Kapitel 5

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Die Audienz

Kylo verschwand aus dem Raum, nachdem die Situation eskaliert war. Ihm gingen die Bilder nicht mehr aus dem Kopf. Er fragte sich, ob Vice wirklich nur sein damaliges Zimmer gesehen hatte, oder ob sie log. Er hätte einfach ihre Gedanken durchsuchen können, aber daran hatte er in diesem Moment nicht gedacht. Da war er noch zu geschockt gewesen von den Bildern, die er gesehen hatte. Seine Vergangenheit war auch nicht toll, ganz und gar nicht. Mehr Enttäuschungen und Leid konnte es kaum geben. Da müsste er beinahe abgehärtet sein - aber die Macht der dunklen Seite lag in den Emotionen, die Jedi mussten sich beherrschen. Und was er in Vice' Erinnerung gesehen hatte, ließ ihn nicht mehr los. Immer noch hatte er die Szene vor Augen.
Es musste Vice sein, das kleine Mädchen. Denn es hatte weiße Haare und goldene Augen. Allein daran erkannte man schon, dass sie nicht in diesem Dorf geboren sein konnte. Um sie herum liefen nur dunkelhaarige Dorfbewohner. Kylo hatte das Dorf wiedererkannt. Er war ja noch einen Tag zuvor dort gewesen.
Vice konnte kaum acht oder zehn gewesen sein, so jung sah sie noch aus. Und trotzdem trug sie eine Laserpistole bei sich. Kylo war ihr gefolgt, bis zu einem Haus. Als sie es betrat, begrüßten eine Frau und ein Mann sie herzlich - vermutlich ihre Eltern... Oder auch nicht, denn sie waren ebenfalls dunkelhaarig, und hatten auch ansonsten keine Ähnlichkeiten mit Vice. Es war zu Beginn eine schöne Erinnerung gewesen, es schien Abendessen zu geben. Aber dann ertönten Schreie von draußen und vereinzelte Schüsse. Ihre Eltern versteckten Vice in einem Schrank und baten sie, nicht mehr herauszukommen, egal was passierte. Ihr Vater griff nach einem Stock an der Wand und nach einer Pistole, ihre Mutter nach einer Sichel. Sie warteten. Und dann hörten sie Schritte von draußen. Der Mann rannte nach draußen, verriegelte die Tür und schoss mehrmals. Dann ertönte ein weiterer Schuss und ein dumpfer Laut. Kylo hatte gewusst, was das bedeutete. Kurze, angespannte Sekunden später wurde die Tür eingetreten. Eine schmale Gestalt mit Kapuze und Blaster in der Hand trat in den Raum und sah sich um. "Wo habt ihr das Kind versteckt?"
"Welches Kind?"
Die in dunkles Leder gekleidete Gestalt richtete den Blaster auf die Frau.
"Du sagst es mir jetzt!"
"Ich erzähle keinem dahergelaufenen Kopfgeldjäger von irgendwem!"
Danach schwieg sie verbissen. Kylo sah, wie der Mann die Frau tötete, doch Vice saß immer noch in dem Schrank. Kurz war es still. Dann durchsuchte der Mann die Wohnung. Und es dauerte nicht lang bis er die Tür des Schranks öffnete. Verblüfft blinzelte er, als er erkannte, dass Vice ihm eine Laserpistole entgegenhielt. Dann grinste er dreckig. "Du kleines Gör, bist du wirklich so 'tapfer' und kannst mich erschießen?", spottete der Kopfgeldjäger und lachte. Doch das Lachen verstummte, nachdem Vice abgedrückt hatte. Danach war sie nur noch unter Schock stehend aus dem Schrank geklettert und hinaus aus dem Haus zu irgendwelchen Bekannten gerannt.
Irgendwie tat Vice Kylo Leid, aber trotzdem scherte es ihn nicht sondern interessierte ihn mehr, was sie gesehen hatte. Er wollte nicht, dass sie auch nur irgendetwas davon wusste. Mit schweren Schritten lief er zur Brücke des großen Sternzerstörers. "General, wann erreichen wir Syk'kar?"
"In einigen Tagen. Ist nicht gerade der nächstgelegene Planet, den der Widerstandskämpfer sich ausgesucht hat", erwiderte Hux mit deutlichem Sarkasmus in der Stimme, ohne Kylo eines Blickes zu würdigen. Daraufhin verschwand dieser auch wieder. Er hatte keine Lust, Hux öfter als nötig über den Weg zu laufen, da der sowieso nur auf Konflikt aus war. Vielleicht lag es daran, dass er ab und zu seinen Sternzerstörer 'ankratzte', aber der General war bei sowas einfach zu empfindlich... Vielleicht sollte Kylo sich eine eigene Flotte anlegen? Aber er verstand sich nicht so auf Strategie und Herumbefehlerei. Das war auch nicht von Wichtigkeit, sobald sie Syk'kar erreichten. Wenn Snoke Vice anerkannte, konnte er die Sith-Tradition der Zwei fortführen. Dann brauchte er die Ritter nicht mehr. Und Snoke? Der benutzte ihn doch sowieso nur als Laufbursche. Sobald Kylo die Chance hatte, würde er ihn umbringen. Vielleicht war Snoke weise, aber niemals mächtiger als er. Kylo lief zu seinem eigenen Raum, wo auch noch die Maske seines Großvaters lag. Er setzte seine eigene ab und legte sie daneben. Danach ließ er sich auf eine Bank sinken. Eine Weile starrte er die beiden Masken nur ausdruckslos an, dann vergrub er sein Gesicht in seinen Händen. Es hatte sich trotz Han Solos Tod, also dem seines Vaters, nichts geändert. Der Sog war noch da. Die Zerissenheit. Vielleicht hatte das Licht es nun schwerer, doch es war immer noch da. Wie hatte Darth Vader es nur geschafft, dem so lang zu widerstehen? Er starrte wieder die zerschmolzene, schwarze Maske an, als könnte sie ihm antworten. "Hilf mir, Großvater. Ich spüre die Kraft. Wieso kann ich sie nicht benutzen?", murmelte Kylo. Er spürte Tränen in den Augen. Diese Zerissenheit schmerzte, aber er würde es überstehen. Um das zu vollenden, was Vader vor ihm begonnen hatte. Und er würde nicht denselben Fehler machen wie er. Er würde dem Ruf des Lichts nicht folgen.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 19, 2017 ⏰

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