Kapitel X

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Ich saß auf dem Boden. Mit der Stirn gegen die weiße Wand gepresst. Langsam kam ich zu mir, so als erwachte ich aus einem erzwungenen Schlaf. In meinem Kopf herrschte Nebel. Ein metallischer Geschmack lag mir auf der Zunge. Mein Blick glitt die Wand entlang. Es war ein kleiner, quadratischer und komplett einfarbiger Raum.

Ich war in einer Gummizelle. Was hatte das zu bedeuten?

Verwirrt versuchte ich aufzustehen, doch als Schwindel mich überfiel, stürzte ich zurück auf den Boden. Der Raum schien sich zu drehen und für einen Moment wusste ich nicht, wo oben und wo unter war. Warum hatte ich meinen Sturz nicht mit den Händen abfangen können? Ich sah an mir herunter. Meine Hände waren in einer Zwangsjacke verschnürt. Panik stieg in mir hoch. Energisch versuchte ich, meine Arme auszustrecken, doch egal wie sehr ich mich wandte, das Kleidungsstück gab nicht nach. Es schnürte mir die Luft ab. Klaustrophobie nahm Besitz von mir. Ich warf mich gegen die Wände, suchte nach einem Ausweg, doch der Raum gab nicht nach. Dann schrie ich meinen Frust in die Welt hinaus. Meine Stimme wurde von der Wandverkleidung gedämpft. Bald war es wieder totenstill. Resigniert ließ ich mich zu Boden gleiten und legte den Kopf zurück, um wieder zu Atem zu kommen.

Kurz darauf öffnete sich eine in der Wand versteckte Tür. Jemand wurde gewaltsam zu mir in die Zelle geschupst. Dann schloss sich die Tür wieder und verschmolz mit der Wand. Und so sah ich mich wehrlos einem weiblichen Zombie gegenüber. Blitzschnell stand ich auf und überlegte fieberhaft, was ich zu meiner Verteidigung tun konnte. Das Monster trug fleckenbesetzte Fetzen, die ursprünglich einmal ein weißer Patientenkittel gewesen waren. Seine Hände waren frei, im Gegensatz zu meinen. Mit schlurfenden Schritten stürzte sich der Zombie auf mich. Gerade im letzten Moment konnte ich mein Bein hochreißen und den Angreifer mit einem kräftigen Stoß auf Abstand halten. Doch sofort rappelte sich das Ungetüm wieder auf und wiederholte seinen gescheiterten Versuch. Meine Augen huschten auf der Suche nach einer Waffe durch den Raum, doch dieser blieb leer. Wo war mein verdammter Baseballschläger? Irgendwo musste er doch sein! Ich ging nirgendwo hin ohne das Ding! Doch er war nirgends. Dann hatte sich der Zombie wieder auf mich gestürzt und ich war ihm schutzlos ausgeliefert...

Schweißgebadet schreckte ich hoch. Meine Rippen schmerzten und ich verzog mein Gesicht zu einer geplagten Grimasse.

„Schlecht geträumt?"

Ich zuckte heftig zusammen. Meine Augen mussten sich an die dämmrigen Lichtverhältnisse anpassen, die in dem Zelt herrschten, in dem ich gestern eingeschlafen war. Bennys Umrisse zeichneten sich im schwachen Licht ab. Vermutlich hatte er neben mir geschlafen, obwohl das Zelt dafür eigentlich zu klein war.

„Ja, aber jetzt ist alles wieder in Ordnung", murmelte ich schlaftrunken.

„Gut" Benny legte sich wieder hin. Sein kleiner Körper schmiegte sich an mich, im Zelt herrschte nicht sehr viel Platz. Ich fuhr meinem Bruder in einer unbewussten Geste durch die Haare und legte mich dann ebenfalls wieder schlafen.

Als ich das nächste Mal aufwachte, war das Zelt leer und von Licht durchzogen. Die Sonne war gerade aufgegangen, doch allem Anschein nach war Benny bereits vor mir aufgewacht und aufgestanden, denn es fehlte jede Spur von ihm.

Meine Rippen pochten und mein Knöchel ließ nicht zu, dass ich mich aufrichtete. Ärger überkam mich. So wehrlos zu sein, war ich nicht gewohnt. Ich konnte noch nicht einmal aufstehen. Ich gab einen frustrierten Laut von mir, als ich mich geschlagen gab.

Mein Hunger veranlasste mich dazu, mich wenigstens aufrecht hinzusetzen und nachzusehen, ob sich in meinem Rucksack vielleicht doch noch irgendetwas Essbares befand. Mein Rucksack lag bei meinen Füßen und es kostete mich reichlich Nerven, nach ihm zu greifen, so bewegungseingeschränkt wie ich war. Nach einigem Verrenken und Fluchen hatte ich das Teil erfolgreich auf meinen Schoß gezogen. Ich begann darin zu wühlen. Unter der sauber gefalteten Karte und meiner Kuscheldecke zog ich Robinson Crusoe hervor. Hatte sich das Buch nicht mein Bruder eingesteckt? Ich sah mich um. Von Bennys Rucksack fehlte jede Spur. Er musste ihn mitgenommen haben. Vermutlich hatte er irgendwann unsere Rucksäcke verwechselt und so das Buch versehentlich zu meinen Sachen gesteckt. Ich zuckte mit den Schultern und beließ es dabei. Etwas zu Essen fand ich nicht. Dann meldete sich meine Blase. Hoffentlich würde bald jemand kommen, um mir beim Aufstehen zu helfen. Wie peinlich! Nachdem ich eine Weile ein wenig dümmlich im Zelt gesessen und darüber nachgedacht hatte, was ich jetzt tun sollte, wurde der Reißverschluss an meinem Zelt geöffnet. Lana streckte den Kopf zu mir ins Zelt.

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