16: Prioritäten

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Seit über 15 Minuten lag ich jetzt hier. Presste mein Gesicht noch immer fest auf seins und traute mich kaum zu atmen, diesen ach so romantischen Moment zu zerstören.
Na gut. Eigentlich lag ich seit 15 Minuten wach im Bett und wartete, darauf, dass die blöden Tabletten wirkten. Mein Kopf lag tief vergraben im Kissen, aber genau auf dem grässlichen Gesicht von Harry, welches auf meine One Direction Bettwäsche gedruckt worden war.
Ich liebte ja One Direction, aber dieses Bild war nicht besonders gut ausgesucht worden. Oder aber, die Abneigung gegen Alles und Jeden, die ich heute Morgen empfand, kam von meinem übelsten Kater.
Was war denn gestern passiert?
Und als ob das alles noch nicht Bestrafung genug wäre klingelte es in diesem Moment an der Tür. Ich spielte ja mit dem Gedanken nicht zur Tür zu gehen und nie wieder von hier aufzustehen, aber diese Ausgeburt der Hölle vor meiner Tür begann tatsächlich Sturm zu klingeln. Also löste ich mich doch von Harry und schleppte mich gezwungenermaßen zur Haustür.
Wäre ich nicht so gut wie unfähig mich zu bewegen, würde ich die Person vermutlich wie eine wilde Bestie anspringen und ihm bei lebendigem Leibe das Herz aus der Brust reißen. Doch in meinem Zustand könnte ich nur die Blumen annehmen und meinem Feind in die Küche folgen.
"Ich habe uns Brötchen mitgebracht, Lia." Flötete er total gut gelaunt und begann Kaffee zu kochen mit meiner Kaffeemaschine, Rührei zu braten in meiner Pfanne und den Tisch zu decken mit meinem Geschirr. Und zwar alles gleichzeitig.
Er stellte noch den Strauß Rosen in Wasser, goss uns den frisch gebrühten Kaffee ein und er schmierte mir sogar mein Brötchen. Mit Nutella. Kotz.
Währenddessen rührte ich in meinem Aspirin herum und beobachtete einen weißen Punkt, der sich in der trüben Flüssigkeit hin und her bewegte. Dieser Vorgang kam mir ziemlich interessant vor, da mir klar wurde, würde ich jetzt meinen Kopf bewegen, würde ich vermutlich an einem Schlaganfall sterben.
"Also.." Begann er plötzlich, "Ich habe schon den perfekten Plan, wie wir an Stegis Handy kommen." Er klang so stolz und aufgeregt und glücklich und das war zum kotzen. Ich konnte jetzt keinen Stolz gebrauchen und keine Aufregung und ganz bestimmt und am aller wenigsten keine Freude.
Ich patschte meine Hand grob ins Gesicht und murrte kaum verständlich:
"Heute machen wir gar nichts."
Bevor ich wieder irgendwas realisieren konnte legte Nico seine Arme um mich und trug mich die Treppe hoch. Er lief nur planlos durch die Gegend, doch ich hatte eigentlich keine besondere Lust ihm zu helfen. Ich wollte in dem Moment lieber sterben.
Plötzlich setzte er mich ab. In meiner Badewanne. Nachdem er sichergegangen war, dass ich noch ein T-shirt trug, zog er meinen Pullover aus. Dann begann er tatsächlich mich mit kaltem Wasser abzuspritzen.
Ich schrie wie am Spieß, doch es funktionierte. Nach kaum zwei Minuten waren die unerträglichen Kopfschmerzen weg.
Sie hatten sämtliche Kopfschmerztabletten überlebt, drei shots Wodka, zwei Tassen Kaffee und ein Glas Aspirin. Doch eine kalte Dusche konnte sie tatsächlich bezwingen.

Nachdem ich fertig geduscht, angezogen, geschminkt und meine Haare gebändigt waren, machten wir uns auf den Weg zu Stegi rüber. Nein, eigentlich machte ich mich auf den Weg. Ich glaube nämlich nicht unbedingt, dass er Nico rein lassen würde.
Ich platzierte meinen Finger auf der Klingel und wartete. Die folgenden Sekunden verflogen nur so und ehe ich ansatzweise vorbereitet war, stand er bereits vor mir.
"Lia, hey." Er lächelte, "Ich war gestern bei dir..."
"Oh ja.. Ich war nicht da. Ich war erst bei Dr. Arden und dann mit Natalie."
Aber vorher war ich bei Nico. Und heute Morgen war er bei mir.
"Du.. Was?" Er sah mich geschockt an, "Das tut mir so Leid. Ich-.. Es muss schrecklich gewesen sein,.. Ich hätte das verhindern müssen."
"Stegi..." Ich seufzte innerlich auf, "Es ist nicht deine Schuld, und das weißt du."
"Aber ich hätte dir helfen können.."
"Aber ich wollte keine Hilfe, Stegi. Ich hab die Erfahrung gemacht, du hast sie machen müssen- immer und immer wieder- aber jetzt sind wir beide durch, wir werden ihn beide nie wieder sehen und das alles vergessen. Punkt."
"Das ist überhaupt kein Kompromiss, Lia. Denk mal darüber nach, was er dir angetan hat. Ich sag's dir. Ich werde ihn umbringen." Seine Stimme wurde plötzlich ernst.
"Lass uns bitte, bitte nicht mehr darüber reden, okay?"
Er zögerte erst, doch dann bat er mich endlich herein. Wir verschwanden in seinem Zimmer und ließen uns auf dem Bettrand nieder. Stegi bot mir Chips an, ich lehnte ab. Er seufzte, ich verdrehte die Augen. Alles wie immer, bis jetzt. Bis jetzt.
"Warum erzählst du es mir nicht?"
"Was?" Ich spürte, wie mein Herz begann schneller zu schlagen. Sehr viel schneller. Ich kannte Stegi jetzt schon eine ganze Zeit, aber so hatte ich ihn noch nie gesehen. So enttäuscht, so traurig, so verletzt. Es zerriss mein Herz.
Ich konnte Leute einfach nicht so sehen.. Und Stegi erst recht nicht.
Auch wenn ich es nicht wahr haben wollte und vermutlich niemals zugeben würde, mochte ich Stegi, sehr. Ich würde es vermutlich nie zugeben, aber ich war auf dem besten Weg mich in ihn zu verlieben.. Und ich würde ganz bestimmt nicht zulassen, dass es ihm schlecht ging, oder er sich wieder verletzen würde.
Was ich natürlich nicht wusste, dass ICH ihn verletzte, dass ICH ihm wehtat und, dass er später wegen MIR weinen würde, dass er nur wegen MIR zusammenbrechen würde.
"Na, dass du gestern bei Nico warst." Er versuchte zu lächeln, versagte natürlich.
"Was? Woher? Woher weißt du das?" Mein Bauch zog sich mit jedem Wort immer weiter zusammen, bis ich nicht mehr atmen konnte. Er konnte das doch gar nicht wissen. Und er sollte es auch nicht wissen. Es war so schrecklich.
"Er hat es mir geschrieben.." Er hielt mir sein Handy vors Gesicht. So nah, dass ich natürlich nichts lesen konnte. Ich nahm es ihm aus der Hand und sah sofort meine Chance. Es war natürlich fies von ihm, aber das schien dann wohl Nicos Plan zu sein. Meine Aufgabe war es jetzt Tims Kontakt an mich zu senden und die Nachricht schnellst möglich wieder zu löschen. Ideal wäre es natürlich, würde der Werte Herr gar nichts davon mit bekam- trotz meiner unterdurchschnittlichen Fähigkeiten im Umgang mit Whatsapp war das sogar der Fall. Stegi bemerkte nicht einmal, dass unser Chat plötzlich ganz oben stand, noch über dem mit Nico.
"Stegi, ich glaube wirklich Nico ist nicht mehr so. Ich glaube ihm tut es wirklich Leid." Stegi schnaubte verächtlich- Verständlich! Nico hatte sich ihm gegenüber so schrecklich verhalten. Ich kann nur zu gut verstehen, dass er ihm keine Chance mehr geben will. Ich würde Timo auch nicht verzeihen können. Was mich aber viel mehr beschäftigte war, dass ich so eine schlechte Freundin war und mich ausgerechnet mit dem Mann anfreundete, den mein bester Freund vermutlich am meisten hasste.
Ich wollte mich unbedingt von meinem äußerst schlechtem Gewissen ablenken, so wechselte ich das Thema schnell auf das nächst beste, was mir einfallen wollte.
"Gehst du morgen bitte mit mir zu Emmas Beerdigung?" Fragte ich.
"Ach, hat Nico keine Zeit?" Er war wütend. Und ich konnte es ihm nicht einmal übelnehmen. Ich hatte es ganz schön verbockt, ich mochte ihn schon.. Aber Stegi war irgendwie mein bester Freund und er war mir hundertmal wichtiger als irgendsoein dahergelaufenerer Schönling, der auch noch in der selben Firma arbeitete, wie mein Vater. Wahrscheinlich arbeitete er genau so viel, außerdem hatte Felix Natalie betrogen und ich war auf Natalies Seite. Ich durfte also eigentlich gar keinen Kontakt haben..
"Hör zu Stegi, Nico ist mir doch überhaupt nicht wichtig. Wenn du das willst breche ich sofort den Kontakt ab, ich will dir nur nicht weh tun.. Und außerdem hat Emma Nico auch nicht besonders gemocht. Mit ihm hinzugehen wäre total falsch."
"In Ordnung, ich begleite dich. Wird sicher nicht leicht für dich werden."
"Danke."
Wir lagen noch den Rest des Nachmittages auf seinem Bett und er zeigte mir Youtube-Videos. Ich erzählte ihm, wie ich ihn online gefunden hatte. Er erzählte mir, wie er Tim kennengelernt hatte und ich beschloss insgeheim heute Abend schon mit Tim zu schreiben.

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Ich wollte ja gestern schon updaten, aber gesellschaftliche Verantwortungen kamen leider dazwischen, okay, und eine Flasche Korn, sowie mindestens 3 Flaschen Kurze.
So schlecht ging es mir echt lange nicht mehr. Aber das interessiert wahrscheinlich eh niemanden, ich verstehe schon.
Ich hab meiner Mum übrigens gesagt, dass ich glaube, dass ich depressiv bin. Sie sagte: "Man muss auch mal lernen, mit dem was man hat glücklich zu werden. Hätten wir, was weiß ich, wie viele Millionen wärst du auch nicht zufrieden., aber man kann nunmal nicht alles haben."
Als ob ich depressiv bin, weil wir keine Millionäre sind. Aber egal, ich nerv euch nicht mehr mit meinem Leben. Das musste nur mal raus. <3

It's hard enough to save one life » Stegi.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt