Kapitel IX

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„Ist sie gesund?", fragt Mom.

„Wir werden sie eine Zeit lang hierbehalten müssen", sagt die Frau im weißen Kittel.

„Aber... Wird sie wieder gesund?", schluchzt Mom und streichelt beruhigend meinen Kopf.

„Das kann ich Ihnen jetzt noch nicht sagen. Wir werden sehen, wie weit es sich mit der Zeit bessert."

Ich fiel. Ich fiel lange. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor.

„Ich will nicht gehen, Mama! Ich werde ihn auch nie wieder erwähnen. Ich werde so tun, als würde ich ihn nicht sehen! Ich verspreche es. Bitte, nimm mich wieder mit nach Hause!"

Schmerz zuckte durch meinen Körper, als ich hart auf den Boden prallte. Mein Rücken, mein Steißbein, mein Knöchel. Alles tat weh.

„Sie werden mir wehtun! Bitte, Mama! Ich habe Angst!"

Das Röcheln der Untoten war laut. Ich konnte mich nicht verteidigen.

„Wir holen dich ab, sobald es dir besser geht, mein Schatz."

Dunkelheit. Ich dachte ich wäre tot. Doch nach einer Weile kam das Licht wieder. Und eine Frau stand vor mir. Ihr Gesicht war verwischt, wie auf einem undeutlichen Foto. Sie trug einen weißen Kittel. „Dein Name ist Zena, nicht wahr?", fragte sie.

„Sie wissen doch wie ich heiße!", hörte ich mich selbst antworten. Meine Stimme klang ungewohnt hoch. Als wäre es nicht meine eigene Stimme.

Die Frau lehnte sich zurück und wirkte auf einmal unheimlich groß. „Du bist nicht wie die anderen Kinder, Zena. Das ist dir doch sicher aufgefallen. Ich bin hier, um dir zu helfen."

„Nein! Sie haben mich von meinen Eltern getrennt! Ich will nach Hause!"

„Es wird Zeit, dass du aufwachst", sagte die Frau mit Benjamins Stimme.

Vögel zwitscherten.

„Wach auf!"

Die Frau im weißen Kittel wurde immer durchsichtiger, bis sie ganz verschwand. Ich öffnete meine Augen.

Mein Kopf dröhnte. Ich lag in einem roten Schlafsack auf einer Isomatte und setzte mich langsam auf. Durch meinen rechten Knöchel fuhr ein gleißender Schmerz, der mich laut aufstöhnen ließ.

„Langsam!", sagte jemand. Hände berührte mich an der Schulter. Ich fasste mir an die Stirn und massierte mir die Schläfen. Nach ein paar Sekunden zog ich meine Hand wieder weg und sah mich um. Ich befand mich in einem Zelt. Einem kleinen Zelt. Es war orange und leuchtete unter den letzten Strahlen einer untergehenden Sonne. Oder vielleicht auch einer aufgehenden. Mein Rucksack und der Baseballschläger lagen bei meinen Füßen. Jemand hockte neben mir. Ein Mädchen. Ein bisschen älter als ich. Mit Dreadlocks. Und einem Septum.

„Wo bin ich?", fragte ich mit krächzender Stimme.

„Du bist in unserem Camp. Vorsicht, du hast dir ein paar Rippen geprellt. Und dein Knöchel ist gebrochen. Wir haben ihn provisorisch mit Holz geschient", antwortete die Unbekannte.

„Geht es Benny gut?"

„Ihm geht es ausgezeichnet. Du verdankst ihm dein Leben. Er hat uns zu dir geführt. Du hingst ja ganz schön in der Klemme da auf dem Baum."

Benny ging es gut. Er war am Leben und es ging ihm gut! Eine enorme Erleichterung machte sich in mir breit. „Wo ist er?"

„Er spielt mit den Kindern unseres Camps."

Das Mädchen, das gebückt und mit eingezogenem Kopf dahockte, weil das Zelt nicht für mehrere Personen ausgerichtet war, stellte sich mir als Lana vor. Sie beantwortete mir bereitwillig alle Fragen, die mir in den Sinn kamen. So erfuhr ich, dass das Camp, auf das ich gestoßen war, aus etwa zwanzig Leuten bestand, die mit Zelten unterwegs waren. Sie reisten schon eine ganze Weile und nahmen meistens den Weg durch die Wälder, um Zombieherden, die sich in den Städten sammelten, aus dem Weg zu gehen. Auch sie waren von der herumstreunenden Herde, die mir beinahe das Leben gekostet hatte, überrascht worden. Jedoch war die Herde einfach zwischen ihren Zelten hindurchgeschlichen, wobei die Campmitglieder sich ganz ruhig und unauffällig in ihren Verstecken aufgehalten und abgewartet hatten, bis die Untoten vorbeigezogen waren. So waren sie der Zombiemasse unbeschadet entkommen. Jedoch hätten sie wenig später Benny bemerkt, der sie direkt zu mir geführt hatte. Sie hätten gerade noch gesehen, wie ich vom Baum fiel und hätten dann die Zombies ausgeschaltet, die sich an mir laben wollten. So erzählte es mir lana jedenfalls.

Von all den neuen Informationen brummte mir der Schädel. Lana schien zu ahnen, dass ich etwas Zeit für mich brauchte, denn sie verließ das Zelt.

„Falls du etwas brauchst, dann ruf einfach", sagte sie aufmunternd lächelnd, ehe sie den Zelteingang herunterließ. Sie zog den Reißverschluss nicht zu, weshalb blasses Tageslicht durch einen Schlitz ins Zeltinnere fiel und ein sanfter Wind die stickige Luft aufwirbelte. Ich erhaschte einen Blick auf ein paar Menschen, die sich draußen herumtrieben. Neugierig beobachtete ich, wie sie ein paar Dinge über einem kleinen Feuer kochten. Der herrliche Duft von gegrilltem Fleisch und Kräutern stieß mir in die Nase. Ich würde später jemanden fragen, ob ich etwas vom Essen abhaben könnte. Doch jetzt würde ich erst einmal meine Gedanken ordnen und mich ausruhen. Der Schreck saß mir noch in den Gliedern und ich musste mir im Geiste immer wieder Lanas Worte aufrufen. Benny ging es gut. Er war hier im Camp, er war in Sicherheit, er war gesund. Ihm war nichts passiert.

Erst nach einer Weile erinnerte ich mich daran, dass Lana mir mitgeteilt hatte, mein Knöchel wäre gebrochen. Ich öffnete den Reißverschluss des Schlafsacks, in den ich gesteckt worden war, um einen Blick auf meine vermeintliche Verletzung zu erhaschen. Erst viel zu spät erreichte mich die Erkenntnis, einen gebrochenen Fuß nicht zu bewegen. Ich hatte versucht, mein Bein anzuheben, um es aus dem engen Schlafsack zu winden, doch das tat höllisch weh. Lana hatte also nicht gelogen. Mein Knöchel war gebrochen. Stöhnend ließ ich mich auf die Isomatte zurückfallen.

„Ein gebrochener Fuß in der Zombieapokalypse. Das ist ja mal wieder typisch", murmelte ich zynisch und massierte mir beruhigend die Nasenwurzel. Dann bemerkte ich einen Schatten, der sich über mich beugte.

Erschrocken setzte ich mich auf und schnappte laut nach Luft.

„Benny! Ich habe dich gar nicht hereinkommen hören", sagte ich mit zittriger Stimme. Mein kleiner Bruder hatte sich offensichtlich ins Zelt geschlichen und saß jetzt neben bei mir.

„Du erschreckst dich jedes Mal", kicherte er breit grinsend.

„Was schleichst du dich denn auch immer so geräuschlos an?", fuhr ich ihn aufgebracht an, obwohl mein Herz bei seinem Anblick vor Erleichterung hüpfte. Ihn lebendig und wohlbehalten zu sehen, war wie Balsam für meine vom Schreck geschundene Seele.

„In all den Wochen, die wir uns versteckt haben, habe ich mich eben daran gewöhnt, mich geräuschlos zu bewegen", entgegnete er mir. Anstatt ihm zu antworten, streckte ich meine Arme nach ihm aus und sperrte ihn in eine innige Umarmung, wobei ich meine geprellten Rippen nur zu deutlich spürte. Benjamin kicherte über meine überschwängliche Reaktion, doch es war mir egal, ob er mich für albern hielt. „Ich bin so froh, dass es dir gut geht", murmelte ich in sein Haar, bevor ich ihn wieder losließ.

„Mir und Baileys geht es gut. Aber die anderen meinten, du hättest dir was gebrochen. Deshalb kannst du dir noch nicht das Camp ansehen."

„Ja, mein Knöchel ist kaputt", erklärte ich frustriert. „Aber wie ist das Camp denn so? Gefällt es dir? Sind die Leute nett zu dir? Können wir ihnen trauen?" Ich hatte ihm unbemerkt die Hände auf die Schultern gelegt. Eilig zog ich sie zurück, ich wollte ihn nicht bemuttern.

„Ja, das Camp ist cool. Alle sind bisher sehr freundlich zu mir gewesen", beantwortete er meine Fragen ausgelassen. Erleichtert seufzte ich. Ich vertraute dem Urteil meines Bruders. Wenn er das Camp für in Ordnung hielt, dann tat ich das auch. In dem Moment fasste mein Magen meinen Kohldampf in einem lauten Protestschrei zusammen.

„Ruh dich aus, ich hole dir was zu futtern", lachte Benny und kroch rückwärts aus dem Zelt. Ich hörte noch, wie seine Schritte sich entfernten, dann war er verschwunden. Doch egal wie lange ich auf ihn wartete, er kam an diesem Tag nicht mehr zurück. Er musste wohl anderweitig eine Beschäftigung gefunden haben, oder er hatte mich schlichtweg vergessen. Also legte ich mich nieder und versuchte ein wenig zu schlafen.

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