Kapitel 2

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Gedankenspiele

Erst nachdem sie sich weit genug vom letzten Planeten entfernt hatten, machte Kylo sich auf den Weg zu den Gefangenen. Wenn sie hier fliehen wollten, brauchten sie einen langen Atem, um bis zum nächsten Planeten zu kommen - und diesen Atem besaß kein normaler Mensch. Ren lief zielstrebig zu dem Raum, vor dem einige Wachen postiert worden waren. Die Tür öffnete sich und er erkannte den üblichen Stuhl, auf dem die Gefangenen bei einem Verhör festgegurtet waren. So konnten sie weder physischen noch psychischen Qualen entkommen. Der Rebell schwieg die ganze Zeit, sodass eine kalte Spannung in der Luft lag, die Kylo jedoch geflissentlich ignorierte und sich seelenruhig setzte. "Ihr habt eine letzte Chance. Sagt mir, was ich wissen will, und ich werde Euch die Schmerzen ersparen und Euch sofort töten." Direkt erklang ein trockenes, raues Lachen. "Dann sagt mir, was Ihr Wissen wollt. Die Nummer der Prinzessin?", erwiderte der Rebell nur mit beißendem Sarkasmus und funkelte sein Gegenüber eisern an. "Seid kein Narr. Wo liegt der Stützpunkt des Widerstandes? Wo habt ihr die Karte versteckt? Oder nein, erzählt mir einfach sofort, wo Skywalker steckt. Er ist doch sicher bereits bei euch." Die Ungerührtheit in seiner Stimme bewies einmal wieder, wie unantastbar er gegenüber schlechten Witzen war. Die Miene des Rebellen blieb hart. "Ach, diese Informationen... Tut mir Leid, ich weiß nichts." Kylo Ren schwieg verbissen. Er musste die Wut, die schon wieder in ihm aufkeimte, unter Kontrolle halten. Hux würde ihn noch umbringen dafür, dass er sein Schiff so oft 'zerkratzte'. Stattdessen verwendete er diese Energie darauf, die Macht erneut zu beeinflussen. Sie strömte wie eine gewaltige Kraft durch seine Hand und zwang den Geist des Rebellen dazu, sich zu beugen. Dieser versuchte aber, dagegen anzukämpfen. Nicht unerwartet. Aber auch nicht gerade wünschenswert. Trotzdem gab Ren nicht auf. Noch lang nicht war er an der Grenze seiner Macht angekommen, und das würde der Widerständler vermutlich noch zu spüren bekommen. Er übte weiter Druck auf dessen Geist aus. "Habt Ihr... nicht... mehr zu... bieten?", brachte der Rebell zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. "Das ist noch die softe Variante, keine Sorge." Kylo übte weiter Druck auf ihn aus. Jedoch musste er darauf achten, den Geist nicht zu zerbrechen. Denn was war schon ein Körper ohne Geist? Nichts. Und wenn er daran starb war er keine Hilfe mehr für ihn. Leider... Zu gern hätte er ihn für seine dummen Sprüche ins Gras beißen lassen. Noch war er aber am Leben und zuckte und biss die Zähne zusammen, während Kylo scheinbar ruhig dasaß. Doch Ruhe herrschte in ihm ganz und gar nicht. Er verwendete die Energie seiner Wut und viel Konzentration darauf, eine so große Menge an Macht zu kontrollieren. Er weitete den Druck noch ein wenig aus, bis der Rebell unter Qualen in Ohnmacht fiel. Ren atmete lautlos auf und lehnte sich wieder zurück. Wäre er noch weiter gegangen, läge hier nun ein toter Rebell, und das wäre ... unpraktisch. Aber der hier würde sich schon wieder erholen. Viel mehr interessierte ihn, was diese Frau über sich und ihre Kräfte wusste. Er fragte sich, ob sie überhaupt etwas von der Macht wusste, von der ersten Ordnung oder vom Widerstand. Dieses kleine Dorf hatte nicht so gewirkt, als hätte es viel Kontakt zur Außenwelt. Nun, jetzt existierte das Dorf nicht mehr.

