„Newt, jetzt sag schon!"
„Ja, zeig uns den Strunk!"
„Hat er sich vollgeklonkt und stinkt zur Hölle, oder was ist los?", kam von oben lautstark herunter gerufen. Schatten drängten sich an den Abgrund, sie wollten alle einen Blick auf den Neuankömmling werfen. Aber darauf konnte und wollte sie sich nicht konzentrieren.
Dieser Typ. Er zog sofort wieder ihre vollste Aufmerksamkeit auf sich. Sie taxierte ihn, beobachtete mit möglichst wachsamen Augen seine Bewegungen, jede seiner Regungen. Seine verschwitzte Haut glänzte leicht unter dem dämmrigen Licht, das in dieser Kluft herrschte und deutlich waren die Spuren von Arbeit mit Erde zu sehen. Seine Kleidung, seine Haut, ja sogar sein Gesicht war überzogen mit Staub und getrockneter Erde. Fast schon mit verstörtem Ausdruck sah er auf sie herab, als würde er überlegen ob er sich gerade nur versah oder gar halluzinierte. Wenn er sich auch noch mit seinen großen Händen über die Augen rieb, würde sie sich ihre Vermutung bestätigen. Aber er tat es nicht.
In ihren Ohren hallte es, als er überdeutlich schluckte. Sie konnte sehen wie einige Schweißperlen an seinem Hals herab rannen und beobachtete wie sich sein Adamsapfel auf und ab bewegte. In ihren Augen war es ein faszinierendes Schauspiel, einfach weil es ihr einen Punkt gab, auf den sie sich konzentrieren konnte. Einen Punkt, der sie von ihrer Unsicherheit, der Konfrontation mit einer unbekannten Situation ablenkte. Ihr Kopf schwirrte und drehte sich. Lies sie schwer nach Atem ringen und sich fragen, wo oben, wo unten ist. Ihr wurden Farben vorgespielt, die nicht existierten. Formen wurden zu abstrakten Linien und die Welt versank in Wahnsinn.
Ihre Umwelt war so laut. Ihre ganze Wahrnehmung war verschwommen, die Sinne von Taubheit getrübt. Und Angst. Fast glaubte sie, dass sich alles drehen würde. Aber nein, die Welt stand still. Sie musste es sein, die so schwankte. Nur ein Wortfetzen zog sich durch ihre Gedanken: als wäre sie betrunken. Doch was war betrunken sein? Bei bestem Wille konnte sie sich nicht mehr entsinnen, was für eine Bedeutung hinter diesen vier einfachen Begriffen verborgen sein sollte. Verzweiflung kroch in ihren Körper und machte sich in jeder Zelle ihrer breit, lies sie jeden Knochen schmerzhaft spüren, als hätte man ihr ihr vollkommenes Knochengerüst gebrochen, zerbrochen und an anderer Stelle zersprungen eingesetzt um ihr die Pein zu bescheren, die sie gerade glaubte ertragen zu müssen. Was war nur mit ihr geschehen und was kam hier auf sie zu? Diese Leere in ihrem Kopf, einzig angetastet durch die Tortur der vernichtenden Fragen, zerfraßen sie von innen und wollten ihr die letzte Hoffnung mit ihrem Pessimismus, oder gar Realismus auch noch entreißen.
Verängstigt wollte sie sich mit ihrem Rücken weiter an die Wand einer großen Holzkiste hinter sich pressen, aber nicht die kleinste Bewegung ging durch ihren Körper. Sie war einfach nur erstarrt und ihre Muskeln untersagten ihr jeden Befehl.
Dieser Typ, der Blonde, vielleicht war er ihr Entführer? Wurde sie denn entführt? Oder war sie freiwillig an diesen Ort gegangen? Aber wo war sie überhaupt - außerdem wäre sie, wenn sie aus eigenem Wille hier wäre, wohl nicht alleine in einer Gitterbox, wie ihr erscheint, aufgewacht, oder? Zu viele Fragen für die sie keine Antworten kannte und keine finden konnte, kreisten in ihren dröhnenden Kopf und vervielfachten ihre Kopfschmerzen.
Verängstigt und vor allem verzweifelt starrte sie den Jungen an, der sich nach kurzem von ihrem Blick los riss und sich langsam herum dreht und genauso verwirrt wie sie nach oben sah. Doch was war da? Doch es war zweifelsfrei nicht in ihrem Sichtfeld zu erkennen, die Sonne blendete sie nach der Dunkelheit viel zu stark. Und selbst wenn dies nicht so wäre, hätte es nichts gebracht. Aus zusammengekniffenen Augen versuchte sie etwas erkennen zu können, aber ihr Blick war noch immer getrübt und verschleiert. Als wäre sie auf Drogen - aber was waren Drogen?
Ihre Augen brannten, wie viele andere Körperstellen es auch taten, und sie war sich nicht sicher, ob sie tatsächlich nur tränten oder sie aus ihren zerwühlten Emotionen heraus einfach weinte. Das Mädchen versuchte sich zu konzentrieren, wollte wenigstens eine Antwort auf ihre Fragen bekommen. Doch sobald sie einen Lösungsweg bedenken wollen, verloren ihre Gedanken auch schon wieder jede Fokussierung. Es war verhext. Aber zu einem Schluss konnte sie kommen: sie litt unter Amnesie. Was sonst würde ihr erklären, dass ihr Kopf einem bodenlosen Loch glich. Fahrig fuhr sie sich mit zitternden Händen über die Wangen und versuchte die Spuren verschwinden lassen, doch es wurde nicht besser. Die Tränen bedeuteten Schwäche und egal wen sie vor sich hatte, ob gut oder böse, Schwäche zeigen konnte und wollte sie einfach nicht. Als jedoch die Nässe sofort wieder einsetzte, sobald sie glaubte, sie wäre fertig, wurde sie panisch. Sie versuchte es weiter, presste gar ihre Handrücken auf die Augen um die Bäche zu stoppen und wieder klar denken zu können. Im nächsten Moment fielen ihre Arme wieder schlaff herunter und hangen bewegungslos an ihren Seiten. Keine Chance - die Tränen würden vorerst nicht versiegen.
Im Hintergrund hörte sie so etwas wie Gemurmel, aber in ihrem Zustand hätten es auch Schreie seien können. Die Worte „Mädchen", „Klonk", „Schöpfer" und „Minho" fielen, aber sie konnte ihnen keinen Sinn zuordnen. War das ihr Ende? Würde sie als junges Mädchen sterben? Ohne ... irgendetwas getan zu haben - sie wusste nicht, was sie bis jetzt geleistet hatte. Völlig verzweifelt blinzelte sie mehrmals, hoffte, dass das des Problems Lösung war, doch auch diesmal war ihr Bild verschwommen. Dazu kamen nun auch schwarze Sterne, die in ihrer Sicht tanzten, als würden sie sich über sie lustig machen. Das Licht war zu hell. Sie war zu schwach. Alles blendete sie.
Plötzlich kam Bewegung auf. Zuerst hörte sie dumpfe Schritte, spürte die Vibrationen des Bodens unter ihrem Körper. Sie kamen näher und dann waren sie direkt vor ihr. Sie wollte ihre Augen öffnen in der Hoffnung sie könnte wieder etwas erkennen, doch soweit kam sie nicht. Ein schallender Schrei entkam ihr. Kräftige Arme hatten sie einfach herauf gerissen und unsanft lud man sie auf jemandes Schultern. Hysterisch versuchte sie sich zu wehren. Sie strampelte herum, wand sich unter dem Arm und schlug wild um sich. Ob sie nun traf oder nicht, war sie sich unsicher - sie achtete nicht darauf und Gefühl hatte sie allemal kaum in den Gliedern. Man transportierte sie noch ein, zwei Minuten und sie wollte schon aufgeben, schloss insgeheim mit ihrem Leben ab, weil sie auch die letzte Kraft verlassen hatte, als ein plötzlicher Ruck durch ihren Körper ging. Im nächsten Moment krachte sie schmerzvoll auf den Boden, schlug sich den Kopf an etwas kantigen an und die Benommenheit war wie weg. Auf einmal war alles klar, wie scharf gestellt. Dennoch entfuhr ihr ein verzerrtes Keuchen, daraufhin ein Schluchzen weil nun die letzten Dämme in ihrer Hoffnungslosigkeit gebrochen waren. Flatternd öffnete sie ihre rot gewordenen, geschwollenen Augen und starrte ihre Gegenüber ängstlich an. Ein großer Asiate stand knapp vor ihr und schien sichtlich genervt von ihr. Hinter und um ihn - sie - herum stand eine riesige Menge von Jungs. Nur Jungs. Und alle sahen nur auf sie. Unmerklich zog sie ihre Schultern noch höher und machte sich so klein wie sie konnte. Hinter ihn traten nun auch der blonde Typ aus dem Loch, das sie in drei Meter Entfernung ausmachen konnte, und ein dunkelhäutiger junger Mann. Alle Aufmerksamkeit lag auf ihr. Als warteten die am verhungernden Tiere auf ihr Fressen. Ihr Blick huschte zu ihrem vermutlichen Träger zurück und ihr lief es kalt den Rücken herunter. Der Dunkelhaarige grinste kalt und meinte ebenso herzlos: "Herzlich Willkommen in der Hölle." Das waren die ersten Worte, die an sie gerichtet wurden. Sie würde sie nie vergessen.
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Lichtergeschichten
Fanfiction>>Der ideale Tag wird nie kommen. Der ideale Tag ist heute, wenn wir ihn dazu machen.<< - Horaz. Dies sind die Geschichten der der verpassten Momente, genutzten Chancen, der ersten Male. ~ Erlebe deinen ersten Tag, skurrile Küsse, heiße Nächte. Denn...