Kapitel 6

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Ich hatte vieles erwartet und mit vielem gerechnet, aber dass wir erst mal in einen Sturm gerieten war irgendwie etwas enttäuschend. Dazu kam noch, dass ich nichts tun konnte. Die Männer kämpften sich ab und ich stand herum und wusste nicht, wo ich helfen könnte. Bei den Segeln? Auf keinen Fall. Mit meiner Höhenangst konnte ich da nicht hinauf klettern und heil wieder unten ankommen. Das Steuer hatte schon jemand übernommen und da ich vermutlich am wenigsten Kraft hier an Board hatte, war das, zumindest bei so einem Wellengang, und alle anderen kraftaufwändigen Arbeiten wohl nicht so geeignet für mich. Ich stand nun also da und starrte hoch zu den Männern, die den Mast hochgeklettert waren, um die Segel einzuholen. Mir wurde schon schwindelig beim Zusehen. Kid und Killer konnte ich nirgends erblicken. Meine Sicht reichte ja nicht einmal bis zum anderen Ende des Schiffes. Ich drückte Naito fester, aber dennoch vorsichtig an meine Brust und drängte mich noch ein wenig weiter in die Ecke. Wenn ich schon nichts tun konnte, sollte ich vielleicht wenigstens nicht im Weg stehen. Und wenn Kid noch Killer mich hier nicht fanden, konnten sie mir auch keine Befehle geben, wie zum Beispiel beim Einholen der Segel helfen. Das war doch gut. Ich schlug mir mit einer Hand gegen den Kopf. „Was ist los mit dir? Du hast doch nicht etwa Angst vor ein bisschen Regen und ein bisschen Wind, oder? Jetzt reiß' dich zusammen!" Zischte ich mir selbst zu. Ich trat einen Schritt aus der Ecke und sah mich um. Es stimmte ja, ich hatte keine Angst vor Stürmen. Nur davor, dass ich von jemandem gesehen werden könnte, der mir befehlen könnte, den verdammten Mast hochzuklettern. Aber würde Kid mir das überhaupt befehlen? Er weiß doch, dass ich für so eine Arbeit bei so einem Sturm sowieso zu schwach war, oder? Ich setzte Naito auf meine Schulter und half einem Mann auf, der gerade von einer Welle umgeworfen und fast bis zur anderen Seite des Schiffes geschwemmt worden war. Er und ich griffen nach Eimern und schütteten das Wasser über Board, auch wenn das wohl wenig Sinn machte. Immerhin tat ich nun etwas. Glücklicherweise dauerte es nicht mehr allzu lange, bis wir aus dem Sturmgebiet draußen waren. Oder der Sturm weitergezogen war. Darauf achtete ich in diesem Moment nicht. Als wir auf ruhigem Gewässer trieben ließ ich mich erst mal auf den Boden fallen und lehnte mich an der Reling an. Kid kam gerade gefolgt von Killer über das Deck marschiert. „Sind alle da? Jemand über Board gegangen? Jemand verletzt?" Er sah sich mit ernstem Blick um. Ehrlich gesagt hatte ich nicht von ihm erwartet, dass ihn das interessierte. Ich meinte sogar, wenn jetzt jemand hinter uns im Meer treiben und nach Hilfe rufen würde, würde er ihn einfach ignorieren, selbst wenn er ein treues Crewmitglied gewesen wäre. So irrt man sich. Alle blickten sich um, suchend nach einer Meldung. Nichts. Anscheinend ging es allen gut oder es war schlichtweg keinem aufgefallen, dass jemand verschwunden war. Ich streckte meinen Arm nach oben um mich an der Reling hinaufzuziehen. Naito saß seelenruhig auf meiner Schulter. Ihm hatte der Sturm nichts ausgemacht, immerhin waren wir schon öfter in Unwetter geraten und das nur zu zweit. Als der Kapitän sich sicher war, dass niemandem mehr etwas auffallen würde, verschwand er unter Deck. Ich tat es ihm gleich. Durch den Regen war ich komplett durchnässt und draußen war es nun auch nicht gerade sehr warm. Ich beschloss eine warme Dusche zu nehmen. Nachdem ich trocken war, rubbelte ich auch Naito trocken, da er vom Regen auch noch nass war. Meine noch feuchten Haare band ich zu einem lockeren Dutt zusammen und so ging ich übers Deck in die Küche. Ich hatte an Board nichts zu tun, also half ich Jay so gut es ging. Er war gerade mit spülen beschäftigt. Mit was auch sonst? Ein Blick in den Mülleimer verriet mir, dass das Geschirr nicht so gut davon gekommen war, wie die Mannschaft. „Scheint ja ganz schön was kaputt gegangen zu sein." Ich griff nach einem Geschirrtuch und trocknete wieder ab. „Naja, Scherben bringen Glück." Jay grinste. Irgendwie schien es mir, als hätte er immer gute Laune, auch wenn ich ihn erst seit ein paar Tagen kannte. Wir redeten wieder über dies und das. Witzige Ereignisse. Er erzählte vieles. Was die Crew schon alles erlebte, was für starken Gegnern sie schon begegnet waren und wie heldenhaft ihr Kapitän diese doch immer besiegte. „Ach, so war das also?" Ich musste schon etwas lachen, so übertrieben toll stellte der Koch unseren Kapitän dar. „Ja, natürlich! Wir dachten alle schon, dass es jetzt aus mit uns ist, aber der Käpt'n ist wieder aufgestanden und hat diesen Mistkerl fertig gemacht." Er erzählte das so aufgeregt, dass er versehentlich die Hände schnell aus dem Spülwasser hob und wieder darin versenkte, sodass es uns beide vollspritzte. „Oh, entschuldige." Nun lachte er und ich schüttelte nur den Kopf darüber, wie stolz er von diesem Holzkopf erzählte. Aber vielleicht war er ja gar nicht so übel, wie ich ihn bisher erlebt hatte und man sich so über ihn erzählte. „Scheint ja ein ganz toller Kerl zu sein, unser Käpt'n." Meinte ich, während ich einen Löffel abtrocknete, in dem sich mein Gesicht falsch herum spiegelte. „Was ist mit mir?" Fast schon erschrocken drehte ich mich um. Der Rotschopf war gerade in die Küche gekommen. Ich öffnete gerade den Mund, als Jay mir zuvor kam. „Ich hab' ihr nur von unseren Kämpfen erzählt, Käpt'n. Wie stark du bist und wie du dich nie unterbringen lassen hast." Desinteressiert und ohne uns anzusehen griff er sich einen Apfel und biss ein großes Stück heraus. „Hmhh." Dann verließ er den Raum wieder. „Er wirkt ziemlich kalt und herzlos, aber so ist er gar nicht. Du musst ihn nur besser kennenlernen." „Ach, und deswegen habt ihr alle 'ne scheiß Angst vor ihm?" „Das ist keine Angst. Das ist Respekt." Jay war nun ganz ernst. Etwas gedankenverloren starrte ich den selben Löffel an, den ich schon zuvor in der Hand gehalten hatte. „Mhh. Wer sich meinen Respekt verdienen will, muss auch mich respektvoll behandeln."

Zwei Tage später erreichten wir eine Insel. Sie war nicht sehr groß und es war auch keine Stadt oder ein Dorf zu sehen. Als Kid gerade Gruppen einteilte, die an Land gehen sollten und eine, die das Schiff bewachte, kletterte ich einfach von Board. Ich hatte keine Lust mit einer Gruppe loszugehen. Obwohl ich mir keine große Mühe gab, unentdeckt zu bleiben, bemerkte mich keiner und so ging ich über den Strand auf den Dschungel zu, während Naito wie immer auf meiner Schulter saß. Ich wusste, dass das später noch Ärger geben würde, aber was sollte mir der Flammenkopf schon antun? Kaum dass ich mich durch einen Strauch gekämpft hatte, um in den Dschungel zu gelangen, hüpfte Naito von meiner Schulter und schnüffelte herum. Es dauerte nicht lange und er fand einen Trampelpfad. So konnte ich mich schon mal nicht verlaufen, obwohl ich in Wäldern und Dschungeln eigentlich immer gut zurecht kam. Mein kleiner Freund lief weiterhin vor mir her und schnüffelte die Gegend ab, um sicher zu gehen, dass wir auf keine Gefahr zuliefen. Ich sah mich immer wieder um, aber außer Bäumen, anderen Pflanzen und ein paar Insekten war weit und breit nichts zu sehen. Wir drangen immer weiter in den Urwald ein und ich merkte immer mehr, wie dunkel es wurde. Es drang kaum noch Sonnenlicht durch die dichten Baumkronen. Plötzlich wurde Naito unruhig und blickte sich hektisch um, was schon mal hieß, dass die „Gefahr" ,wenn denn eine bestand, nah an uns war. Schließlich richtete sich sein Blick nach links und so verharrte er. Ich legte meine Hände vorsichtshalber auf die Griffe meiner Katanas. Naito bewegte sich nicht, also beschloss ich mal nachzusehen, was sich in dem raschelnden Gestrüpp versteckte.


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