinto, beunruhigt über Kristzns Verschwinden.
Doch dieser lachte einfach los.
"Es ist wirklich verrückt, wie sehr eine Person vom Laufen fasziniert sein kann.", lachte er.
Ich schaute zuerst beschämt zur Seite und dann wütend auf ihn.
"Du kannst gut Reden, du bist ja nicht Diejenige, die nicht laufen kann und sich freut, wenn sie endlich mal irgendetwas wieder hinkriegt!", keiffte ich ihn an.
"Ist ja gut.", sagte Pinto immernoch amüsiert.
"Kristzn musste schon mal los und ich soll dich wieder zurückbringen."
"Spars dir. Ich schaffe es auch alleine zurück."
Hab ich das gerade wirklich gesagt? Wie dumm bin ich denn?!
Aber jetzt hatte ich es schon ausgesprochen und ich war gerade zu stolz, um meine Aussage zurück zunehmen.
Pinto zog eine Augenbraue hoch.
"Ach tatsächlich? Du meinst also alle Gänge hier zu kennen und komplett alleine außerhalb des Quassers laufen zu können?"
Er wirkte absolut belustigt.
Ich schaute ihn geschockt an.
Er wusste ganz genau, dass ich das nicht so gemeint hatte, aber auch das ich zu stolz war, um aufzugeben.
"Na gut, dann kann ich ja gehen."
Er lief zur Tür, die ausnahmsweise nicht getarnt war.
"Nein Pinto! Warte!"
Er blieb stehen und drehte sich auf der Stelle um.
Erwartungsvoll schaute er mich an.
Ich kämpfte mit mir selbst oder eigentlich mit meinem Stolz.
Entschuldige dich! Sonst läuft er weg!
Nein, er wird dich hier schon nicht einfach vergammeln lassen.
Pinto dauerte mein Gehadere eindeutig zu lange, denn er drehte sich wieder zur Tür und ging.
"Nein! Bitte Pinto! Bitte, es tut mir leid, das ist mir nur so rausgerutscht.. Ich... Pinto? Pinto?"
Doch niemand antwortete.
"Nein...", jammerte ich leise. Mir war zum Heulen zumute, aber ich war keine Heulsuse und deshalb riss ich mich zusammen und dachte angestrengt nach, wie ich aus dieser Situation herauskommen sollte. Ich konnte nicht um Hilfe schreien, hier würde mich niemand hören. Also muss ich hier selbst rauskommen.
Ich ging zum Rand und klammerte mich daran fest, während ich mein linkes Bein auf der Rand legte und darüber.
Jetzt muss ich mich nur langsam auf den Boden fallen lassen.
Ich rutschte Stück für Stück nach links in Richtung Boden und zog mein rechtes Bein hinter mir her.
Das muss total behindert aussehen.
Ja, das tut es.
Vor Schreck ließ ich den Rand los und fiel, wobei mich jemand im letzten Moment doch noch auffangen konnte.
Das war nicht Pintos Stimme, sondern...
"Arin?"
"Das war knapp! Was stellst du aber auch immer für Blödsinn an?", sagte Arin und atmete einmal tief durch.
"Pinto hat mich geschickt. Er meinte du müsstest gerade deinen Sturkopf wieder durchsetzen.", sagte Arin mit einem schelmischen Lächeln.
Er hob mich hoch und lief los, vermutlich zurück zu meinem Zimmer. Ich fühlte mich klitschnass, doch zu meinem Erstaunen war ich trocken.
Dieses Quasser ist merkwürdiges Wasser.
"Quasser wurde aus Qualle und Wasser abgeleitet. Erklärt das ein wenig?"
Ich nickte.
"Könnt ihr bitte alle mal aufhören meine Gedanken zu lesen?"
Er lachte.
"Enya, wir machen das nicht mit Absicht, du denkst einfach zu laut."
"Das hat Kristzn auch schon gesagt, aber keiner will mir sagen, was das heißt."
"Wir haben die Möglichkeit uns über diese Gedankenschiene zu unterhalten, aber natürlich auch die Gedanken anderer, zum Beispiel unserer Feinde zu lauschen und ihre Schritte oder Angriffe vorherzusehen.
Natürlich diese das aber auch und deshalb schützen wir unsere Gedanken indem wir eine gedankliche Mauer um sie bauen. Je stärker du an diese Mauer glaubst, desto schwerer wird es für deine Feinde sie zu durchbrechen. Du kannst aber natürlich auch Geheimzugänge ausdenken, die zu bestimmten Räumen führen, in die deine Freunde Einblick haben dürfen. Auf die Art und Weise kannst du deine Feinde im Übrigen auch verwirren. Es kann ein ziemliches durcheinander werden, wenn man nicht aufpasst."
Ah. Das ergibt Sinn.
"Und schon hast du dir wieder eine Mauer errichtet."
"Wenn ich etwas lerne, wende ich es auch an. Danke."
Triumphierend stellte ich fest, dass wir mittlerweile an meinem Zimmer angelangt waren. Arin öffnete die Tür und hätte mich fast Fallen gelassen, als er Ketzia erblickte. Er legte mich schnellst möglich ab und wandte sich an Ketzia. Sie sah sehr deprimiert aus.
"Was ist los?", fragte Arin besorgt.
"Du weißt was sie gesagt haben... Das wenn er heute nicht... Dann.. Arin er wird wahrscheinlich nie mehr..."
Dann brach sie ab und verfiel in ein verzweifeltes Schluchzen. Arin umarmte sie und sie hielt sich an ihm fest, während er versuchte sie zu trösten.
Ich kam mir absolut fehl am Platz vor, doch ich konnte weder gehen, noch den Beiden sagen sie sollten verschwinden. Abgesehen davon, war ich auch von dem betroffen, was Ketzia erzählt hatte.
Denn natürlich "er" gemeint. Er war immernoch nicht aus dem Koma aufgewacht und die Ärzte
(oder was auch immer sie hier hatten)
hatten scheinbar gesagt, dass er jetzt wach sein sollte, denn ansonsten würde nichtmehr aufwachen und Ketzia war absolut davon überzeugt, dass er verloren war.
Ich zwang mich selbst immer dazu alles positiv zu sehen, doch auch ich hätte mich jetzt gerne bei jemandem ausgeheult.
Bei einem ganz bestimmten Tuuri, der immernoch im Koma liegt.
Aber genau deshalb konnte ich nicht zu ihm.
Jetzt weiß ich wie Ketzia sich fühlt...
Ich setzte mich auf, lehnte mich an die Wand, zog meine Knie zu mir heran und vergrub meinen Kopf darin.
Dann fing auch ich an zu Weinen, aber auf meine Weise.
Leise und verzweifelt.
Warum kann es nicht einmal einfach sein?

Hallo ihr da draußen!
Viiielen Dank fürs Lesen und ein riesengroßes Dankeschön für 110 Reads!
Auch ein riesengroßes Sorry dafür, dass ich jetzt einen Monat für dieses Kapitel gebraucht habe...
Ich hatte sehr wenig Zeit und dann hatte ich Probleme mit meinem Handy und mir ist eine Zeit lang absolut nichts eingefallen, was ich schreiben könnte und ich wollte nicht einfach irgendetwas schreiben, aber sagt mir ruhig in den Kommentaren, was euch besser gefällt.
Also viel Spaß weiterhin beim Lesen und jetzt wirds wieder regelmäßiger.

Eure Alibi<3

Unforgettable ~ MemoriesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt