Kapitel II

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Ein paar Tage später

Ich schnitt mich an der Konservendose und unterdrückte einen Fluch. Leider half auch das Schütteln meiner verletzten Hand nichts und somit blieb mir nur, das Blut abzulecken, um keine Flecken zu hinterlassen.

Mein Bruder kicherte. „Schon wieder geschnitten?"

Ich sah auf. Er schaute mich belustigt an, während er sich eine Handvoll Bohnen in den Mund schob. Wir hatten heute den ganzen Tag nichts gegessen, dabei es war bereits abends. Ich schnaubte nur und machte mich wieder an das Öffnen meiner Konservendose, was mir auch nach einer gefühlten Ewigkeit immer noch nicht gelingen wollte. Mein Bruder rückte ein Stück näher und nahm mir die verflixte Dose ab. Ein einziger Handgriff genügte und sie war offen. Er streckte sie mir entgegen und grinste. Ich riss sie ihm aus der Hand. „Wieso kriegst du das so gut hin?"

„Vielleicht weil ich geduldiger bin als du?" Er fuhr mit der ganzen Hand in seine Dose, um auch den letzten Rest Soße vom Boden zu kratzen und hielt seine Hand dann dem Hund hin, der seine Finger gierig abschleckte.

„Kann schon sein.", murmelte ich. Ich mochte es nicht, schwach zu sein. Und eine einfache Dose nicht öffnen zu können, war ein sehr klares Zeichen für Schwäche. Beleidigt aß ich schweigend meine Bohnen auf.

Mein Bruder stand auf und streckte sich. „Lass uns Karten spielen."

Ich schüttelte den Kopf. „Keinen Bock auf Kartenspiele."

„Dann halt etwas anderes."

Es war kaum vorstellbar, aber seit da draußen nur noch Tote herumliefen, langweilten wir uns die meiste Zeit. Alle paar Tage, Wochen falls möglich, verließen wir das Haus, um unsere Lebensmittel aufzustocken. Den Rest der Zeit verbrachten wir im Haus, das wir sorgfältig verbarrikadiert hatten, und versuchten keine Aufmerksamkeit auf uns zu lenken.

Manchmal las ich meinem Bruder Geschichten aus Büchern vor, die schon unsere Mutter in ihren Kindertagen gelesen hatte. Oder ich brachte meinem Bruder Englisch bei, einfach um uns zu beschäftigen. Ich ließ ihn fast täglich Dinge aufschreiben, damit er das Schreiben nicht verlernte. Wenn er wieder einmal nicht wusste, worüber er schreiben sollte, sagte ich ihm: „Schreib über unser Leben, als es noch normal war. Damit du diese Dinge niemals vergisst."

Ab und zu spielten wir Kartenspiele. Aber in letzter Zeit hatten wir das so oft getan, dass ich keine Karten mehr sehen konnte.

„Hol doch das Mensch-ärgere-dich-nicht, das Mom dir zum Geburtstag geschenkt hat", schlug ich vor. Ich hatte auch keine Lust auf ein Brettspiel, aber irgendwie musste ich meinen Bruder beschäftigen. Er nickte eifrig und lief dann die Treppe hoch in sein Zimmer, um es zu holen.

„Och nö." Mein Bruder seufzte laut.

„Was ist denn passiert?", rief ich zu ihm hoch.

„Baileys hat das Mensch-ärgere-dich-nicht kaputt gebissen."

Der blöde Köter. „Hat er eine der Figuren verschluckt?", fragte ich, noch während ich mich auf den Weg zu ihm machte. Der hellbraune Mischling lag auf dem Boden in Bens Zimmer inmitten von dem, was einmal ein Brettspiel gewesen war. Aber nicht nur das, er hatte auch ein Stofftier und eine von Dads alten Pantoffeln geschreddert.

„Böser Hund!", schimpfte ich, während ich genervt die einzelnen Überbleibsel der kaputten Dinge vom Boden hob.

„Ihm ist doch auch nur langweilig. Wir müssten halt öfters mit ihm raus", beschwerte sich mein Bruder.

Auch das noch! Baileys war wohl der einzige Hund, der es fertigbrachte, die Zombieapokalypse noch zusätzlich zu erschweren. Andere Hunde wären entweder schon tot oder hätten sich zu wilden Wölfen entwickelt. Und ausgerechnet unser Vierbeiner musste die alten Hundegepflogenheiten beibehalten.

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