Kapitel 12

52 7 6
                                    

Wir sassen im Kreis rund um das Feuer und sangen. Es fühlte sich an wie Therapie. Ich weiss nicht, vielleicht klingt das ja lächerlich, aber ich glaube es war das, was wir im Moment alle brauchten. Musik beruhigt. Sie heilt. Wir konnten nicht darüber sprechen, was passiert war und schon recht nicht darüber, was hätte passieren können. Wir wollten es auch nicht. Denn wir waren nicht bereit dazu. Aber wir mussten auch nicht darüber sprechen, denn jeder verstand, was gerade im Anderen vorging. Das einzige, was wir tun konnten um uns, aber vor Allem auch Chloe zu helfen, war zu singen. Denn dann und nur dann, war sie in ihrem Element. Nicolas schnappte sich die Gitarre und begann zu spielen. Ich erkannte das Lied sofort. Es war eher unbekannt aber ich liebte es. (Song: Memories – Damian Lynn)

In these days,
I start to look back at my life and I'm amazed,
Not many things turned out the way I expected,
Abandoned hope and shattered dreams,
All the love that
I rejected,
And from a distance it all seems,
Like a movie, in which I did not get the lead,
Like the beauty, but I'm the beast who had to blead,
So it's my duty, to regard it as a time,
When I thought the world was mine,
But now I see that I've been blind

Today, I put my memories in the bag,
Then I mark it with a tag, and I deck it out with flags,
Today, I will wallow in memories
Each day, from the first to the last,
take a look at the past, it all happened so fast,
Each day, I will wallow in memories

It's alright, if you pine for those old days,
But you might, leave it just the way it is,
'cause many things, turned out better in the end,
let's see what the future brings,
look ahead and spread your wings.

Today, I put my memories in the bag,
Then I mark it with a tag,
and I deck it out with flags,
Today, I will wallow in memories
Each day, from the first to the last,
take a look at the past, it all happened so fast,
Each day, I will wallow in memories

I take a look at the past like it's a postcard,
I collect it and keep it in my storage yard,
Once in a while I throw away the bad ones and I,
I will wonder when the next comes

Today, I put my memories in the bag,
Then I mark it with a tag,
and I deck it out with flags,
Today, I will wallow in memories
Each day, from the first to the last,
take a look at the past, it all happened so fast,
Each day, I will wallow in memories

Ich denke es ging uns allen gleich als wir dieses Lied sangen. Wir alle dachten daran, wie der Tag heute so anders endete, als wir alle dachten. Wir würden nicht darüber sprechen, wir schlossen einen Packt, ohne ihn auszusprechen. Ab morgen würde dieser Tag gestorben sein. Nie existiert.

Sara unterbrach uns heute Nacht mal ausnahmsweise nicht, sie sagte uns nicht alle fünf Minuten, dass es langsam Zeit wurde. Sie sass bei den anderen Leitern, ein Stück entfernt und betrachtete uns mit besorgten Blicken. Das Feuer war mit der Zeit immer kleiner geworden, auch wenn sich Hannes alle Mühe gab, es am Leben zu erhalten und so rückten wir einfach immer näher zueinander. Ich glaube irgendwann bin ich eingenickt. An Roys Schulter gelehnt.

***

Ich sah sie hängen.

Ich konnte nichts tun.

Meine Füsse waren wie festgewachsen.

Ich wollte zu ihr rennen, sie daraus holen, aber es ging nicht.

Ich blickte nach unten und erkannte, dass meine Füsse wirklich festgewachsen waren.

Festgewachsen am Boden, der mich langsam immer tiefer in sich hineinzog.

Ich schreckte hoch. Schwer atmend blickte ich mich umher. Das Feuer war erloschen und die Anderen schliefen alle halb liegend, halb sitzend. Ich löste mich vorsichtig aus Roys Armen und schlich mich leise davon. Ich lief zum Fluss, setzte mich auf einen Stein und sah, wie sich die Sterne im Wasser spiegelten.

Es war nur ein Traum.

Ein Albtraum.

Eigentlich nichts Ungewohntes für mich. Ich hatte schon immer Albträume, schon als kleines Kind und sie plagten mich immer und immer wieder. Wenn etwas noch so kleines passierte wusste ich, dass ich in der Nacht darauf nicht schlafen können würde. Ich kann mich zum Beispiel an einen Traum erinnern, indem ich von meiner Matheprüfung verspeist wurde. Oder wie eine Freundin mir nach einem Streit im Traum alle Haare ausriss. Aber sie waren nie extrem real und langsam war ich beinahe schon daran gewohnt.

Als ich noch kleiner war, kroch ich danach immer zu meinem Vater ins Bett und meine Mutter kochte mir eine Honigmilch. Danach konnte ich weiterschlafen.

Ich behielt diese Gewohnheit bei, auch als mein Vater nicht mehr bei uns schlief. Ich ging nach unten und kochte meine Honigmilch. Ich probierte mir einzureden, dass er sowieso nichts mit der Wirkung zu tun hatte sondern die Honigmilch alleine mir geholfen hatte. Obwohl ich genau wusste, dass das nicht stimmte. Aber wie ist das mit der Psyche? Sie glaubt das, was ihr hilft, auch wenn man tief im Inneren weiss, dass das nicht die Wahrheit ist.

Aber ich schaffte es. Ich trickste sie aus, meine Psyche, immer wieder. Indem ich mir immer wieder vorhielt, dass mein Vater das grösste Arschloch aller Zeiten sei und alle meine guten Erinnerungen seien nur Einbildung gewesen.

Aber mein Dad war kein schlechter Kerl. Er war kein Arschloch, so sehr ich es auch glauben wollte meiner Mutter zuliebe. Sosehr ich ihn dafür hassen wollte. Aber er war nicht so. Er hatte einen Fehler gemacht. Einen Fehler, den er nie wieder gut machen kann aber jeder macht Fehler, das zeigt nur dass er menschlich ist.

Er war für mich immer der beste Vater gewesen, den man sich wünschen kann. Wir waren seine kleinen Prinzessinnen. Rosalie und ich waren sein ein und alles gewesen. Und natürlich Mama. Aber ich glaube er hat uns schon immer mehr geliebt, als er unsere Mutter geliebt hat. Rosalie und Amelie. Wer tauft seine Kinder schon so? Naja niemand, ausser unser Dad. Er trug uns auf Händen und war für uns da. Unser Held. Schon immer.

Ich denke, dass diese Zeit sehr schwer war für meine Mutter. Aber ich weiss es nicht. Wir haben nie darüber gesprochen. Denn das Thema Dad ist wie ein Mienenfeld, das ich nicht betraten kann oder will. Aber ich stell mir es hart vor, wenn man selbst sieht, dass der Mann den man liebt, langsam anfängt einen nicht mehr zu lieben. Dass der Mann den man liebt, eigentlich nur noch bei dir bleibt für seine Töchter. Dass man den Mann den man liebt viel mehr liebt, als er dich lieben kann.

Meine Mutter hätte mehr verdient. Sie hat schon immer mehr Liebe gegeben, als sie von uns bekam.

All diese Dinge, die Töchter eigentlich mit ihrer Mutter tun, taten wir bei unserem Vater. Wenn ich einen Albtraum hatte, kroch zu ihm unter die Bettdecke und sie kochte Milch. Wenn ich hinfiel und mich verletzte schrie ich nach meinem Vater, der mich tröstete, während sie die Wunde verarztete.

Ich war schon immer ein Papakind. Bis zu diesem einen Tag. Dem Tag, seit dem ich probiere meinen geliebten Vater zu hassen, aus Liebe zu meiner Mutter. Obwohl ich weiss, dass sie ihn nicht hasst, und dass sie nicht will das wir ihn hassen. Ich will Mama damit die Liebe zurückgeben, die sie mir gegeben hat, ich aber nie gleich stark erwidert hatte.


Kiss me under the  light of a thousand starsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt