Liebes Tagebuch, 4 Januar
Heute wird etwas schreckliches passieren.
Warum habe ich diesen Satz geschrieben? Es ist absurd, denn es gibt keinen Grund für mich, mir sorgen zu machen. Eher tausend Gründe, mich zu freuen, aber...ich schaue auf den Wecker. Halb sechs Uhr morgens. Ich liege im Bett, bin hellwach und fürchte mich. Immer wieder rede ich mir ein, dass ich nur total durcheinander bin wegen des Zeitunterschieds zwischen Deutschland und hier. Aber das erklärt noch lange nicht, warum ich solche Angst habe. Und mich so entsetzlich verloren fühle.
Vorgestern, als ich mit Tante Bella und Beth vom Flughafen kam, hatte ich schon diese merkwürdige Vorahnung. Wir bogen in unsere Straße ein und ich dachte: Mom und Dad warten zu hause auf uns. Ich wette, sie stehen schon ungeduldig auf der Veranda oder hinter dem Wohnzimmerfenster. Sie haben uns sicher schrecklich vermisst.Ich weiß. Das hört sich total verrückt an.
Doch selbst als ich das Haus sah und die leere Veranda, ließ mich dieses Gefühl immer noch nicht los. Ich rannte die Stufen hoch und bämmerte gegen die verschlossene Tür. Als Tante Bella aifschloss, stürmte ich hinein und blieb mitten im Flur stehen. Ich lauschte und erwartete jeden Moment, dass Mom die Treppe herunterkommen oder Dad aus dem Wohnzimmer nach uns rufen würde.
Genau in diesem Moment ließ Tante Bella mit einem lauten knall einen Koffer hinter mir fallen, seufzte und sagte: >>Gott sei Dank. Wir sind wieder Zuhause.<< Beth lachte. Und ich? Ich fühlte mich so verlassen und allein wie noch nie in meinem leben.
Zuhause. Ich bin wieder Zuhause. Warum klingt das wie eine Lüge?
Ich wurde hier in Fell's Church geboren und habe immer in diesem Haus gelebt. Da ist mein altes Zimmer mit dem Brandfleck auf den dielenbrettern, der entstanden war, als Gina und ich unsere ersten Zigaretten geraucht hatten und dabei fast erstickt wären. Ich kann aus dem Fenster schauen und den großen Baum sehen, den Matt und seine Freunde hochgeklettert sind, um in die Pyjamaparty an meinem Geburtstag vor zwei Jahren platzen, die ich nur für Mädchen hatte steigen lassen. Das ist mein Bett, mein Stuhl, mein Schrank.
Alles kommt mir jetzt so fremd vor, als ob ich nicht hierher gehören würde. Und das schlimmste ist, ich fühle eine schreckliche Sehnsucht.
Irgendwo anders ist mein Platz, aber ich kann diesen Ort nicht finden.
Ich war gestern zu müde, um in die Einführungsveranstaltung zu gehen. Beth hat den Stundenplan für mich aufgeschrieben, aber ich hatte keine Lust, mit ihr am Telefon zu reden. Tante Bella hat jedem, der anrief, erzähl, das ich noch sehr unter der Zeitverschiebung leide und schlafen würde. Aber beim Abendessen hat sie mich mit nachdenklichem Blick beobachtet.
Heute muss ich mich der Clique stellen. Wir wollen uns vor der Schule auf dem Parkplatz treffen. Warum habe ich solche Angst? Fürchte ich mich etwa vor ihnen?
Ich hörte auf zu schreiben. Ich starrte mit gezücktem Stift auf den letzten Satz in dem kleinen Buch mit dem blauen samteinband und schüttelte den Kopf. Plötzlich richtete ich mich auf und warf Stift und Buch gegen das große Panoramafenster, wo sie abprallten und auf dem gepolsterten Fenstersitz landeten.
Es war alles total verrückt.
Seit wann hatte ausgerechnet ich scheu davor, Menschen zu treffen? Seit fürchtete ich mich buchstäblich vor allem? Ich stand auf und zog ärgerlich meinen roten Seiden-kimono über. Dabei brauchte ich gar nicht in den Kunstvoll gearbeiteten viktorianischen Spiegel über der ankleidekommode aus Kirschholz zu schauen. Ich wusste, was ich sehen würde: Mandy Sierra Grimes, cool, beliebt, braun/blond, schlank.
Die Trendsetterin, was Mode betraf. Die oberschülerin, mit der jeder Junge ausgehen wollte und an deren stelle sich jedes Mädchen wünschte. Die im Moment jedoch die Stirn runzelte und den Mund zusammenkniff.
Ein heißes Bad, ein starker Kaffee, und ich bin Wieder ich selbst, dachte ich. Die morgentliche Routine von duschen und anziehen wirkte beruhigend auf mich. Ich ließ mir zeit und wühlte gemächlich in meinen neuen sachen Sachen aus Paris. Schließlich wählte ich ein schwarzes top und einer weißen Jeans. Gut siehst du aus, richtig zum anbeißen, dachte ich, und mein Spiegelbild zeigte mir ein selbstbewusstes Mädchen mit einem heimlichen lächeln auf dem Gesicht. Meine sorgen schienen wie weg geblasen.
>> Mandy! Wo steckst du? Du wirst noch zu spät zur schule kommen << Tante Bella's stimme dring schwach von unten herauf. Ich fuhr mir ein letztes mal mit der bürste durchs Haar und bändigte es mit einem zu meinem Top passenden Band. Dann schnappte ich mir meine Tasche und lief die Treppe hinunter.
In der Küche saß die vierjährige Beth am Tisch und aß Cornflakes. Tante Bella bruzelte irgendwas auf dem Herd. Auf ihrem schmalen, gütigen Gesicht lag wie immer ein nervöser Schatten, und ihr dünnes, flatterndes Haar war zu einem Knoten zurückgebunden, der sich schon wieder auflöste. Ich küsste sie leicht auf die Wange.
>> Morgen alle miteinander. Tut mir leid, ich habe keine Zeit mehr zu frühstücken.
>> Aber Mandy, du kannst doch nicht mit leerem Magen....du brauchst doch Vitamine....>>Ich werde mir vor der Schule etwas in der Bäckerei kaufen.>>Aber mandy.... >>Und ich werde nach der schule vermutlich zu Roxy oder Jess gehen, also wartet nicht mit dem Essen auch mich Tschüss >>Mandy..... Doch ich war schon an der Haustür. Ich trat auf die Veranda, schloss die hinter mich....und blieb stehen.