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Ich drehte mich mit einem Ruck vom Fenster weg. Warum riss ich die alten Wunden wieder auf? Aber noch während ich mich deswegen tadelte, zog ich die dünne Goldkette hervor, die ich unter meinem Hemd trage. Mit Daumen und Zeigefinger strich ich zärtlich über den Ring, der daran hing, dann hielt ich ihn hoch ins Licht.

Der Ring ist aus Gold und wunderschön. Selbst fünf Jahrhunderte haben seinen Glanz nicht trüben können. Ein tiefgrüner Stein, ein Lapislazuli von der Größe meines Fingernagels, war darin eingearbeitet. Ich betrachtete den Ring und dann den schweren Silberring mit dem gleichen Edelstein, den ich an meiner Hand trage. Ein altbekannter schmerz breitete sich in meiner Brust aus.

Ich kann die Vergangenheit einfach nicht vergessen und im Grunde will ich es gar nicht. Trotz allem, was geschehen war, war mir Mikaylas andenken Lieb und teuer. Aber es gab eine Erinnerungen, an die ich nicht rühren durften. Wenn ich diesen Horror noch einmal durchleben müsste, würde ich wahnsinnig werden. So wahnsinnig, wie ich an jenem Tag gewesen war, an jenem letzten Tag, als ich meine eigene verdammnis besiegelte...

Ich lehnte mich an das Fenster. Ich presste meine stirn gegen die kühle scheibe. Mein Lehrer hatte noch ein anderes Sprichwort gekannt: >>Das böse wird niemals Frieden finden. Es mag Triumphieren, aber Frieden wird es niemals finden.<<

Warum bin ich überhaupt nach Fell's Church gekommen?

Ich habe gehofft, hier Ruhe zu finden, aber das war unmöglich. Ich werde niemals akzeptiert werden, nie ausruhen dürfen. Denn ich bin das Böse. Und ich kann nicht ändern, was ich bin.

-Mandys sicht-

Ich stand diesen Morgen früher auf als sonst. Ich hörte, wie Tante Bella in meinem Zimmer herumkramte und sich für die dusche fertig machte. Beth schlief noch fest. Ich schlich leise an der halb geöffneten Zimmertür meiner schwester vorbei, ging zur Eingangstür und verließ das Haus.

Die Luft war frisch und klar. Im Quittenbaum saßen nur die üblichen Eichenhäher und Spatzen. Ich, die mit stechenden Kopfschmerzen zu Bett gegangen war, blickte in den strahlend blauen Himmel und atmete tief ein.

Ich fühl mich viel besser als gestern. Vor der Schule habe ich mich mit Matt verabredet. Obwohl ich mich nicht gerade auf die Begegnung freue, bin ich sicher, das alles glattgehen wird. Matt wohnt nur zwei Straßen von der High school entfernt. Es ist ein einfaches, kleines Haus wie die meisten in dieser Gegend, nur ein wenig ungepflegter als die anderen. Hier und da blätterte die Farbe ab und die Ketten der Schaukel auf dem Hof waren verrostet. Matt stand schon draußen. Als ich ihn sah, tat mein Herz wie gewohnt ein freudigen kleinen Sprung.

Er sieht wirklich gut aus. Daran gibt es keinen Zweifel. Matts blondes Haar ist während der Footballsaison ganz kurz geschnitten. Er ist tiefbraun, weil er in seiner Freizeit draußen auf der Farm seiner Großeltern arbeitet. Der Blick seiner blauen Augen ist ehrlich und offen. Und heute, als er die arme nach mir ausstreckte, um mich sanft an sich zu ziehen, auch ein ganz klein wenig traurig.

>>Willst du reinkommen?<<
>>Nein. Lass uns ein Stückspazieren gehen<<, erwiderte ich. Wir gehen nebeneinander, ohne uns zu berühren. Ahornbäume und schwarze Wallnusbäume säumten die Straße, die noch von morgendlicher Stille erfüllt ist. Ich betrachtete meine Füße auf dem nassen Asphalt und plötzlich bin ich sehr unsicher. Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll.

>>Du hast mir immer noch nichts von Frankreich erzählt<<, begann Matt. >>Ach, das war toll.<<
Ich sah ihn von der Seite an. Matt starrte auf den Bürgersteig. >>Alles war super<<, fuhr ich fort und versuchte, etwas mehr Begeisterung in meine Stimme zu legen. >>Die Leute, das Essen, einfach alles. Es war echt....<<
Meine Stimme verlor sich und ich lachte nervös. >>Ja, ich weiß. Super<<, beendete Matt den Satz für mich. Er blieb stehen und blickte auf seine abgenutzten Tennisschuhe. Sie waren noch vom letzten Jahr. Matts Familie kam gerade so über die runden. Vielleicht hat er sich keine neuen Schuhe leisten können. Ich sah auf und merkte, dass sein Blick auf mich gerichtet ist.

>>Und du, du siehst heute richtig Super aus<<, sagte er leise. Ich öffnete den Mund, um zu protestieren, doch Matt kam mir zuvor. >>Wahrscheinlich hast du mir was zu sagen.<< Ich starrte ihn an und er lächelte ein wenig traurig. Dann streckte er wieder die arme aus. >>Oh, Matt.<<
Ich umarmte ihn fest. Ich trat einen Schritt zurück und sah ihm in die Augen. >>Matt, du bist der netteste Typ, den ich jemals getroffen habe. Ich verdiene dich gar nicht.<<

>>Ach, deshalb machst du schluss mit mir?<<, antwortete er, als wir weitergingen.>>Weil ich zu gut für dich bin? Das hätte mir schon früher klar werden sollen.<<
Ich boxte ihn sanft in den arm. >>Nein, das ist es nicht. Und ich mache auch nicht schluss mit dir. Wir bleiben Freunde, Okay?.<<

>>klar. Aber sicher doch.<<
>>Mir ist nämlich aufgefallen, das wir da sind<<. Ich blieb stehen und sah ihn wieder an. >>Gute Freunde. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Sei ehrlich, Matt. Geht es dir nicht wie mir? Empfindest du nicht im Grunde auch nur Freundschaft für mich?<<
Er runzelte die Stirn. >>Dein plötzlicher Entschluss hat nicht zufällig mit dem neuen Typen zu tun?<<
>>Nein<<, antwortete ich nach kurzem zögern, dann fuhr ich schnell fort: >>Ich kenne ihn doch gar nicht<<.

>>Aber du willst ihn kennenlernen. Nein, sag nichts.<<
Er legte mir den arm um die Schulter und drehte mich sanft um. >>Machen wir uns auf den Schulweg. Wenn noch Zeit bleibt, spendiere ich dir sogar noch einen Doughnut.<<
Während wir weiter gingen, raschelte es heftig im Wallnussbaum über uns. Matt pfiff leise und deutete nach oben. >>Schaul mal, das ist die größte Krähe, die ich je gesehen hab<<.
Ich hob den Blick, aber der Vogel war schon fort.

Die Schule dient mir an diesem Tag nur dazu, meinen Plan zu verwirklichen. Gleich nach dem aufwachen heute Morgen habe ich genau gewusst, was zu tun ist: Heute werde ich so viele Informationen wie möglich zum Thema Mario Götze sammeln. Das stellt sich als nicht als allzu schwer heraus, denn jeder auf der Robert-Lee-Highschool redet über ihn.

Im Zwielicht (Marco Reus & Mario Götze Fanfic)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt