Die Aura
Sie kamen plötzlich und unerwartet. Für das Dorf war es früh am Tage, noch vor Morgengrauen, und alle schliefen zu dieser Zeit tief und fest. Keiner wusste, wieso die Soldaten der Ersten Ordnung auf einmal auftauchten. Vielleicht lag es an dem Fremden, dem sie gestern gastfreundlich eine Bleibe angeboten hatten. Die Dorfbewohner waren generell sehr friedliebend, fürsorglich und höflich. Und das war es, was Vice seit sie denken konnte an ihnen schrecklich fand. Kein einziger Streit, keine Konflikte, nichts, aber auch nichts was annähernd spannend war. Manchmal fragte sie sich wirklich, ob ihre Eltern wirklich ihre Eltern waren. Vice war nicht so wie die anderen, sie liebte es, für einen Ernstfall zu trainieren, falls doch etwas gestohlen oder jemand beleidigt wurde oder... eben etwas dergleichen. Niemals in ihrem ganzen Leben hätte sie sich ausgemalt, dass einmal ein wirklicher Kampf auf sie zukommen würde...
Vice schreckte aus ihrem Schlaf hoch. Sie trug noch ihre Trainingskleidung, da sie gestern nach dem heimlichen Schusstraining einfach nur müde ins Bett gekippt war. Sie saß sofort aufrecht im Bett und lauschte angespannt. Was hatte sie geweckt? Sie sah zum Fenster ihrer Lehmhütte. Ja, ihre Eltern waren bereits tot und sie lebte allein. War auch nicht unnatürlich in ihrem Alter. Plötzlich hörte sie ein Geräusch. Etwas - mechanisch klingendes. Schritte. Und dann scheuchte jemand Hühner aus dem Weg. Kurze Zeit später ertönten laute Rufe, erschrockene und zutiefst verzweifelte Stimmen. Vice erstarrte kurz. Dann hörte sie Blasterschüsse. Noch nie hatte sie sie gehört, und doch erkannte sie das Geräusch sofort. Vater hatte ihr davon ein wenig erzählt. Sie überlegte nicht lange, sprang förmlich aus dem Bett, griff nach der kleinen Laserpistole unter ihrem Kissen und dem etwas größeren Bambusstab, den sie manchmal benutzte, um reife Früchte vom Baum zu stoßen. Sie nahm beides in jeweils eine Hand. Die im Gleichschritt laufenden Stormtrooper waren noch einiges entfernt, sodass Vice schnell die Tür abschloss und dafür aus dem Fenster kletterte, das nicht zum Ort des Geschehens hinzeigte. Durch ihre weichen Sohlen spürte sie die Erde, auf der sie aufkam. Sofort duckte sie sich und lief mit federleichten Schritten zum nächsten Haus. Was sollte sie tun? Von fern ertönten Schreie und weitere Schüsse. Natürlich wollte sie ihr Dorf retten. Doch allein würde sie niemals gegen mehrere, trainierte Stormtrooper ankommen... Sie dachte scharf nach, während sie darauf achtete, immer außerhalb des Kampfbereiches zu bleiben. Wobei man kaum von einem Kampf sprechen konnte, so unfair wie er ausgefochten wurde. Als Vice einen Blick riskierte, sah sie nur die Stormtrooper schießen und die Dorfbewohner, die versuchten zu fliehen. Jedoch trafen die Schüsse ihr Ziel. Vice konnte den Anblick nicht ertragen und kauerte sich hinter einem Holzfass zusammen, mit dem man Wasser auffing. Wieso taten sie das? Was konnte sie dagegen tun? Sie durften diese Leute nicht einfach abschlachten! Nicht diese, die immer so freundlich und gutmütig gewesen waren. Doch sie schienen keinen Halt zu machen, nicht vor Frauen, nicht vor Kindern und schon gar nicht vor Kranken und Schwachen. Vice bemerkte, wie ihre Hände zitterten. Hier auf dem Planeten hatte es meist angenehm warme Temperaturen, es konnte nicht daran liegen. Vermutlich war sie zu geschockt. Sie konnte das einfach nicht verarbeiten. Sie hörte ihr Herz laut klopfen, als wolle es aus ihrer Brust springen. Ihr Atem ging flach, besonders in dem Moment als sie kurz Stormtrooper in ihrer Nähe hörte. Dann erreichte ein weiteres Schiff das Dorf. Vice riskierte noch einen Blick. Sie musste endlich handeln. Wozu hatte sie sich denn heimlich fortgeschlichen, um das Schießen zu lernen, wenn sie es nie einsetzte? Ein schwarzes Schiff mit schmalen Flügeln, die sich langsam einklappten, als es landete, zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Die Stormtrooper schienen einige Gefangene bei sich zu haben. Die Luke des Schiffes öffnete sich. Heraus trat eine schmale, schwarze Gestalt mit Kapuze. Ihr Gesicht erkannte Vice nicht, denn das wurde verdeckt von einer Maske. Sie folgte der Person mit den Augen, die sicheren Schrittes auf die Stormtrooper mit den Gefangenen - ein paar Dorfbewohnern - zulief.
"Commander, habt Ihr den Widerstandskämpfer bereits gefunden?", ertönte die von der Maske verzerrte Stimme.
"Nein, Sir, aber wir suchen bereits nach ihm. Außerdem haben wir einige Gefangene, von denen wir denken, dass sie etwas wissen." Die Gestalt schwieg, schien nicht erfreut aber zumindest auch nicht verärgert zu sein und warf dem Commander nochmal einen Blick zu, bevor er sich den auf dem Boden knienden Leuten zuwandte. Er lief langsam und bedächtig an ihnen vorbei, sodass man die schweren Schritte selbst auf dem weichen Erdboden bemerkte. Er schien sich zu konzentrieren. Dann blieb er bei einem von ihnen stehen und ging in die Hocke, um ungefähr auf derselben Augenhöhe zu sein. Er starrte dem Mann unverwandt ins Gesicht. Dann hob er eine Hand, die Handfläche zum Gesicht des Gefangenen hinhaltend. Vice fühlte sich, seit dieser schwarz Gekleidete anwesend war, irgendwie unwohl. Er strahlte etwas aus, das sie nicht kannte und ihr doch tief drin etwas sagte.
"Wo habt ihr den Widerständler versteckt? Sagt es mir."
Der Gefangene schien mit sich zu ringen, als würde er einen innerlichen Kampf führen. "Ich... werde... Euch... nicht sagen... wo er ist", erwiderte der Mann dann zähneknirschend und scheinbar unter hohem Druck. Dann ergänzte er mit ruhiger und gleichzeitig hasserfüllter Stimme: "Wir wissen, wieso... Ihr hier seid, Kylo Ren." Kurz schwieg die Gestalt, dann ballte er seine Hand zur Faust. Zeitgleich kippte der Gefangene ohne einen weiteren Schmerzensschrei zur Seite. "Tötet die anderen", befahl er mit kalter Stimme und erhob sich wieder. Schreien und Flehen wurde laut, doch die Stormtrooper führten ihren Befehl aus. Vice sah nicht hin. Sie durchbohrte stattdessen weiterhin den großgewachsenen Mann mit ihrem Blick. Was zur Hölle hatte er erlebt, dass er so grausam sein konnte? Und wie um alles in der Welt war er so mächtig geworden, dass er mit genügend Konzentration Menschen umbringen konnte? Gerade begann er, sich umzusehen. Als Vice glaubte, er würde in ihre Richtung sehen, verschwand sie sofort wieder hinter der Tonne. Ihr Herz klopfte wie wild vor Angst. Sie musste diesen Rebellen finden, bevor die Stormtrooper es taten, und ihn hier wegbringen. Wenn ihr Dorf schon ausgerottet wurde, dann sollte es wenigstens einen Nutzen haben. Vice stand auf, blieb aber weiterhin geduckt. Sie kannte das Dorf und wusste, wo die Hütte für Gäste stand. Das war ihr Vorteil. Sie lief von Haus zu Haus, von Schatten zu Schatten, damit sie ja nicht entdeckt wurde. Und wenig später war sie auch schon da. Leise schlich sie sich zur Tür und trat ein. Es war stockduster hier drin, und sie tat schwer daran, auszumachen, ob nun noch jemand im Bett lag oder nicht. Im nächsten Moment drückte sich eine Hand auf ihren Mund, während eine andere sie zurückzog. Einen Moment dachte sie, sie würde vor Schreck an einem Herzinfarkt sterben. "Schh, wenn Ihr nicht sterben wollt, solltet Ihr ruhig sein." Gern hätte Vice ein 'Ach, was du nicht sagst' entgegnet, doch er hatte Recht. "Wir müssen hier weg. Ihr werdet gesucht. Ihr dürft ihnen nicht in die Hände fallen, sonst war alles umsonst. All die Toten...", flüsterte Vice stattdessen eindringlich. Kurz herrschte Schweigen. Und dann erwiderte der Rebell: "Nein, das kann ich nicht. Tut mir Leid." Hörte sie da etwa Mitleid heraus? War es sein Ernst, dass er hierbleiben und sich verkriechen wollte, wie eine Ratte? Ein Rebell des Widerstandes? "Was? Ich dachte ihr Widerstandsleute könntet kämpfen!"
"Können wir auch."
"Dann tut es! Wir müssen hier weg!"
"Nein, der Plan war es, sich gefangen nehmen zu lassen."
Vice traute ihren Ohren nicht. Was? Hatte er das gerade wirklich gesagt? Ihr ganzes Dorf würde diese Nacht nicht überleben - und das nur für den nach einem schlechten Witz klingenden Plan eines Widerständlers? Nein, das war doch nicht sein Ernst. "Ihr seid verrückt. Ihr seid einfach nur verrückt. Und dumm. Und grausamer als dieser Kylo Ren. Wieso tut Ihr das?", fragte Vice und zuckte bei der Lautstärke ihrer Stimme selbst ein wenig zusammen. Sie spürte, wie ihre Augen brannten, bei dem Versuch, die Tränen zurückzuhalten. Sie hatte hier Freunde gehabt. Und nun sollten alle dafür sterben, unwissend, welchem blutrünstigen Plan sie da angehörten? "Im Krieg muss man Opfer bringen." Vice war einfach nur zutiefst schockiert und fassungslos über die Kaltherzigkeit dieses Rebellen. Und sie wäre wutschnaubend nach draußen gestürmt, als sie jedoch plötzlich etwas Hartes am Hinterkopf traf, ihr nun vollends schwarz vor Augen wurde und sie zusammensackte.
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Nightfall | OC-Edition
Fanfiction"The evil never ends. Just evolves." Die Erste Ordnung bringt Verwüstung und Unterdrückung über die ganze Galaxie. Wo sie auftauchen werden Dörfer zerstört, Menschen als Sklaven verkauft und Rebellen kompromisslos getötet. Doch zwischen diesen ganze...