Realität

330 14 1
                                    

Mathe. Ich habe es schon immer gehasst. Selbst mit Privatunterricht war es ein verhasstes Fach meinerseits. Ich bin zwar gut in Mathe doch mögen muss ich es deshalb nicht. Als ich den Leistungskurs betrat wurde mir mulmig zumute. Heute war mein erster richtiger Collegetag mit Unterricht. Der Raum war riesengroß mit hunderten von Plätzen die fast alle leer sind. Es waren gerade mal dreißig bis vierzig Studenten hier die alle in Grüppchen aufgeteilt saßen und sich unterhielten. Sie sahen allesamt älter aus, also mindestens im zweiten oder dritten Jahr und ich war die einzige dumme Nuss die im ersten Jahr einen Matheleistungskurs macht. Tolle Idee. Ich ging unbemerkt in eine ruhige Ecke, obwohl es war wohl eher die Mitte des Raums. Alle anderen saßen soweit weg von der Tafel wie nur möglich. Ich fragte mich auf was sie hofften, dass der Dozent sie nicht wahrnahm nur weil sie sich verkrochen ? Völliger Schwachsinn. Aber ich schätze so ist das hier wohl, wenn du dich nicht vor dem Unterricht drückst oder unbeeindruckt tust bist du ein Schleimer oder sowas. Das verhalten von Menschen zu beobachten war schon immer eines meiner Hobbys gewesen. In London saß ich mal einen ganzen Tag im Park auf dem Boden. Schon erstaunlich wie Leute dich ignorieren wenn sie dich für verrückt halten. Ich war ehrlich überrascht das mich niemand erkannt hatte, obwohl eigentlich nicht, denn ich schätze wenn du nicht in der Öffentlichkeit stehst oder du dich zurückziehst wie ich gerätst du ganz schnell in Vergessenheit. Jedenfalls saß in diesem Park ein Mann. Er trug immer ein Hemd und eine Jeans mit braunen Schuhen und wirkte sehr Geschäftlich und wichtig. Er saß jeden Tag um die gleiche Uhrzeit an der selben Stelle. Dieser Mann kam pünktlich um dreizehn Uhr starrte die meiste Zeit nur gerade aus und beobachtete ebenfalls etwas und verschwand immer um sechzehn Uhr . Er war schon etwas älter. Vierzig vielleicht oder auch etwas älter, aber er sah auch sehr einsam aus. Der Mann hatte ergrautes Haar das in alle Richtungen abstand und verwüstet aussah, dazu hatte er einen fast weißen Dreitagebart und deutlich sichtbare Lachfalten, obwohl ich stets unter einem Baum einige Meter von ihm entfernt saß konnte ich sie erkennen... er muss früher ein sehr glücklicher Mann gewesen sein. Er saß jeden Tag auf der selben morschen Holzbank und starrte nur so vor sich hin. Ich beobachtete ihn fast zwei Monate bevor ich mich zu ihm setzte. Er wirkte nicht sehr überrascht als ich ihn ansprach:

"Hallo." sagte ich zögerlich.

"Guten Tag" gab er freundlich zurück ohne die Augen von dem zu lösen was er beobachtete. 

"Darf ich fragen was sie hier jeden Tag machen?" stellte ich ihm die Frage die mich zwei Monate beschäftigt hatte.

"Siehst du die Frau dort in dem Diner ?" fragte er und deutete mit dem Kinn auf das kleine Diner auf der anderen Straßenseite. 

"Welche Frau meinen Sie, Sir?" fragte ich verwirrt. 

"Die mit den Blonden Haaren" sagte er schmunzelnd. 

Ich sah sie. Sie war wunderschön. Die Frau huschte von einem Tisch zum anderen in ihrer Kellneruniform. Sie lächelte stets und schien ein wenig zu tänzeln wenn sie etwas aufschrieb. 

"Ja ich sehe sie. Sie ist wirklich hübsch." sagte ich ehrlich und sah ihn an. 

"Ja das ist sie nicht war ? Ich traue mich nicht hinein zu gehen und ihr gegenüber zu stehen. Ich sitze jeden Tag hier und beobachte sie und ringe mit mir ihr endlich in die Augen zu sehen." sagte der Mann seufzend und ließ die Schultern hängen. 

"Sind sie in sie verliebt?" fragte ich ihn ernst. 

"Oh nein! Gewiss nicht... sie ist meine Tochter. Jessica. Ich habe sie nichtmehr gesehen seit sie Fünf Jahre alt war. Und nun ist sie eine erwachsene Frau und ich möchte mit ihr reden und ihr alles erklären..." seufzte er und ließ Jessica nicht aus den Augen. 

"Sie sollten einfach zu ihr gehen und ihr die Wahrheit sagen. Ich kenne sie zwar nicht aber ich habe das Gefühl sie würde es sicher verstehen. Sie sollten nicht soviel darüber nachdenken sondern es einfach tun." riet ich ihm und sah ihn an. Er löste seinen Blick von seiner Tochter und sah mich an.

"Wie kann ein junges Mädchen nur so erwachsen klingen ?" fragte er schmunzelnd und ich zuckte belustigt mit den Schultern. 

"Ich weiß nicht. Ich habe auch keinen Vater mehr er ist gestorben und ich weiß nicht weshalb. Aber eines weiß ich ganz genau, wenn ich Jessica wäre würde ich mir wünschen das sie eines Tages den Mut aufbringen und zu mir zurück kommen." sagte ich und schaute wieder zum Diner. 

"Danke. Jeff" stellte er sich vor und reichte mir seine Hand. ich nahm sie und schüttelte sie. 

"Gern. Katie." stellte ich mich ebenfalls vor. Jeff lächelte kurz, stand auf und ging davon. 

Am nächsten Tag ging ich in Erwartung Jeff auf der Bank zu sehen wieder in den Park. Doch heute saß er nicht auf seinem Platz. Ich schaute mich um konnte ihn aber nirgends wo sehen, also setzte ich mich auf seinen Platz. Mein Blick viel auf das Fenster von dem Diner. Ich sah Jessica mit zwei Tellern auf einen Tisch zulaufen und beobachtete wie die Gäste ihnen lächelnd dankten. Die Tür ging auf. Das war Jeff... er trat ins Diner und blieb stehen. Jessica bemerkte ihn und stutze. Er sagte etwas zu ihr und schaute ihr direkt in die Augen. Seine Worte brachten Jessica zum weinen und sie ging auf Jeff zu um ihm die Arme um den Hals zu schlingen. Jeff schaute aus dem Fenster in meine Richtung. Er sah mich an und lächelte glücklich. Ich könnte schwören das er lautlos das Wort 'Danke'sagte. Ich grinste zurück stand auf und ging nach Hause. 

Diesen Tag werde ich wohl nie vergessen. 

Ich kehrte zurück in die Realität und schaute mich um. Ich frage mich was diese Leute für eine Geschichte hatten. Der Typ mit den knallroten Haaren und Sommersprossen die sein Gesicht zierten. Er unterhielt sich aufgeregt mich seinen Freunden und nach fast jedem Satz lachte er kurz auf. Da war ein Mädchen mit Brille und Pferdeschwanz das neben einem Asiatischem Jungen saß und beide gebannt auf einen Notizblock starrten. Dann fiel mein Blick auf einen Jungen vor mir. Der musste nach mir gekommen sein, denn ich bemerkte ihn jetzt zum ersten mal. Er saß schräg vor mir und hatte hellbraune Haare und starrte an die Tafel. Ich musterte ihn genauer und sah das er einen Lippenring hatte. Normalerweise fand ich so etwas eher nicht so schön doch ihm stand das wirklich gut und er sah aufregend aus.... Stopp Katie du hast einen Freund! Du solltest ihn nicht so anstarren das endet nur peinlich ... 

Die Stunde hatte angefangen doch ich konnte mich kein bisschen konzentrieren, denn meine Gedanken kreisten nur um den Jungen vorher. Egal wie sehr ich versuchte ihn zu ignorieren mein Blick huschte immer häufiger zu ihm ... was hatte er nur an sich was ihn so interessant machte. Der Dozent dessen Namen ich nicht mitbekommen hatte drehte sich zur Tafel und erzählte irgendwas von wegen ... ach keine Ahnung. Mathezeugs. Ich genehmigte mir noch einen Blick auf den unbekannten und musterte ihn. Er trug ein grünes Sweatshirt und darunter ein weißes Shirt. Ich lehnte mich etwas vor und stellte fest das er eine schwarze Hose und weiße Schuhe trug. Wegen des Lippenrings hätte ich ihn ehrlich gesagt mehr als so genannten Bad Boy gehalten. Doch nun wirkte er weniger 'Bad'. 

Als die Stunde endete bemerkte ich das ich wirklich rein garnichts vom Unterricht mitbekommen hatte und seufzte. Ich beobachte wie der Junge, der mich um meine Mathekenntnisse gebracht hatte den Hörsaal verließ und schaute ihm gebannt nach. Doch ich fing mich wieder und schüttelte meine Gedanken an ihn ab. Es konnte doch nicht sein das er mich so aus der Bahn werfen konnte ... ich kenne ihn doch garnicht! 


Tochter der Queen✅Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt