Kapitel VI

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„Endlich wieder zu Hause!"

Benny ließ seinen Rucksack erschöpft auf den Boden fallen. Ich hob ihn auf und verstaute unsere Sachen. Dabei bemerkte ich, dass mein Bruder immer noch das Buch Robinson Crusoe mit sich schleppte.

Es war bereits dämmerig auf den Straßen vor unserem Haus.

Der Verband um mein linkes Handgelenk half tatsächlich ein wenig. Vielleicht bildetete ich mir das auch nur ein, aber das war mir egal, solange es die Schmerzen linderte.

„Ich werde die nächsten hundert Jahre nicht einen Schritt vor die Tür setzten", teilte ich Benny halb scherzend mit.

„Das glaube ich gerne. Du hast überhaupt keine Kondition!"

Ich antwortete mit einem Schnauben. Was er so leichtgläubig in den Raum warf, war eigentlich eine todernste Angelegenheit. Er hatte recht. Ich hatte keine Kondition und das hätte mir beinahe das Leben gekostet. Ich würde wohl in Zukunft ein bisschen Sport machen müssen. Schade war nur, dass ich nicht draußen trainieren konnte, denn das war zu gefährlich.

„Aber so eine Flucht ist doch auch anstrengend", verteidigte ich mich. „Siehst du? Selbst Baileys liegt wie tot auf dem Boden und schnarcht!"

Benny warf mir einen flüchtigen Blick zu. Um seine Augen hatten sich kleine Lachfältchen gebildet und sein Mund hatte sich zu einem breiten Grinsen geformt. Ich mochte es, ihn glücklich zu sehen; das kam leider viel zu selten vor.

„Und weiß du was?", fragte ich ihn nach einer Weile des Schweigens. Mein Bruder schüttelte neugierig den Kopf. „Zur Feier des Tages, mache ich die Martini Flasche auf, die noch im Keller verstaubt. Und du darfst sogar einen Schluck davon kriegen."

„Wirklich?"

„Klar. Wer sollte es uns verbieten?"

Keine zwei Minuten später stießen wir mit einem Plastikbecher und der Flasche an. Beides gefüllt mit Martini.

„Auf unser Überleben!", merkte ich an.

„Auf unser Überleben! Und unsere Gesundheit", stimmte Benjamin mir zu. Dann nahmen wir beide einen tiefen Schluck.

Ich erinnerte mich noch genau an den Geschmack von Alkohol. Der erste Schluck spürte sich immer an wie Säure, die dir die Kehle runterrann, aber mit der Zeit verflog dieser Eindruck und einzig die wohlige Wärme blieb zurück. Neben mir spuckte mein Bruder alles, das er gerade im Mund hatte, in die Luft und verzog das Gesicht vor Ekel. Ich wuschelte ihm lachend durch die Haare. Vielleicht war er doch noch nicht bereit für Alkohol.

##

Jemand kratzte an der Tür. Tote Hände aus totem Fleisch. Das Geräusch riss mich aus dem Schlaf. Ich stolperte gähnend in der Dunkelheit zum Fenster und schaute durch einen kleinen Spalt zwischen den Brettern, mit denen wir das Glas verbarrikadiert hatten, in den Vorgarten. Sofort war alles in mir in Alarmbereitschaft. Außerhalb des Hauses streiften unzählige Zombies herum und veranstalteten einen Höllenlärm.

Meine Schlaftrunkenheit war auf einen Schlag abgeschüttelt und Panik schlich sich in meine Glieder. Ich wich vom Fenster weg, gab mir zwei Sekunden zum Durchatmen und lief dann so leise wie möglich zu Benny, um ihn zu wecken.

„Schsch! Leise! Keine Angst!", flüsterte ich ihm zu, als er die Augen öffnete. Ein einzelner dünner Mondlichtstrahl fiel durch die geschlossenen Fenster und ließ seine Augen angsterfüllt funkeln.

„Plan C", raunte ich in die Dunkelheit.

Er wusste, was das bedeutete. Die unverzügliche und unwiderrufliche Flucht. Während ich schnell einiges an Essbarem in meinen Rucksack stopfte, machte er Baileys fluchtbereit und holte seine eigenen Sachen. Die Geräusche wurden immer lauter, weil überall  tote Fingernägel über die Fassade kratzten und aufgeblähte Leiber sich gegen die Mauern warfen. Es war ein einziger Albtraum.

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