Vice versuchte in den ersten Momenten, nachdem sie wieder aufgewacht war, zu realisieren, wo sie überhaupt war. Sie nahm an, dass sie nun auf irgendeinem Schiff in irgendeinem Raum irgendwo im Weltall war und dieses merkwürdige, stuhlähnliche Ding, an dass sie angegurtet worden war, gefiel ihr gar nicht. Würde dieser Typ von vorhin jetzt kommen und sie genauso verhören wie vorhin den Dorfbewohner und den Rebellen? Sie spürte etwas Panik in sich aufkommen, aber diese unterdrückte sie sofort. Sie wollte nicht wie eine fiepende Maus in der Ecke sitzen und sich zusammenkauern. Als jedoch Geräusche ankündigten, das jemand durch die Tür den Raum betrat, zuckte sie kurz zusammen. Sie hörte schwere Schritte und kurze Zeit später stand eben der schwarz gekleidete Mann mit der Maske vor ihr. "Was?", fragte sie sofort etwas kalt, um ihre Nervosität zu verbergen. Er setzte sich ihr gegenüber hin. Er würde ihr noch eine Chance lassen. Ohne Macht anwenden zu müssen. "Wieso bin ich hier?", hakte Vice weiter nach. "Ich habe keine geheimen Pläne für irgendwelche Rebellen." Rebellen. Widerständler. Sie wusste nur durch das Verhör des Dorfbewohners, dass der Fremde, den sie beherbergt hatten, einer von ihnen war. Mehr wusste sie nicht. Also wieso war sie noch am Leben? "Nein, das ist auch nicht der Grund wieso du hier bist." Kylo ließ sich Zeit. Aber nur, weil er nicht wusste, wie er das treffend ansprechen und erklären sollte. Er spürte ihren schnellen Herzschlag. Es erinnerte ihn an ein verängstigtes Reh oder einen kleinen Vogel. Doch äußerlich machte sie einen tapferen Eindruck.
Schnell schob er die Gedanken beiseite. "Wie ist dein Name?"
"Wieso willst du das wissen?"
"Wieso willst du es mir nicht sagen?"
Vice schwieg verbissen. Der Typ nahm sie gefangen, folterte Menschen, tötete sie - aber sie fragte er zuerst nach ihrem Namen. Was sollte das werden?
"Sag es mir und ich sage dir wieso du hier bist."
Vice schüttelte den Kopf. Sie wollte nicht nachgeben. Ihr Gegenüber seufzte und hob zögernd die Hand. Kylo wollte ihr keine Schmerzen zufügen, sonst würde sie nie, niemals, auf der dunklen Seite verweilen. Wäre dieses Problem nicht, hätte er kein Problem damit, irgendwem Schmerzen zuzufügen. Also versuchte er, zuerst nur so wenig Macht wie möglich anzuwenden. "Wie heißt du?"
Vice spürte plötzlich eine mentale Last. Er schien auf ihr Bewusstsein zu drücken. Und gleichzeitig spürte sie ein unangenehmes Ziehen, als würde ihr jemand Informationen direkt aus ihrer Erinnerung entreißen wollen. Aber es war überraschend ertragbar. Dieser Rebell musste stärkeres abbekommen haben. Trotzdem kam sie nicht umhin, dem Druck nachzugeben und zu antworten.
"Vice."
Es funktionierte! Perfekt. Andererseits... Sie musste noch viel lernen. "Vice. Und weiter?"
"Vice Dunston. - Lass das!"
Kylo lächelte leicht triumphierend und ließ die Hand sinken. Vice starrte gleichzeitig erschrocken und abweisend die Maske an, die sie ansah. "Okay, Vice. Der Grund wieso du hier bist, ist, dass du eine große Menge an Macht besitzt..."
"Eine große Menge an Macht? Was? Ich bin weder ein einflussreicher Politiker noch ein General..."
Kylo war kurz davor, das Gesicht in seinen Händen zu vergraben. Okay, das hieß sie kannte die Macht nicht. Und er war schlecht darin, etwas zu erklären. Besonders bei etwas so Allgemeinem aber doch Allgegenwärtigem wie der Macht. "Nein, nein, die Macht ist überall. Sie ist Kraft, sie kann dir ermöglichen, alles zu tun..." Kylo rang nach Worten, und versuchte, sich daran zu erinnern was man ihm früher noch als Padawan gesagt hatte. Damals, bevor er sich für die dunkle Seite entschieden hatte. Vice blinzelte ihn nur verwirrt an und versuchte seine Worte einzuordnen. Das würde die Aura erklären, die sie gespürt hatte. Und wieso dieser Typ Leute manipulieren konnte. Oder umbringen... "D...du bist sehr mächtig, nicht wahr? Du kannst so viel kontrollieren..." Vice ertappte sich bei dem Gedanken, dass sie das wirklich außergewöhnlich fand und sie das auch können wollte. Kylo schwieg kurz. "Ja. Aber es bedeutet Training und eine gewisse Grundvoraussetzung. Du scheinst diese Grundvoraussetzung zu besitzen, ich spüre eine große Ansammlung an Macht. Und mit etwas Training..."
"Deshalb kann ich diese Aura spüren", unterbrach Vice ihn ungewollt. Sie konnte ihre Zunge nicht mehr bändigen, wenn sie einmal von Eifer erfasst worden war. Langsam verstand sie. Es hing alles zusammen. Und doch machte es das Ganze gleichzeitig noch unübersichtlicher. Kylo dagegen schwieg wieder nur. Ja, sie brauchte Training, und dann konnte sie ein starker Sith werden. Aber Kylo hatte besseres zu tun, als solche Leute auszubilden. Er konnte das gar nicht. Er hatte selbst erst vor Kurzem seine Ausbildung abgeschlossen. Und er wollte nicht. Das musste Snoke übernehmen. Hoffentlich war er erfreut darüber, endlich einen weiteren Schüler gefunden zu haben. Und wenn Vice gar nicht erst die helle Seite zu Gesicht bekam, würde es ein Leichtes werden, sie von der Macht der Dunkelheit zu überzeugen.
Nur musste sie irgendwann einmal gegen eben diese helle Seite kämpfen... Naja, darüber konnte Snoke sich dann den Kopf zerbrechen.
"Ich...ähm...willst du mich vielleicht losmachen?", fragte Vice vorsichtig. Sie konnte ihre Gedanken immer noch nicht vollständig ordnen. Sie hatte die Geschichten gehört, die erzählt wurden, so wie jeder andere in der Galaxis auch, nur vermutlich viel seltener... Von Jedis und Siths, von der Republik und dem Imperium. Aber diese Erzählungen lagen weit, weit zurück. Hatte sie nun einen Sith vor sich oder gab er sich nur als solch einer aus? Gab es überhaupt noch Sith? Oder wie nannte man die jetzt? Zu viele Fragen schwirrten ihr durch den Kopf, und erst als Kylo mit einer Handbewegung die Fesseln und Gurte löste, holte sie das zurück in die Realität. Sie starrte eine Weile schweigend die ausdruckslose Maske an. Sie war am Leben und hatte vielleicht eine Ausbildung vor sich, wenn das stimmte was er sagte. Und was hatte sie schon zu verlieren? Ihr früheres Leben lag in Schutt und Asche und sie hasste den Rebellen dafür, dass er das einfach so hingenommen hatte. Sie spürte Wut in sich aufkochen, während sie sich langsam aufsetzte. "Bleib ruhig und spar diese Energie für's Training auf", riet Ren ihr mit monotoner Stimme. Vice sah ihn abwartend an und unterdrückte ihr Misstrauen gegenüber dem, dass er ihre Gefühle spüren konnte. "Wer wird mich trainieren? Du?" Kylo stand auf und warf ihr einen Blick zu, der ohne Maske vielleicht ironisch hätte sein können. Irgendwann musste sie auf jeden Fall herausfinden, wieso er diese Maske trug, beschloss Vice insgeheim. "Nein, vermutlich nicht. Das wird Snoke entscheiden."
"Snoke?"
"Ja."
Vice stand noch etwas zögerlich auf und sah sich kurz um. Dann folgte sie dem schwarz gekleideten Kylo und fragte sich, ob er immer so wortkarg war, oder ob es an diesem Snoke lag. Wenn er Dinge entscheiden konnte, musste er mächtig sein. Und Kylos Aura war schon mächtig gewesen... Sie spürte sie immer noch, aber langsam gewöhnte sie sich an das Gefühl. Er führte sie durch dunkle Gänge, an Stormtroopern vorbei in einen kleinen Raum. An Vice perlten diese Eindrücke alle ab. Sie war gleichzeitig zu nervös, zu ängstlich aber auch zu erstaunt. Da die Starkiller Base zerstört worden war musste Kylo sich inzwischen mit einem normalen Hologrammtransmitter begnügen. Er setzte sich und wartete nicht auf Vice sondern begann direkt, den Langstreckentransmitter zu aktivieren. Vice sah sich kurz um und setzte sich dann einfach irgendwohin. Gespannt und immer noch etwas nervös blickte sie nach vorn. Kurze Zeit später flackerte ein blaues Hologramm von einer nicht gerade sympathisch wirkenden Gestalt auf, die wohl Snoke hieß. Er wirkte autoritär, wie er da auf seinem Thron saß. Sein Gesicht war weiß, er hatte kleine, hinterhältig aussehende, schwarze Augen, krank aussehende, blasse Haut und Wunden am kahlen Kopf sowie insgesamt eine merkwürdige, verkrümmte Erscheinung. Vice schwieg und hielt sich im Hintergrund, als die Stimme dieses Snoke ertönte.
"Kylo Ren. Habt Ihr den Widerständler gefunden?", erkundigte sich dieser. Er war Vice sofort unsympathisch.
"Ja, wir haben ihn gefangen genommen. Wie befohlen. Aber nicht nur ihn haben wir in diesem Dorf gefunden..." Kylo schien zu zögern. Vice warf ihm einen abwartenden Blick zu. "Sprecht klar, Ren. Wen habt Ihr noch gefunden?" Snokes Stimme wies keinerlei Neugier auf, aber auch kein Desinteresse. "Ich habe einen Schüler gefunden. Sie besitzt eine außergewöhnliche Neigung zur Macht und besitzt ein ausreichendes Maß an Wut und Hass. Ich habe es gespürt. Mit etwas Training könnte sie den Kampf zu unseren Gunsten verändern." Kylo sprach von ihr, als sei sie gar nicht im Raum. Aber ehrlich gesagt war Vice viel zu gespannt darauf, was Snoke antworten würde, als dass sie sich darüber beschweren konnte. Er schwieg lang. "Ihr seid noch kein Meister, Kylo Ren, und doch wollt Ihr potentielle Schüler erkennen?"
"Ich habe so eine starke Begabung für die Macht noch nie gespürt. Sie könnte mir gegen", Ren zögerte einen kleinen, aber doch merklichen Moment, "Skywalker helfen."
"Das mag sein, aber was ist, wenn sie zur Seite des Lichts gerufen wird und diesem Ruf folgt?"
Kylo schwieg und erst einige Augenblicke später bemerkte Vice, dass er sie ansah.
"Sie ist im Raum, nicht wahr?"
"Ja."
"Ich will mit ihr sprechen."
Vice erschauderte. Sie wollte nicht mit dieser Gestalt sprechen. Sie würde das Falsche sagen, so wie immer, und dann würde Snoke sie nicht als Schüler akzeptieren, was momentan ihre einzige Hoffnung auf Zukunft war.
"Tritt näher. Wie heißt du?"
Vice trat wie befohlen etwas näher. Kurz warf sie einen unsicheren Blick auf Kylo, aber wie vorhin half ihr der Anblick der emotionslosen Maske nicht weiter. "Vice, Vice Dunston. Ich lebte in dem Dorf." Sie verkniff es sich, die Zerstörung des Dorfes durch die Hand der Ersten Ordnung extra zu betonen. Gleichzeitig spürte sie Kylos gespannten Blick auf ihrem Hinterkopf, da er wissen wollte, was er von ihr hielt. Snoke musterte sie eine Weile. Ob er über das Hologramm die Macht erfühlen konnte? Vermutlich nicht... Oder doch?
"In einem so abgelegenen Dorf wurden noch nie Leute mit einer - wie Ren betont - so starken Begabung für die Macht gefunden. Also wieso besitzt du sie? Wer waren deine Eltern?", hakte Snoke mit einem analysierenden Blick nach. Vice überlegte, vollkommen überrumpelt von der Frage. "Ich weiß es nicht. Adoptiveltern im Dorf haben mich aufgezogen. Sie verrieten es mir, als ich 6 wurde. Wer meine richtigen Eltern sind, weiß ich nicht." Vice befürchtete, dass die Antwort ihm nicht genügen würde, aber anscheinend tat sie das
"Und deine Wut, dein Hass... Worauf beruhen sie?"
Wieso wollte er das wissen? "Das ist schwer zu erklären... Ich bin auf viele Dinge schlecht zu sprechen."
Snoke runzelte die Stirn. Dann sah er wieder zu Kylo. Vice atmete innerlich erleichtert aus. "Seid Ihr denn überhaupt schon in der Lage, einen Schüler auszubilden, Ren?" Kylo merkte man an, das er damit nicht gerechnet hatte. "Es wäre von Vorteil, wenn Ihr sie ausbilden würdet", widersprach er, verbarg seine Sorge aber unter einem ruhigen Ton. "Nein, ich bin mir sicher, dass Ihr an diesem Punkt mehr ausrichten könnt. Und wenn Ihr sie als Hilfe bei Kämpfen bei Euch haben wollt, sollte sie nicht zu mir. Denkt daran, Sith waren immer zu zweit, ein Meister und ein Schüler. So werden wir die Tradition fortführen." Kylo wollte gerade etwas erwidern, da verkniff er sich die Worte und warf Vice nur einen abschätzenden Blick zu. "Wenn Ihr meint..."
"Ihr seid es, der es begonnen hat, also beendet es auch. Ich erwarte Euch, Euren Schüler und den Gefangenen bald."
Kylo saß kurz wortlos und regungslos da, dann wandte er sich an die Stormtrooper am Eingang. "Zeigt ihr einen Raum, in dem sie sich ausruhen kann", befahl er tonlos. Sie zuckte kurz zusammen, als sie bemerkte dass sie gemeint war. Vice stand nur mit erschrockenem Blick auf und folgte dann den Stormtroopern, die sie von dem Raum fortführten.

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