6: Emma

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Es war wieder soweit: Montag. Das Schlimmste daran war jedoch, dass es mein erster Schultag hier in Karlsruhe sein würde.
Ja, ich ging noch zur Schule. Ich würde zwar verhältnismäßig früh eingeschult, doch ich musste einmal wiederholen. Warum? Na, warum wohl. Ich war zu lange auf der geschlossenen. Da hat man ganz andere Probleme als Schule.
Ich wollte gerade das Haus verlassen, als ich meinen Namen hörte.
"Möchtest du kein Essen mitnehmen?" Ausgerechnet mein Vater hielt mir ein Tütchen hin, vermutlich waren lauter Snacks drin, am besten mit viel Schokolade.
Mir wurde bereits von meinen Gedanken schlecht, doch mein Vater sah mich mit diesem Blick an. Dieser Blick bei dem ich ihm damals fast versprach für immer bei ihm zu bleiben, obwohl ich bereits wusste, dass ich es nicht konnte, dass diese Welt einfach nicht der richtige Platz für mich war.
Ich nahm die Tüte also seufzend entgegen, doch mein Vater hielt mich ein weiteres mal auf. Er zückte sein erstaunlich schmalwirkendes Portmonee. (Leute wie er nahmen normalerweise extra viel 'Kleingeld' mit, da ihr Geldbeutel größer wirken sollte. Mein Vater zum Beispiel, hatte schon häufig mehr als eintausend Euro nur in fünfer und zehner Scheinen mit sich herum getragen.)
"Hol uns doch heute Abend Pizza, wir haben so lange nicht zusammen gegessen." Der Mann hielt mir tatsächlich einen 200€ Schein hin.
"Dad." Sagte ich. "Pizza kostet höchstens 20€."
"Behalt den Rest einfach, ja?" Er gab mir einen Kuss auf den Haaransatz und drängelte sich dann an mir vorbei nach draußen.
"Ach ja!" Rief er über die Schulter zurück, "Ich bin um 19:00 zu Hause, versprochen!"
Ich nickte nur kurz, dann machte ich mich zu Fuß auf den Weg zur Bushaltestelle.
Und ich hatte ein Lächeln im Gesicht. Nicht weil ich heute Pizza essen würde, sondern weil ich heute mit meinem Vater Pizza essen würde.
Glücklicherweise war es nicht besonders weit zur nächsten Haltestelle und ich kannte den Weg schon ganz genau. Ich ging immer hier hin, da einer der wenigen Zigarettenautomaten, die ich bis jetzt kannte, direkt daneben stand.
Wenn ich schon mal dort war wollte ich mir gleich eine Packung holen, doch ich hatte dummerweise nur das Geld von Dad dabei und ein wenig Kleingeld. Also richtiges Kleindgeld, höchstens zwei Euro würde ich zusammen kratzen können.
Ich probierte es also mit dem 200€ Schein und es schien sogar zu funktionieren. Ich wählte die Sorte und zog meinen Ausweis durch, doch statt der Schachtel fiel mein Geld unten heraus.
Ich stöhnte genervt auf, versuchte es aber ein weiteres Mal.
"Scheiß Teil." Murmelte ich, als ich wütend dagegen trat.
"Er nimmt nur 50er." Hörte ich plötzlich jemanden hinter mir.
"Du kannst nicht zufällig wechseln?" Ich drehte mich schüchtern grinsend um , und sah in große braune Augen.
"Nein." Antwortete sie. "Aber ich mag dich."
Das Mädchen drängte sich vor mich und schob einen 20er in den Automaten.
"Was rauchst du?"
Ich nannte ihr skeptisch die Marke, doch ich traute mich nicht nachzufragen.
"Hier." Sie hielt mir lächelnd die blaue Schachtel unter die Nase. "Sind echt eklig."
Ich schüttelte grinsend den Kopf. "Nur ziemlich stark."
"Du wirst es wohl wissen." Sie löste die Folie ihrer Marlboro und nahm eine hinaus. Auch ich wollte meine gerade anzünden, als das fremde Mädchen mir so stark auf den Arm schlug, dass mir tatsächlich die Zigarette hinunter fiel.
"Musst du auch in den Bus?"
Ich verglich gedanklich die Nummern und nickte dann. Verdammt.
Als der Bus vorbei fuhr schrie die braunhaarige so laut, dass der Busfahrer abrupt bremste. Sie klopfte nun an die Scheibe und schrie sie wolle mitfahren.
Tatsächlich ließ der Fahrer uns, wenn auch erst nach einer verdammt langen Standpauke, mitfahren.
"Danke." Flüsterte ich als wir uns hinsetzten.
Die Fremde hob skeptisch eine Augenbraue. "Wofür?"
"Ich wollte nicht unbedingt am ersten Schultag schon zu spät kommen."
"Du bist neu?" Nun wirkte sie interessiert.
Ich nickte: "Ich bin übrigens Lia."
"Emma."
"Emma?" Wiederholte ich.
"Jap?"
"Du siehst nicht aus wie eine Emma."
Nun nickte sie. "Ich weiß, Lia. Ich weiß."
"Ich hoffe wir sehen uns." Grinste sie noch bevor sie aufsprang und unter dem kritischen Blick des Fahrers den Bus verließ.
Mein Blick wanderte zur Anzeigetafel, die über dem Gang hing. Ich hätte hier auch aussteigen müssen.
Ich sprang von meinem auf einmal so bequemen Platz auf und sprintete zur hinteren Tür um dort mindestens 100 mal den Türöffner zu drücken.
Ich erntete einen Todesblick vom Busfahrer, stieg aber verhältnismäßig zügig aus. Emma war trotzdem weg. Deshalb beschloss ich ein paar andere Leute zu fragen.
"Geht ihr zur Schule?"
"Hmm." Antwortete ein doch ganz gut aussehender Typ. Es sollte wohl 'ja' heißen.
"Oh super, könnt ihr mir vielleicht sagen wo ich lang muss?"
"Komm einfach mit uns." Antwortete der selbe Junge.
"Du bist neu, richtig?" Ein Mädchen drängte sich schnell zwischen uns und ergriff die Hand des Jungen.
Ich nickte nur: "Ja."
"Wusste ich es doch." Sie klang nun stolz, vielleicht ein wenig eingebildet. "Ich bin Schülersprecherin, ich kenne jeden auf unserer Schule."
Mein Blick wanderte dieses Mal interessierter zu ihr hinüber. Sie war, genau wie ihr Freund, ziemlich hübsch. Hatte lange, dunkle Locken und stechende, blaue Augen.
"Hast wohl ein ziemlich gutes Gedächtnis." Murmelte ich.
"Ist meine Aufgabe." Nun wurde sie ein wenig zickig. Doch sie steuerte auf dem Hof nicht zum Haupteingang. "Ich begleite dich zum Sekretariat."
Ich musste noch einige organisatorische Dinge klären, bevor ich in die Klasse geschickt wurde.
Nachdem ich zögerlich geklopft hatte, trat ich mit gesenktem Blick ein. Ich hatte Angst.
"Soso, die neue Schülerin!" Der ältere Herr, der laut der Sekretärin Herr Rumpke hieß, sah mich skeptisch an.
Erst als ich seinem Blick nicht mehr Stand halten konnte blickte ich zu meiner Klasse. Ich sah sofort einige bekannte Gesichter wieder.
Natalie, die Schülersprecherin. Sie saß neben ihrem Freund, der sich wohl gerade über den Unterricht beschwerte. Hinter ihnen saß noch ein Mädchen aus ihrem Freundeskreis. Doch da hinter, in der letzen Reihe entdeckte ich die kleine Brünette mit dem graden Pony und dem hohen Zopf, der ihr seitlich vom Kopf fiel. Sie trug den selben Septum in der Nase und selbst vom anderen Ende des Raumes erkannte ich den perfekten Liedstrich wieder.
Ihre Armreifen begannen zu leise klappern, als sie mir zuwinkte.
"Ich nehme an du wirst dich zu Emma setzen?"
Ich nickte nur. "Ich setze mich zu Emma."

It's hard enough to save one life » Stegi.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt