Ich fühlte mich nutzlos. Und ich hasste es, mich nutzlos zu fühlen. Von meinem Bruder und dem Hund hörte ich den ganzen Tag nichts.
Während alle anderen sich irgendeiner Arbeit widmeten, blieb ich in der Nähe des Feuers auf dem Boden sitzen. Richard hatte einen Stapel kleingehackte Holzscheite neben mich platziert und mich mit der Aufgabe betraut, dann und wann ein Holzscheit nachzulegen und das Feuer am Leben zu halten. Es war demütigend. Und langweilig.
Am Nachmittag erlöste Lana mich aus meiner Monotonie und setzte sich zu mir ans Feuer. In einem Campingkochtopf brühte sie einen Tee über den Flammen auf.
„Scheißtag gehabt?", fragte sie mich und schüttelte ihre dunklen Dreadlocks.
„Kann man so sagen", sagte ich und warf ein weiteres Scheit in die Glut. Ein paar Funken stoben auf, dann beruhigte sich das Feuer wieder.
„Die neuen in der Gruppe müssen sich immer erst wieder an menschliche Gesellschaft gewöhnen. Unsere Lea zum Beispiel", Lana winkte ein blondes Mädchen im Teenageralter herbei, „Die haben wir erst vor einer Weile aufgegabelt. Es hat zwei Wochen gedauert, bis sie mir ihren Namen verraten hat."
Lea hatte ihr Winken gesehen und ließ sich neben Lana nieder. Das junge Mädchen seufzte erschöpft und wärmte sich schweigend die Hände am Feuer.
„Ihr Vater wurde von einem Untoten gebissen. Und ihre Mutter hat sie niemals richtig gekannt, denn die ist abgehauen, als Lea gerade mal drei Jahre alt war", erklärte Lana weiter.
Ich beäugte Lea. An ihrer Stelle würde ich mich unwohl fühlen, wenn jemand anderes einer Fremden private Details meines Lebens ausplauderte, aber Lea sah nur mit freundlichen Augen zu mir herüber.
„Tut mir leid", sagte ich an sie gewandt.
„Schon gut", antwortete Lea mit sanfter Stimme.
Meinen Namen musste ich ihr nicht nennen; ich war mir sicher, dass Lana das schon längst getan hatte.
„Wirst du auch zwei Wochen warten, um über deine Vergangenheit sprechen zu können?", fragte Lana unverhohlen, während sie den dampfenden Tee in drei Becher umschüttete und an uns verteilte.
Ich widerstand dem Bedürfnis, mir auf die Zunge zu beißen, und fragte: „Was willst du denn wissen?"
Lana überlegte eine Weile. Dann sagte sie: „Du und Benny. Ganz allein im Wald. Wie kommt's?"
Ich starrte auf den Becher in meinen Händen. Früher hatte es mir keine Probleme bereitet, mit Fremden zu plaudern. Aber damals bezog sich der Smalltalk auch nicht auf die Apokalypse. Mit belegter Stimme fing ich an zu erzählen: „Er... er ist die einzige Familie, die ich noch habe. Alle anderen sind... tot. Ich hätte ohne ihn schon längst aufgegeben."
Ich sah auf, um zu wissen, ob sie mich verstanden. Lana hatte ihre Familie offensichtlich noch, zumindest ihren Vater und ihren Onkel. Würde sie verstehen, wie sehr ich meinen Bruder zum Überleben brauchte? Konnte irgendjemand das verstehen? Lana nickte zwar, aber ich war mir sicher, dass sie keine Ahnung hatte, wovon ich sprach. In Leas Blick erkannte ich jedoch taurige Verständnis.
„Jedenfalls", fuhr ich fort, „wurden wir von zuhause vertrieben, als die Zombies uns die Bude eingerannt haben. Wir mussten aus dem Dorf fliehen und sind in den Wald gelaufen. Leider haben wir uns dort verirrt und sind auf die Herde gestoßen. Und dann habt ihr uns gerettet." Ich nippte an meinem dampfenden Tee. Rote-Früchte-Tee. Mein Lieblingstee.
„Scheint so, als wären wir gerade noch rechtzeitig aufgetaucht", sagte Lana lächelnd.
In dem Moment torkelten drei betrunkene Männer laut grölend ins Camp. Einer von ihnen war Richard, die anderen kannte ich nicht beim Namen. Lana, Lea und ich drehten ihnen gleichzeitig die Köpfe zu.
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Molotowcocktail
HorrorEs gibt fast keine Menschen mehr. An ihrer Stelle schleichen sich nun hungrige Zombies durch die Straßen. Sie haben der achtzehnjährigen Zena Molotow alles genommen, bis auf ihren Bruder, den sie unter allen Umständen zu beschützen versucht. Doch al...