Kapitel 4

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Die Titelmelodie von Herr der Ringe schlug mir entgegen, als ich unsere Haustür aufschloss. Die Sonne war bereits untergegangen und in meinem T-Shirt hatte ich irgendwann angefangen zu frösteln. Das war der Moment gewesen, als Jacky beschlossen hatte, nach Hause zu gehen. Sie war intelligenter gewesen und hatte eine Jacke dabei gehabt, die sie mir auch geben wollte, doch sie passte mir hinten und vorne nicht.

„Hallo", schrie ich durchs Haus. Flurina streckte den Kopf aus dem Wohnzimmer. Sie sah nicht gut aus. Unter ihren Augen hatte sie dunkle Ringe und sie schien geweint zu haben.

„Alles okay?" Ich schlüpfte aus meinen Schuhen und ging zu ihr hin. Sie schüttelte nur den Kopf.

„Was ist passiert?", fragte ich sie sanft und nahm sie in den Arm. Sie vergrub ihr Gesicht an meiner Schulter. Ich strich ihr beruhigend über den Rücken.

„Mum und Dad wollen mir die Musikstunden streichen", brachte sie irgendwann heraus. Ich wusste natürlich, wie sehr Flurina an ihrem Gesangsunterricht hing. Sie sang für ihr Leben gerne. Früher habe ich sie oft auf dem Cello begleitet, während sie gesungen hat. Zwischendurch haben wir auch versucht eigene Lieder zu komponieren, doch die meisten Versuche sind relativ kläglich gescheitert. Jedenfalls bedeutete ihr die Musik genauso viel wie mir und es war ziemlich gemein von meinen Eltern, ihr damit zu drohen, die Gesangsstunden zu streichen.

„Wieso?", fragte ich ruhig.

„Weil ich nicht auf sie gehört habe." Sie schluchzte leise.

„Wegen Amir?"

Sie nickte. Ich stöhnte kaum hörbar auf. „Hör zu, Flurina, ich bin von dem Typen auch nicht gerade begeistert. Mum und Dad machen sich doch bloss Sorgen um dich. Ich kann sie verstehen."

Sie schaute mich aus verweinten Augen an. „Amir ist nicht so, wie ihr alle denkt."

„Vielleicht. Aber du bist erst vierzehn, Süsse. Bei einem Jungen zu übernachten, den wir noch nicht einmal richtig kennen gelernt haben, ist meiner Meinung nach nicht die beste Idee, die du je hattest."

„Als hättest du nicht auch schon bei einem Mädchen übernachtet!", entgegnete sie laut.

„Ich habe nie etwas anderes behauptet. Aber erstens war ich damals älter als du jetzt und zweitens bin ich ein Mann."

Sie verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. „Na und?"

„Ich will dich hier jetzt nicht aufklären, das hast du alles schon mal gehört, aber ich möchte dich einfach daran erinnern, dass sich viele Jungs etwas anderes unter einer Beziehung vorstellen als du dir vielleicht."

Sie befreite sich endgültig aus meinen Armen. „Ich kann gut auf mich selbst aufpassen!"

„Daran zweifle ich nicht. Aber sei vorsichtig, ja?"

Sie nickte und wischte sich die Tränen weg. „Meinst du, ich kann Mum und Dad dazu bringen, dass ich doch noch in die Stunden gehen darf?"

Ich zuckte mit den Schultern. „Ich weiss nicht, aber du kannst es versuchen."

„Sie werden es sowieso nicht erlauben", murmelte sie niedergeschlagen.

„Denk doch mal ein bisschen positiv! Ein Versuch ist es wert."

Sie dachte einen Moment lang über meine Worte nach, dann nickte sie leicht. „Okay."

Ich lächelte und dann schauten wir uns gemeinsam Herr der Ringe an. Der Film gehörte zu meinen Lieblingsfantasyfilmen und ich hatte ihn bestimmt schon hundert Mal gesehen, aber er war immer wieder spannend. Flurina erschrak immer noch bei den gleichen Stellen wir beim ersten Mal, als wir den Film geschaut hatten. Ich zog sie grinsend an mich und sie lehnte sich gegen meine Schulter.

Mein Lied für dichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt