×Komm, zünden wir unsere Seelen an, nur zum Spaß
Das animalische Funkeln in deinem Blick, als wir auf unserem Dach standen. Unserem Dach. Ich hab die Wohnung noch nicht verkauft, aber ich wohne nicht in ihr. Alles ist so wie es immer war. Und es kommen zu viele Erinnerungen hoch, wenn ich die Wohnung bloß betrete. Zu viele gut Erinnerungen.
Die Flammen der Feuerzeuge flackerten in der warmen Brise, die auch meine Haare verwehten.
Du hast gegrinst, dein Grübchen hat sich gezeigt und ich verlor mich in deinem Blick. Du magst für einen Außenstehenden angsteinflössend gewirkt haben. Wie da standest, mit deinem Brief in den Händen und die kleine Flamme tiefe Schatten in dein kantiges Gesicht warf. Die hohen Wangenknochen, die dich noch hagerer erschienen ließen. Deine vollen Lippen, die immer offen und blutig waren, ob von meinen oder deinen eigenen nervösen Bissen, war nie klar. An diesem Abend hattest du auch ein blaues Auge, das selbst die Dunkelheit und der blasse Schein des Feuerzeugs nicht Kaschieren konnten. Ich hatte dich gefragt, woher du es hattest, doch du hast bloß gelächelt und gesagt:
"Ach, Darlin. Das willst du doch gar nicht wissen", und ich hab dir geglaubt. Ich wollte es nicht wissen. Aber ich hab es immer gewusst, dass du mit Ivan Probleme hast. Schwerwiegende Probleme. Ich wusste es, seit du das erste Mal mit einem Veilchen heimgekommen bist.
Es war wieder so ein Tag, an dem uns einfach so Vieles zu viel wurde und wir uns aufs Dach legten und redeten. Nach einer langen Pause, in der wir bloß den Himmel angestarrt hatten hab ich dich gefragt:
"Willst du reden?" Und du hast geantwortet:
"Ich möchte schreien. Oder komm, zünden wir unsere Seelen an, nur zum Spaß"
Und ich war aufgestanden, hatte die Feuerzeuge geholt, Papier und Stifte gleich dazu. Wir hatten diesen Dialog schon so oft geführt. Und immer kam das Gleiche raus. Wir schrieben uns stumm Briefe, mit Dingen, die wir uns nicht sagten. Dingen, die unsere Geheimnisse waren. Jeder Mensch braucht Geheimnisse und du brauchtest eben mehr, als andere. Deine Geheimnisse waren genauso ein Teil von die wie die Narbe über deiner Augenbraue, dein Grübchen und deine hohen Wangenknochen.
Ich habe es früher nie verstanden, wieso du alles von mir wusstest und ich nichts von dir. Bis mir auffiel, dass ich mehr wusste als alle anderen. Deinen Namen. Deine Herkunft. Nicht alles, aber mehr. Und mir fiel auch auf, dass auch ich Geheimnisse hatte. Nicht viele, keine wichtigen und doch genug. Man könnte jetzt denken, wir kannten uns nicht, mein Schatz. Aber wir haben uns gekannt. wir kannten uns in diesem Moment, keine Vergangenheit oder Zukunft zählte. Denn wir kannten uns im Moment.
Ich habe meinen Brief verfasst, so wie diesen hier, und doch anders. Anders, weil er weniger persönlich war. Manchmal hab ich dich in diesen Briefen bloß beschimpft, andere waren Liebesbriefe. Und alle haben wir sie verbrannt. Ohne je ein Wort von ihnen vorgelesen haben haben wir sie mit unseren flackernden Feuerzeugen in Brand gesteckt und sie in Asche verwandelt, sodass nie wieder ein Wort davon zu lesen sein wird.
All diese Worte standen zwischen uns und haben uns doch nur näher zusammengebracht. Wir wussten, dass wir nicht perfekt waren und genau das war unser Glück. Wir wollten nicht perfekt sein.
Und ich starre an die Eingangstüre unserer Wohnung und das Flackern der Feuerzeuge, dein Funkeln in den Augen und die nie gesagten Worte unserer Seelen, die so wunderschön gebrannt hatten, hielten mich davon ab, den Schlüssel in das Schloss zu stecken und nach so langer Zeit, unsere Wohnung zu betreten.
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Wo fängt dein Himmel an?
General FictionEs sind Dinge, die ich dir nie erzählen konnte. Ich hätte sie dir erzählen sollen, aber jetzt ist es zu spät. Und ich glaube, es tut mir sogar leid, dass ich sie dir nicht erzählt habe. Ich weiß nicht, ob es mir leid tut. Weißt du, was das Schönste...