3: Stegis Mum

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Völlig geistesabwesend zog Stegi mich die Treppe runter, durch den Flur, bis zur Eingangstür. In unserem Falle traf es Ausgangstür jedoch besser.
Nur kamen wir soweit nicht einmal.
Direkt vor der Tür lief Stegi in eine Frau hinein und ich? Ich prallte natürlich mit voller Wucht in seinen Rücken.
Die blonde Frau drehte sich genervt um:
"Stegi, Doktor Arden ist da. Du warst schon wieder nicht bei der Therapie."
Nun betrat ein älterer, sehr streng aussehender Man das Haus. Stegis Körper spannte sich sofort wieder an.
"Du kannst nicht ständig die Stunden schwänzen. Doktor Arden will dir doch nur helfen." Versuchte die Frau nun wieder ruhig zu erklären. Stegi hingegen verlor jegliche Kontrolle und begann am ganzen Körper zu zittern und seinen Kopf viel zu heftig zu schütteln.
Ich wollte ihm beistehen, zeigen, dass ich da war. Also trat ich einen Schritt hinter ihm weg und legte vorsichtig meine Hand an seinen bebenden Arm.
Ich wusste natürlich nicht, was ich hätte tun sollen. Außerdem hatte ich Angst.
Ich wusste nicht was mit Stegi passierte, noch kannte ich diese Frau oder diesen komischen Doktor House- oder wie auch immer er sich nannte.
Ich war doch nur das Kleine Mädchen von nebenan.
"Lia?" Die Anderen schienen mich erst jetzt zu bemerken. Und irgendwoher kannten sie alle meinen Namen.
Ich nickte kaum merkbar und senkte meinen Blick zum Boden. Ich hoffte nur, dass sie mich nicht auf diese Sache ansprachen. Stegi hatte es höchstwahrscheinlich erzählt oder sogar erzählen müssen. In jedem Fall wusste wahrscheinlich ganz Karlsruhe, was ich gemacht hatte und noch viel schlimmer: das ich es nicht einmal geschafft habe.
"Oh Gott, Schätzchen! Tut mir Leid, dass du dir das anhören musstest. Ich wusste ja nicht, dass du hier bist."
Ich schüttelte schnell meinen Kopf. "Ist schon gut." Es war nicht wirklich gut. Nichts war gut. Es war nicht mal okay, aber es war mir völlig gleichgültig. In meinem Leben war eh nie etwas besser als akzeptabel. Wenn überhaupt.
Die fremde Frau hingegen nickte leicht, vermutlich wollte sie mir signalisieren, dass sie mich gehört hatte. "Ich bin übrigens Stegis Mutter, aber nenne mich einfach..."
Der Rest des Satzes ging völlig unter, da Dr. Arden sie mit einem erschreckend lautem Räuspern unterbrach: "Ich würde nun gerne die Stunde mit Stegi nachholen."
Stegis Mutter sah ihren Sohn verzweifelt an. Ein Blick nach rechts verriet mir auch weshalb. Stegis Unterbewusstsein schien sich weiterhin mit allen Mitteln gegen diesen Mann zu wehren.
Ich konnte ihn sogar verstehen. Ich wusste wie schrecklich solche Ärzte und ihre Behandlungen waren. Ich wusste wie schrecklich ihre Fragen und Spiele und was weiß ich waren. Ich hasste Psychologen fast so sehr wie Krankenhäuser oder sogar noch mehr. Die Leute in Krankenhäusern taten nämlich nicht einmal so, als ob sie sich für dich interessieren würden.
Also tat ich das Einzige in dem Moment richtig erscheinende und versuchte ihn möglichst unauffällig aus der Sache raus zu ziehen.
"Ehhh. Das war wohl meine Schuld. Ich komme grade erst aus dem Krankenhaus und wollte Stegi einfach gern kennen lernen." Log ich. Eigentlich war es ja gar keine richtige Lüge. Mehr eine erweiterte Wahrheit.
"Und ihm mein Haus zeigen." Fügte ich noch schnell zu, um aus der äußerst unangenehmen Situation rauszukommen. Jetzt war es auf jeden Fall erweitert. Aber ab und zu war das sicher in Ordnung. Würde ich halt in die 'Hölle' kommen, ich glaubte so oder so nicht an diesen Scheiß, also an alles was irgendwie mit Gott zu tun hatte. Ich hatte zu viel erlebt. Zu viel Kummer, zu viele Sorgen und viel zu viel Schmerz. Mein Leben war praktisch schon die Hölle. Und ich fand ich hätte mir den Himmel verdient.
"Ist schon gut." Meinte Stegis Mum darauf hin. "Geht nur."
Ich sah erneut zu Stegi hinüber. Er hatte sich immer noch nicht beruhigt. Also ließ ich meine Hand sanft an seinem Arm hinunter gleiten und griff schließlich seine Hand. Ich wollte mich vergewissern, dass es okay für ihn war, doch er schien mich nicht einmal zu bemerken. Daraufhin zog ich ihn einfach aus seinem Haus und führte ihn zu mir hinüber. Wenn das man nicht schief gehen würde.
Vor der Tür wollte ich schließlich seine Hand los lassen, doch ich hatte gar nicht bemerkt, wie krampfhaft Stegi meine Hand in seine drückte.
Ich lächelte leicht und fischte meinen Schlüssel mit einer Hand aus meiner Hosentasche. Irgendwie gelang es mir auch noch die Tür aufzuschließen und ich konnte meinen Nachbarn ins Wohnzimmer führen. Dort setzte ich ihn behutsam auf die Couch und ließ mich ebenfalls nieder. Im Moment konnte ich ja sowieso nichts anderes tun. In solchen Zuständen konnte man ungeahnte Kräfte entwickeln und ich wollte mir nicht unbedingt unnötig weh tun. Genauso wenig wollte ich Stegi verletzen. Der Junge war mir dank YouTube so ans Herz gewachsen, ich wusste einfach nicht, wie das bitte möglich war.
Ich sah Stegi zum ersten- zum zweiten- Mal und hatte schon das Gefühl ich wüsste alles über ihn. Dabei wusste ich nicht einmal seinen richtigen Namen. Außer Stegi war sein richtiger Name, aber wer hieß denn Stegi?
Naja, ich saß also immer noch ''händchenhaltend" da und lauschte Stegis viel zu schneller Atmung. Währenddessen spielte ich ein wenig Psycho-Doktor und versuchte eine Diagnose für ihn zu erstellen. Dies stellte sich jedoch als gar nicht so einfach heraus. Ich war mir nicht einmal sicher, ob sein Verhalten eher in Richtung Schizophrenie oder Bipolarität ging. Vielleicht waren es aber auch einfache Angststörungen. Fest stand: ich würde wohl niemals Psychologin werden.
"Lia?" Stegi riss mich aus meinen Gedanken: "Was zum.."
Während er redete wanderte sein Blick zu Boden und er erblickte unsere immer noch verschränkten Hände. Ich lächelte sanft, seine Augen hingegen weiteten sich mehr und mehr.
"Lia.." Begann er erneut, "Ich.. Ich muss gehen." Er sah mich panisch an, dann sprang er auf und keine fünf Sekunden später hörte ich bereits die Haustür.

It's hard enough to save one life » Stegi.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt