Kapitel V

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Ich öffne die Haustür und knalle sie dann hinter mir zu. Baileys bellt fröhlich, als er bemerkt, dass ich wieder da bin. Dieser Scheiß Köter! Meine Mutter rennt natürlich sofort aus der Küche ins Wohnzimmer. Ich habe gerade noch Zeit genug, meine Schuhe auszuziehen, bevor sie mit ihren täglichen Schimpftiraden anfängt. Ich kann mich kaum noch an die Zeit erinnern, als sie nicht schreiend mit mir gesprochen hat.

„Deine Lehrerin hat heute angerufen!"

„Ich wünsche dir auch einen schönen Tag, Dana."

Meine Mutter ignoriert meinen gehässigen Kommentar und spricht einfach weiter. Eigentlich könnte sie auch mit dem Hund reden oder so, der würde ihr genauso wenig zuhören.

„Du hast deine letzte Prüfung wieder einmal in den Sand gesetzt, Zena. Das kann so nicht weitergehen, du hast kaum noch eine Genügend. Willst du dir das Leben denn unbedingt versauen?"

Ich seufze. Als ob ich das nicht selbst wüsste. Als ich versuche, an meiner Mutter vorbei zu gehen, stellt sie sich mir absichtlich in den Weg. Über diese Kindereien kann ich nur die Augen verdrehen.

„Jetzt verdreh nicht deine Augen!" Und schon geht es wieder los. Gleich verbietet sie mir noch zu atmen. „Und hast du etwa geraucht?"

Ich zucke mit den Schultern. „Jetzt schau nicht so entsetzt. Ich war vorhin noch bei Alina. Und ich bin immerhin erwachsen." Ich versuche erneut mich an ihr vorbeizudrängen.

„Wenn du erwachsen wärst, dann würdest du dein Leben endlich auf die Reihe kriegen. Deine Freunde sind nicht gut für dich, Zena. Das wird dir eines Tages noch leidtun!", ruft meine Mutter mir hinterher. Ich bleibe stehen und drehe mich ganz langsam um.

„Seit wann interessiert dich mein Leben, Dana? Ich war dir immer egal und ausgerechnet jetzt nervst du mich mit dieser Scheiße?"

Meine Mutter steht einen Moment sprachlos da. Ihre Augenbrauen zucken wütend. Sie erwidert nichts, weshalb ich den Weg zu meinem Zimmer fortsetze.

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Ich bemerke ein sanftes Klopfen an meiner Zimmertür. Meine Mutter ist es sicherlich nicht, also kann es nur mein Bruder sein. Ich lege die Kopfhörer und mein Handy weg.

„Jetzt komm schon rein", rufe ich ihm zu.

Die Tür öffnet sich, Benny schleicht sich herein und dann schließt er die Tür wieder. Er setzt sich neben mich aufs Bett.

„Ich habe euch vorhin wieder streiten gehört", beschwert er sich und rückt ein Stück näher an mich. Doch dann zuckt er plötzlich zurück. „Hast du geraucht?"

„Ich hab' eine einzige Zigarette probiert. Nur eine, ich schwör's."

Das passt gar nicht zu dir, Zena." Ben rückt wieder näher und legt seinen Kopf auf meine Schulter.

Ich seufze. Dieses Mal nicht genervt, sondern reuevoll. „Ich weiß."

„Was ist los?"

„Keine Ahnung. Es läuft halt einfach zurzeit nicht sehr gut."

„Dann mach bitte, dass es wieder wird wie früher. Du bist nach der Schule nie zu Hause. Mom und Dad regen sich oft über dich auf. Sie sagen du wirst irgendwann in der Gosse enden oder kriminell werden."

Darüber muss ich lachen. Was meine Eltern sich alles vorstellen! Ich könnte noch viel schlimmer sein, das ist ihnen offenbar nicht bewusst. Ich könnte Drogen nehmen oder schwanger sein. Ich gehe wenigstens überhaupt noch zur Schule, auch wenn meine Noten gerade alles andere als gut sind.

„So schlimm ist es nicht", beruhige ich Benny.

„Versprochen?"

„Versprochen." Ich verwuschele ihm die Haare, weil ich weiß, dass er das nicht mag. Er schüttelt lachend den Kopf.

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Erster Eintrag.

Die Welt hat sich ganz schön verändert. Ich habe sonst nie Tagebuch geführt. Eigentlich ist es auch eine lächerliche Idee, aber Dad sagte, es sei wichtig, das Schreiben nicht zu verlernen. Und ich merke bereits nach so kurzer Zeit, dass es mir schwerfällt, den Stift zu halten. Meine Schrift ist auch ganz krakelig, ich hasse es. Hätte nie gedacht, dass ich die Schule eines Tages vermissen würde. Seltsame Zeiten. Ich hoffe die Armee hat das bald im Griff. Dad hat das jedenfalls gesagt, bevor er... Nicht wichtig. Benny fragt mich andauernd was wir jetzt tun werden. Ich habe keine Antwort  und wenn ich etwas sage, ist es gelogen. Ich muss ihn in letzter Zeit oft anlügen. Die größte Lüge ist, zu behaupten, es würde alles wieder gut werden. Ich weiß, dass es das nicht wird. Ich habe keine Ahnung, was da draußen vor sich geht, aber es wird nie wieder wie vorher werden. Jedenfalls nicht so bald.

Wir müssen bald neue Vorräte besorgen. Der Strom ist ausgegangen und das meiste Essen im Kühlschrank ist verdorben. Die Zukunft sieht düster aus, aber da muss ich meinen Bruder jetzt durchkriegen. Er ist alles was zählt. Er ist jetzt meine Lebensaufgabe, hat Dad gesagt. Ich habe schreckliche Angst. Ich bin doch nur ein Mädchen. Ich habe keine Chance gegen andere. Und ich bin ganz allein. Weil meine Eltern mich im Stich gelassen haben. Ich fürchte mich vor der Aufgabe, die vor mir liegt. Ich habe Angst, zu scheitern. Und ich habe Angst, Benjamin alleine zu lassen, so wie Mom und Dad es getan haben. Ich will auf keinen Fall so werden wie sie. Es ist wahrscheinlich besser, sie zu vergessen. Wir sind jetzt auf uns gestellt.

Zweiter Eintrag

Ich habe uns Essen aus Toms Haus gestohlen. Naja, stehlen kann man das nicht nennen, es gehört ja keinem mehr. Es war nicht leicht, das Haus zu betreten, nach allem was dort passiert ist. Und im Keller hat eines dieser Dinger – ich glaube es war Toms Mutter – gegen die Tür gedrückt, nachdem sie mich gehört hat. Gott sei Dank war die Tür verschlossen, aber sie hat mir einen riesigen Schrecken eingejagt. Ich musste mich hintenherum durch den Garten schleichen, weil sich auf der Straße vor unserem Haus zu viele dieser Dinger aufgehalten haben. Ich bin mir inzwischen sicher, dass es sich um eine Art Zombie handelt, denn wenn man von einem gebissen wird, mutiert man zu einem von ihnen. Das habe ich jetzt schon ein paarmal durch das Fenster beobachten können. Und Mom...

Egal. Jedenfalls sollten wir die Fenster verbarrikadieren, ansonsten reißen sie uns noch das Haus nieder. Im Moment werden sie schnell abgelenkt von anderen Sachen da draußen, wenn sie mich im Haus bemerkt haben. Aber ich merke selbst, wie die Dinger immer hungriger werden. Auf der Suche nach Nahrung verlassen sie immer zahlreicher unser Dorf. Wahrscheinlich haben sie inzwischen alles getötet, das gelebt hat. Außer uns. Ich frage mich, ob mein Bruder und ich vielleicht die letzten Menschen auf der Erde sind... Vielleicht leben aber auch noch andere da draußen. Irgendwo. Menschen wie wir. Menschen die uns vielleicht helfen könnten. Vielleicht, nur vielleicht.


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