4: Allein

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Ich saß, wie immer eigentlich, allein im großen Wohnzimmer meines Vaters. Das kalte Leder der großen, weißen Couch brannte sich regelrecht in meine Handflächen, als ich begann alles zu realisieren. Stegi hatte mich allein gelassen. Genau wie mein Vater mich immer allein ließ- wie jeder mich allein ließ.
Der Raum begann plötzlich kleiner zu werden und ich spürte wie mein Körper sich anspannte. Ich begann hektisch nach Luft zu schnappen und meine Fingernägel bohrten sich unkontrolliert in die teure Couch, auf der ich noch immer saß.
"Daddy.." Flüsterte ich. "Hilf mir."
Natürlich kam mein Vater mir nicht zur Hilfe. Er saß vermutlich in seinem großen, hellen Büro und dachte an alles mögliche, außer an mich. Möglicherweise interessierte es ihn nicht einmal, dass ich hier saß und wieder einmal eine Panikattacke durchlitt.
Ich wollte aufstehen, ich wollte in mein Zimmer verschwinden und ich wollte nie wieder heraus kommen. Gut, vielleicht wollte ich auch noch zur Klinge greifen.
Trauriger Weise gelang mir nichts von all dem.
Stattdessen fand ich mich kurze Zeit später immer noch im Wohnzimmer wieder, nur hatte ich mich in die kleinste Ecke gekauert und wartete nun.
Worauf ich wartete? Naja, ich war mir nicht sicher. Vermutlich wartete ich darauf, dass diese Attacke vorüberging. Vielleicht wartete ich aber auch nur auf meinen Tod.
Ich presste meine Handflächen auf meine Ohren und meine Augen drückte ich, fest zusammengekniffen, auf meine Knie. Dann begann ich leicht vor und zurück zu schaukeln.
"1.. 2.. 3.." Ich zählte ganz leise mit.

Das Nächste, woran ich mich erinnern konnte war, dass ich mitten in der Nacht in der selben Ecke aufwachte.
Mein Pullover war total nass geschwitzt, dennoch fror ich.
Und als wäre das noch nicht genug, war da auch noch dieses Verlangen in mir. Das Verlangen mich zu verletzen.
Ich zwang mich also aufzustehen und stakste in mein Zimmer.
Mein Zimmer war viel zu groß. Es war so leer mit meinem Schreibtisch in einer Ecke, der kleinen Couch daneben und meinem Bett an der anderen Seite des Raumes. Das einzige was mir gefiel war die große Fensterbank, die ich mit ein paar Kissen und Decken ebenfalls in eine Art Sofa verwandelt hatte. Ich würde vermutlich mein ganzes Leben darauf verbringen.
Ich lief jedoch auf mein ebenfalls viel zu großes Bett zu und zog einen kleinen Karton darunter weg. Der Karton war voller Sachen, die meiner besten Freundin Romy gehört hatten, vereinzelt befanden sich auch Erinnerungen an meine Mutter oder meinen Bruder darunter. Denn das war alles was mir von ihnen geblieben war.
Erst als eine Träne darauf fiel konnte ich das kleine Döschen herausnehmen, indem ich meine Klingen aufbewahrte. Ich drückte es fest an mich und trat einmal gegen meine Stereoanlage. Tatsächlich begann sie laut 'My Chemical Romance' zu spielen.
Zugegeben ein wenig stolz, führte ich meinen Weg fort und öffnete ein Fenster. Ich ließ mich auf die weichen Kissen davor fallen.
Ich spürte einen warmen Luftzug an meinen Beinen, die auf dem schrägen Dach lagen. Dann krempelte ich meine Ärmel hoch und sah auf den leuchtend weißen Verband hinunter. Meine Gedanken flogen sofort ins Krankenhaus zurück, zu den schrecklichen Ärzten und zu meinen Vater. Meinen Vater, der geweint hatte. Wegen mir.
Eine unerklärbare Wut machte sich in mir breit und ich begann den Verband von meinem linken Arm zu reißen.
Ohne den älteren Wunden großartig Beachtung zu schenken zog ich eine der vielen Klingen, die ich über die Jahre gesammelt hatte, über meinen Unterarm. Wieder, und wieder.

Als ich mich endlich beruhigt hatte starrte ich auf meinen Arm. Es war eine verhältnismäßig stumpfe Klinge gewesen und ich hatte nicht besonders fest zu gedrückt. Demnach war meine Haut nur leicht eingeschnitten und es blutete kaum.
Ich ballte meine Hände sofort zu Fäusten und begann hemmungslos zu heulen. Nicht einmal das konnte ich. Solche Narben würde doch niemand ernst nehmen. Falls jemals jemand diese Narben sah würde er mich auslachen. Er würde sagen, ich wolle nur Aufmerksamkeit. Dabei war Aufmerksamkeit das letzte was ich wollte.
Immer noch wütend warf ich die Klinge ins frisch gemähte Gras und griff nach einer anderen. Diese viel schärfere Klinge presste ich so fest ich es in diesem Moment konnte in meinen Arm.
'Ich hatte meine volle Kraft noch nicht wieder erlangt.' Das ich nicht lachte. Denen würde ich schon zeigen wie viel Kraft ich hatte.
Ich begann, diesmal tiefere, Wunden zu hinterlassen und ich dachte gar nicht daran aufzuhören, bis mich plötzlich etwas aufschrecken ließ.
"Ey, was tust du denn da!?"
Ich erkannte ganz deutlich Stegi, der plötzlich in meinem Garten stand und mich erschrocken an sah.
"Lass mich sofort rein, Lia, sofort!"
Ich nickte leicht. Das konnte doch nicht wahr sein. Das zweite Mal, dass Stegi her kam- Das zweite Mal, dass er mich bei Sachen erwischte, die jemand wie er nicht sehen sollte.
"Kommst du jetzt!?"
Ich schaltete die Musik ab und ging runter um die Tür zu öffnen.
Stegi wartete bereits und trat sofort ein.
"Was machst du denn nur?" Er griff nach meinem Arm und begutachtete die Narben.
"Das sieht gar nicht gut aus, Lia."
Ich nickte.
"Wo ist dein Vater?"
"Keine Ahnung." Dieses Mal zuckte ich mit den Schultern. "Vermutlich bei der Arbeit."
"Okay.." Murmelte er.
Stegi sah total überfordert aus. Der Umgang mit suizidgefährdeten Mädchen wurde in der Uni wohl noch nicht behandelt. Oder er war krank.
"Wir müssen die Wunden säubern." Stellte mein Nachbar endlich fest.
Er zog mich sanft aber entschlossen mit sich. Doch blieb er sofort wieder stehen.
"Eh.. Wo ist eigentlich das Bad?"
Ein leises Kichern entfuhr mir, doch ich wurde schnell wieder ernst und führte ihn die Treppe hoch in mein Bad.
Dort fand Stegi natürlich sofort die Sachen vom Krankenhaus. Er zog ein Desinfektionsmittel aus dem Korb und schon verzog ich das Gesicht. Der Schmerz beim Schneiden war eine Sache, aber der beim Desinfizieren war eine ganz andere.
Stegi begann meinen Arm ganz vorsichtig unter kaltem Wasser zu waschen und die Wunden zu säubern.
Als er eine besonders tiefe Wunde berührte zuckte ich kurz zusammen. Doch dann fing der schmerzhafte Teil erst an. Er zückte das Desinfektionsspray und begann es auf meinem Arm zu versprühen.
Ich versuchte den Schmerz 'zu genießen', doch es gelang mir kein bisschen.
"Das ist das Schlimmste, ich weiß."
"Du weißt nichts, Stegi. Gar nichts."
"Lia.. Ich."
"Es ist schon okay. Manchmal ist es besser, nicht alles zu wissen."
Stegi schien seine Antwort runterschlucken zu müssen. Doch es war sicher besser so. Ich wollte mich nicht mit ihm streiten müssen.
Nachdem mein Arm endlich fertig verbunden war standen wir da.
Keiner wusste was er tun sollte, aber mal ehrlich, was tat man in einem solchen Moment?
"Ich sollte gehen.." Murmelte Stegi schnell. Man merkte sofort wie unangenehm ihm die Situation, die plötzliche Stille, war.
"Nein." Ich wollte ihn aufhalten. Ich wollte nicht wieder alleine sein.
"Doch, ich muss morgen früh raus und du solltest dich am besten ausruhen." Er legte seine Hand behutsam auf meine Wange und sah mir direkt in die Augen.
"Gute Nacht, Lia, schlaf gut." Flüsterte er, als er sich umdrehte und einfach ging.
"Gute Nacht, Stegi."

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Hiiiii!👋
Vielleicht habt ihr bemerkt, dass ich mich umbenannt habe.
Wollte meinen Namen passend zu Twitter und Instagram haben, aber @bymaali war schon vergeben, cryyyy.
Dabei konnte ich niemanden finden, der so heißt?!
Will Wattpad mich verarschen?:c

Update: hab meinen Namen schon wieder geändert. Dieser ist viel cooler um passt zu Tumblr, weheartit und Instagram, whoop.

It's hard enough to save one life » Stegi.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt