Epilog

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Am folgenden Sonntag fand Stegi sich in der Kirche wieder. Es war nicht die Kirche aus seinem Traum gewesen, und auch nicht jene in der Emma beerdigt worden war.
Tatsächlich hatte es ihn viel Überredungskunst gebraucht, doch er hatte es geschafft Lias Vater davon zu überzeugen die Beerdigung in ihrer Heimat abzuhalten. Stegi fand die Idee Lia neben ihrer Mutter und ihrem Bruder, ganz in der Nähe ihrer besten Freundin begraben zu lassen einfach viel schöner. Klar, hätte er sich gefreut sie von Zeit zu Zeit besuchen zu können, doch so fiel ihm der Umzug nach Köln noch einmal leichter.
Sein neuer Psychologe hatte ihm sofort dazu geraten und einen guten Kollegen empfohlen. Auch wenn es nicht gerade einfach gewesen war eine Wohnung zu finden, in der er sofort hatte einziehen können, und das mit einem Hund, stand dem Tapetenwechsel nichts mehr im Wege. Tim hatte kurzerhand angeboten ins zweite Zimmer zuziehen und Stegis Vater würde ihn zumindest anfangs finanziell unterstützen.
Ebenfalls hatte Stegi es endlich geschafft sein Studium abzubrechen und beschlossen sich auf YouTube zu konzentrieren. Ganz so, wie es Lia gefallen hätte.
Stegi hatte aufgehört mitzuzählen, so oft hatte Lia ihn angefleht das Studium aufzugeben. Es würde ihn nur fertig machen. Und so ungern er es auch zugeben mochte, seine beste Freundin hatte Recht behalten. Der Stress zog ihn nur noch tiefer runter.

Endlich hatten sie es hinter sich.
Lia die letzte Ehre zu erweisen war noch schwerer gewesen als erwartet.
Stegi hatte von den zehn Sätzen, die er hatte sagen wollen, kein Wort hinausgebracht ohne zu schluchzen. Selbst als er wieder zwischen seiner Mutter und Tim saß, hatte er die Tränen nicht stoppen können.
So wichtig sie ihm auch waren, sie würden das Loch, welches Lia in seinem Herzen hinterlassen hatte, niemals schließen können. Natürlich würden sie ihm dabei helfen irgendwann mit dem Schmerz Leben zu können, doch seien wir ehrlich. So oder so würde es nur auf Stegis Kampfgeist und auf seinen Überlebenswillen ankommen.

Auch Tim hatte Lias plötzlicher Tod mitgenommen. Auch er trauerte um das wundervolle Mädchen, dass seinem besten Freund so viel hatte bedeutet. Doch viel mehr schmerzte es ihm, seinen besten Freund so niedergeschlagen zu sehen. Wie gerne hätte er Stegi den Schmerz abgenommen...
Doch das könnte er nicht. Es war einer dieser Schmerzen, die niemals wirklich vergehen würden. Einer dieser Schmerzen, die man irgendwie überdecken musste.
Tim dachte, Lia hätte diesen Schmerz wahrscheinlich in Alkohol ertränkt, oder sie hätte sich auch so vollgedröhnt, dass sie nicht mehr gewusst hätte was Schmerz überhaupt war.
Jedoch kannte Tim Lia nicht. Stegi kannte Lia. Deshalb wusste er auch, wie Lia wirklich mit diesem Schmerz umgegangen wäre.
Sie hätte alles in sich hinein gefressen, sich für alles die Schuld gegeben und wäre dann ganz langsam daran zerbrochen. Solange, bis es der einzige Ausweg gewesen war sich selbst "zu brechen".
Und Stegi wusste das, weil er genauso war. Weil er genau das selbe getan hatte und weil er es auch immer tun würde. Lia wollte niemanden belasten, das verstand Stegi. Hätte sie nur verstanden, dass sie ihn nie belastet hätte. Er hätte alles getan. Alles.
Und wäre Stegi nicht so selbstsüchtig gewesen, vielleicht hätte Lia jetzt in seinen Armen liegen können und sie könnten reden und sie könnten lachen.
Aber nein. Stegi hatte verdammt noch mal nur an sich gedacht. An seine Probleme, an seinen Schmerz, an seinen verdammten Arsch.
Deshalb hatte er Lia nicht helfen können, weil er wie immer nur mit sich beschäftigt war. Deshalb war Lia jetzt tot.

"Stegi komm." Stegi nahm Tims dunkle Stimme nur verzerrt war.
Seine Gedanken schrieen so viel lauter.
Er konnte nur noch an Lia denken, das Mädchen welches er hatte sterben lassen, welches er getötet hatte.
"Stegi?" Tim versuchte es erneut.
"Einen Moment noch." Eine einzelne Träne löste sich aus Stegis Augen, als er ein letztes Mal auf das Grab seiner besten Freundin zurück sah und sich für immer verabschieden musste. Stegi würde sie nie wieder sehen dürfen, nicht die echte Lia.
Das einzige was ihn für immer verfolgen würde waren seine Schuldgefühle und diese schrecklichen Erinnerungen, die ihn von Sekunde zu Sekunde mehr zu quälen schienen.
"Bist du soweit?" Stegi spürte Tim's starken Arm um seiner Schulter, als er kaum merklich nickte.
Fest an seinen besten Freund gedrückt, verließ Stegi den Friedhof, ließen Lia zurück und tief in sich hoffte Tim, dass er auch einen Teil des Schmerzes zurücklassen könnte. Natürlich wusste er, dass eine schwere Zeit vor seinem Freund stehen würde. Eine solche, die er allein nicht durchstehen würde.
Eine solche Zeit, in der Stegi Tim brauchen würde. Eine solche, durch die Tim Stegi helfen würde.Zusammen würden die beiden es schön schaffen.

Zusammen würden sie alles schaffen!

Da war Tim sich ganz sicher.
Auch Stegi schien zu spüren, dass sie es schaffen würden, dass es besser werden würde.
Wahrscheinlich würde sich wirklich alles zum Guten wenden, solange Stegi Tim hatte. Und solange Tim Stegi hatte.

Vielleicht würde Stegi ein neues Leben anfangen, ja. Aber Lia würde immer irgendwo bei ihm sein. Klar, würde sie in seinem Herzen immer weiterleben, doch eines wusste Stegi ganz genau. Lia war immer irgendwo dort oben und würde auf ihn Acht geben. Stegi würde nie mehr ganz allein sein müssen. Nie mehr.

It's hard enough to save one life » Stegi.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt