Kapitel 15

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Ausgestreckt lag ich auf meinem Bett und wartete auf eine Nachricht von Jacky. Sie meldete sich nicht, aber es musste irgendetwas passiert sein, ich spürte es einfach.

Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und rief sie an. Sie nahm nicht ab. Am liebsten hätte ich geschrien vor Frustration. Das war doch nicht möglich!

Jacky, was ist passiert? Bitte melde dich!

Schrieb ich ihr eine SMS. Ich wartete und wartete, doch es kam keine Antwort. Ich machte mir langsam richtig Sorgen. Es machte mir Angst so absolut nichts von ihr zu hören.

Mein Herz schlug wie wild und meine Gedanken rasten, als es unten an der Tür klingelte. So schnell ich konnte sprang ich hoch und rannte die Treppe hinunter. Flurina war eine halbe Sekunde eher an der Tür und öffnete. Ich hätte wirklich am liebsten geheult, als ich sah, wer vor dem Haus stand.

„Hau ab, Amir!", sagte meine Schwester bestimmt und wollte ihm die Tür vor der Nase zuschlagen, als er den Fuss dazwischen stellte.

„Warte, ich kann dir das alles erklären! Es ist nicht so, wie du denkst. Wirklich nicht!"

Flurina stemmte wütend die Hände in die Seiten. „Du hast mich einfach ausgetauscht und dann sitzen gelassen. Wie kann man das falsch verstehen?"

„Bitte, habe ich denn keine zweite Chance verdient? Wir lieben uns doch."

Er sah wirklich kläglich aus, wie er da im Türrahmen stand und meine Schwester anflehte ihm noch eine Chance zu geben.

Flurina lachte nur auf. „Es hat nie wirklich ein Wir gegeben! Du hast mich doch bloss gebraucht, weil du von meiner Familie profitieren konntest! Glaub mir, so jemand hat keine zweite Chance verdient!" Sie schaute ihm voller Zorn in die Augen. „Und jetzt verschwinde!", schrie sie und stiess ihn von der Tür weg. Amir wollte etwas erwidern, doch sie liess die Tür krachend ins Schloss fallen und lehnte sich erschöpft dagegen. Ich trat auf sie zu. Sie schaute zu mir hoch.

„Du hast das Richtige getan", sagte ich leise und legte ihr die Hände auf die Schultern. Sie liess den Kopf sinken. „Ihr hattet von Anfang an recht. Ich war so blöd!" Wütend wischte sie sich die Tränen vom Gesicht.

„Liebe macht blind."

Sie verdrehte die Augen. „Hör auf mit diesen doofen Sprüchen! Die bringen einem gar nichts!"

Ich lächelte und schloss sie in die Arme. Sie drückte sich kurz an mich, dann löste sie sich wieder von mir. „Ich muss mit Mum und Dad reden", erklärte sie leise.

Ich nickte. „Gute Idee."

Sie warf mir noch einen kurzen Blick zu, bevor sie ins Wohnzimmer ging. Ich schaute ihr nach und zog mich dann wieder in mein Zimmer zurück. Es war noch immer keine Nachricht auf meinem Handy. Enttäuscht liess ich es sinken und stellte mich ans Fenster. Draussen regnete es, wie so oft in diesen Sommerferien. Die Tropfen klatschten gegen die Scheibe und liefen in kleinen Rinnsalen daran hinunter. Gedankenversunken stand ich da und schaute dem Regen zu.

Zuerst drang die Melodie gar nicht richtig in mein Bewusstsein vor, doch irgendwann schreckte ich hoch und sah auf mein Handy. Jackys Name leuchtete auf dem Display auf. Mit zitternden Fingern nahm ich den Anruf entgegen.

„Jacky, wie geht es dir?", fragte ich sofort beunruhigt.

Es dauerte eine Weile, bis sie antwortete. „Es geht", sagte sie leise.

Ich horchte auf. „Was soll das heissen?" Eigentlich war ich mir nicht sicher, ob ich die Antwort auf diese Frage überhaupt kennen wollte.

Sie brauchte lange, um wieder sprechen zu können. „Die Chemotherapie schlägt nicht an. Meine Krebszellen vermehren sich unaufhaltsam. Die Ärzte sind mit ihrem Latein am Ende." Ihre Stimme bebte und brach schliesslich weg.

Mein Lied für dichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt