Wenige Minuten nachdem Drace abgehauen war, in denen man hitzige Diskussionen von draußen vernahm, kam Kristzn herein.
"Drace kann das nicht machen. Sie hat keine Ahnung und spielt sich total auf. Ich glaube sie hatte einen Hitzschlag und ist zu gestresst. Nehm ihr das nicht übel."
"Ihr darf man ja nie was übel nehmen. Sie wird von allen in Schutz genommen obwohl sie einen nichtmal ausreden lässt und voreilige Schlüsse zieht, die in ihrer Position Leben kosten können!", rief ich wutentbrannt.
"Es tut mir leid...", fing Kristzn an, doch ich unterbrach ihn.
"Hör auf! Hör auf Kristzn! Du solltest dich nicht für sie entschuldigen und ich werde auch nichts annehemen, wenn ich es nicht von ihr persönlich höre!", schrie ich ihn an.
Kristzn schaute mich geschockt an, auch wenn ich Verständnis in seinen Augen erkennen konnte.
"Enya.. du musst doch verstehen..."
"Nein!"
Kristzn schaute entsetzt weg und schien zu überlegen. Als er mich wieder anschaute, schien er mehrere Lösungen gefunden zu haben.
"Hast du dich an ihn erinnert?"
"Nein.", sagte ich kühl.
"Ich kann mich nicht erinnern. Ich kann mich an meinen Verlobten nicht erinnern. Hast du irgendeine Ahnung, was das für ein Gefühl ist? Ich kann mich nicht an meine Verlobung erinnern, nicht an irgendetwas, dass ich mit ihm unternommen habe, nicht an ihn selbst und ich darf nicht einmal seinen Namen wissen!"
Die letzten Worte schrie ich aus mir heraus. Ich war so wütend. Als ob sich alles der ganzen letzten Zeit in mir gesammelt hätte, all die Angst und Verwirrung und als ob das nun herauswollte. Meine Unzufriedenheit.
Ich liebte meine Bewegungsfreiheit, doch ich konnte mich nicht bewegen.
Ich liebte ihn, doch ich durfte nicht einmal seinen Namen wissen.
Ich liebte meine Erinnerung, doch ich hatte sie verloren.
"Alles was mir am Herzen liegt, wird mir verwehrt oder geraubt.", sagte ich und eine Träne stahl sich mir aus dem rechten Auge.
"Enya, ich gehe jetzt.", sagte Kristzn so vorsichtig wie nur möglich und schlich sich rückwärts aus dem Zimmer.
"NEIN! Bleib stehen! Wieso tust du mir das an?" Doch als er sich umdrehte und die Tür öffnete und schon halb durch war, schrie ich es einfach aus mir heraus, weil ich mich nicht länger zurückhalten konnte, geschweige denn wollte.
"DU VERRÄTER!"
Kristzn blieb stehen und drehte sich um.
"Nein Enya, bitte nicht schon wieder."
So wütend ich auch war, jetzt war ich verwirrt.
"Was schon wieder?", fauchte ich.
"So hat es letztes Mal auch angefangen. Dann hast du dich in den Tod gestürtzt mit Ravenna. Diesmal würdest du es nicht überleben."
Und da wurde mir alles klar.
"Du bist Drace loyaler als mir."
Seine Augen weiteten sich.
"Enya, wie kannst du nur..."
"Ach geh doch, du Hündchen. Du wirst immer ihr folgen, auch wenn sie dich in den Tod führt. Dir ist es doch egal, wie es mir geht, ihr gebraucht mich doch nur als euer Spielzeug. Ich dachte die ganze Zeit, ihr würdet euch um mich kümmern. Ich dachte du wärst mein Freund. Aber da lag ich falsch."
Und dann überkam es mich einfach und ich kam nicht dagegen an und ich versuchte mich dagegen zu wehren, aber es ging nicht und ich verwandelte mich.
Ich kann das Gefühl nicht beschreiben, es ist zu eigenartig. Als ob mein gegen eine Wand läuft und gleichzeitig in ein Blumenfeld springt.
Wasser und Feuer zugleich.
Kristzn konnte mich nicht mehr retten. Er stand wie angewurzelt da und fixierte mich mit seinem Blick.
Ich fauchte ihn an. Und ich konnte laufen, alles ging, nichts war gebrochen und ich wollte schon fast Freudenhüpfer machen, als mich wieder diese Wut überkam.
Eigentlich wollte ich nichtmehr wütend sein, aber ich konnte nicht dagegen ankämpfen.
Als hätte sich mein Körper gegen mich entschieden.
Und mein Körper sprang auf Kristzn und wollte ihm einen Schlag mit der Tatze verpassen. Mit ausgefahrenen Krallen.
Doch jemand knallte in der Luft gegen mich und ich fiel auf die Seite.
Sofort rappelte ich mich wieder auf und wollte es schon zum Zweiten probieren, doch wieder ging jemand dazwischen und diesmal spürte ich meine gebrochen Rippen und Knochen und alles wieder und wollte schreien, doch mein Körper machte rücksichtslos weiter.
Die Schmerzen lähmten langsam meine Sinne, wie es schon einmal passiert war, aber jetzt wusste ich, dass ich niemals wieder aufwachen würde und das ich kämpfen musste.
Nein! Ich will nicht mehr.
Dann entspann dich.
Eine ruhige Stimme in meinem Kopf.
Ich schaute zu meinem Gegenüber und da stand ein Kojote und jetzt erkannte ich auch die Stimme wieder. Es war Arin.
Ich kann nicht. Mein Körper hört nicht auf mich. Ich wollte mich nicht verwandeln, es ist einfach passiert und ich kam nicht dagegen an und ich komm auch nicht gegen diese Wut an, die ich auf Kristzn habe. Ich will ihm nichts antun und mir tut alles weh und ich weiß, dass ich sterbe.
Arin kam vorsichtig auf mich zu.
Dann lass los. Lass die Wut los und hör auf dagegen anzukämpfen. Wend dich einfach davon ab.
Ich ließ mich auf den Boden sinken und legte mich auf meine linke, unverletzte Seite.
So ist es gut. Du kannst doch brav sein.
Ich drehte meinen Kopf und sah wie Kristzn mich ansah. So voller Trauer und als ob er vorhatte, etwas sehr dummes anzustellen. Und das gefiel mir ganz und gar nicht.
Arin, pass auf Kristzn auf!
Arin drehte sich gerade noch rechtzeitig um, um Kristzn losrennen zu sehen und rannte ihm hinterher.
Auf Arin kann ich zählen.
Seine eigentliche Aufgabe war es, auf mich aufzupassen, doch er hatte auf mich gehört und war hinter Kristzn her.
Ein Wolf betrat das Zimmer.
Pinto?
Stehts zu ihren Diensten.
Danke. Hat Arin dich geschickt?
Ja. Ich sollte wohl aufpassen, dass du nicht stirbst.
Ich konnte den Sarkasmus in seiner Stimme hören.
Ist es schon Nacht?
Ja, sonst würde ich wohl kaum so aussehen.
Ich nickte. Meine Schmerzen verschwanden langsam wieder, deshalb legte ich mich auf den Bauch.
Wir haben spezielle Heilkräfte, deshalb haben wir es nicht verstanden, warum Drace verboten hat, dass du dich verwandelst.
Wer ist wir?
Arin, Roulo und ich. Wir stehen hinter dir, wenn du uns brauchst Enya.
Danke. Ich komme mir nur im Moment ziemlich allein gelassen vor. Als ob alle gegen mich wären. Ich dachte Kristzn sei mein Freund, doch er tut nur das was Drace ihm befiehlt und nicht das, was zu meinem Wohl ist. Er ist nicht mein Freund.
Pinto stand kam auf mich zu und legte sich neben mich.
Kristzn ist dein Freund, nur er versucht Frieden zu schaffen. Eigentlich ist es als Friedenswächter seine Aufgabe zwischen den Tuuri und den Tigern den Frieden zu wahren, aber er versucht in jeder Situation Frieden zu halten. Außerdem hat er Drace Vertrauen und das will er nicht so einfach hergeben. Er will nur das Beste für dich Enya, auch wenn es im Moment falsch erscheint. Er versucht Drace Aufmerksamkeit zu bekommen, um dann diese zu deinem Vorteil zu nutzen. Er versucht schon seit drei Monaten sie davon zu überzeugen, dich zu ihm zu lassen. Als du wach geworden bist und dich an nichts erinnert hast, hatte er schon einen mehr als trifftigen Grund, aber sie macht seit neustem komplett dicht. Drace hat nicht mehr die Führungsqualitäten von einst, sie ist vernarrt und verwirrt und vorallem aer verzweifelt. Sie kann nichtmehr klar denken und man hätte sie damals sofort aus dem Amt nehmen sollen, als ihr Mann gestorben ist. Sie hat das nicht verkraftet. Sie sieht einfach nicht mehr ihre Fehler ein.
Dagegen muss man doch etwas tun können! Man kann sie doch nicht einfach tollwütig auf die Leute lassen und zu sehen, wie sie alle in den Untergang treibt.
Pinto legte den Kopf auf seine Pfoten.
Leider, haben wir momentan keine andere Möglichkeit. Es gibt zu viele im Rat, die sie noch vollkommen unterstützen und die nichts von dieser Situation hier wissen. Für die Außenwelt bist du noch zu schwach, aber auf dem besten Weg der Genesung. Keiner weiß etwas von deiner Amnesie, dafür hat Drace gesorgt. Deshalb kann man dir auch nicht alle einfach vorführen, damit du dich erinnerst.
Die ist doch vollkommen verrückt!
Ja leider...
Ich schüttelte traurig den Kopf.
Und warum lässt sie mich nicht zu ihm? Und warum darf ich nicht einmal seinen Namen wissen?
Als du Ravenna umgebracht hast, waren kurz davor in der Schlacht gewesen. Dort hat Drace ihren Mann verloren und war deshalb in tiefer Trauer. Sie wollte, dass wir alle eine Pause einlegen, um um die Toten zu trauern, aber wir wussten das Ravenna jetzt geschwächt ist und wir angreifen müssen, doch sie hielt alle zurück. Wenn jemand gestorben war, sei es jemand ganz nahestehenden, hat sie nie halt gemacht. Doch plötzlich war es jemand in ihrem Umfeld und sie hielt alle auf. Also habt ihr beide, also du und J, beschlossen alleine los zuziehen und Ravenna zu bewältigen und den Krieg ein für alle mal beenden. Und ihr habt euer Ziel beinahe erreicht. Doch seitdem bist du ihr ein Dorn im Auge und sie glaubt, wenn du ihn erneut sehen würdest, oder seinen Namen hören würdest, dass du dich an all das erinnerst und etwas hast, dass sie nicht hat, quasi eine Geheimwaffe.
Und was sollte das sein?
Deine letzte Erinnerung.
Ich schaute ihn an.
Was ist daran so wertvoll?
Keiner weiß was passiert ist, nur das es etwas sehr Außergewöhnliches war. Drace weiß nicht was das ist. Du schon. Und du würdest es zu deinem Vorteil nutzen.
Und ich dachte ich wäre paranoid.
Ich schüttelte erneut den Kopf.
Hm.
Wie verwandelt man sich eigentlich zurück.
Schlaf einfach. Irgendwann kommts von allein und du würdest sowieso gut daran tun zu schlafen. Das Zurückverwandeln erklär ich dir lieber wann anders. Schlaf gut, ich pass auf dich auf.
Ich schaute ihn ein wenig skeptisch an.
Ich bin ein Wolf! Ich kümmer mich um mein Rudel und du gehörst da sehr wohl dazu.
Ich nickte dankend.
Danke. Immerhin einer.
Ach komm, Arin und Roulo stehen auch hinter dir, darauf kannst du dich verlassen. Und Ketzia. Und Kristzn auch. Wir lassen dich nicht allein, Enya.
Ich schaute ihm noch kurz in die Augen, legte meinen Kopf auf meine Tatzen und schloss die Augen.
Ich war wirklich müde.
Und ich würde sicher gut schlafen. Ich fühlte mich in Pintos Gegenwart wohl, bei ihm war ich mir hundertprozentig sicher, zu wissen, wo er stand. Hinter mir. Und auch bei Arin. Roulo hatte ich noch nicht gut genug kenngelernt.
Wiederkennengelernt.
Ich verbesserte mich selbst.
Mein Leben war nicht einfach.
Aber es ist okay.
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Unforgettable ~ Memories
FantasyWas würdest du tun, wenn du eines Tages aufwachst und nichts mehr ist wie es war? Wenn du plötzlich in einer Welt bist, die du nicht kennst? Wenn du plötzlich kein Mensch mehr bist. Was würdest du tun, wenn da andere sind... Würdest du ihnen glaube...