6. Kapitel

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Ich spüre wie Schockwellen durch meinen Körper gejagt werden, meine Beine zittern, meine Zähne schlagen aufeinander und ich bin unfähig einen klaren Gedanken zu finden. Meine Mutter so zu finden ist der größte Schmerz den ich mir vorstellen kann. Jede meiner Zellen will sie zurück, ich will das sie aufsteht und ich meine Nase in ihr warmes Fell pressen kann und ihren Duft tief in mich aufnehmen kann. Ich starre Leena durcheinander an, wieso kann sie nicht noch leben? Wieso muss ich sie finden? Als die Sonne am untergehen war, habe ich sie noch gesehen, wie kann sie jetzt hier vollkommen zerfetzt liegen? Ich heule laut auf, schreie meinen Schmerz in den Wald, den Kopf im Nacken, die Augen auf den nächtlichen Himmel gerichtet, dann werfe ich mich auf den Boden und vergrabe mein Gesicht in ihrem Fell, atme tief ihren Geruch ein und lasse mich von Erinnerungen tragen.

"Mama" Flüstere ich tonlos, meine Kehle ist zu geschnürt.

Ewig liege ich neben ihr, spüre ihre Kälte an meinem Körper, ihr Blut an meiner Haut, ihr Geruch von Tod in meiner Nase. Eine Eule ist mein Begleiter durch einen Teil der Nacht, ihre gelb glühenden Augen sind auf das frische Fleisch meiner Mutter gerichtet, ihr Schnabel lässt ab und zu ein Krächzen aus ihrem Hals entweichen. Dann verschwindet sie, jetzt ist mein Blick nurnoch auf die Sterne gerichtet, die kleinen Leuchtenden Lichter in weiter Ferne, bis auch sie mich verlassen und die morgendliche röte den Himmel einfärbt, ich habe mich kein Stückchen bewegt.

Ich stehe auf, die Sonne ist aufgegangen und der Tau glänzt auf meinem Fell. Mit steifen Gliedern taumel ich durch den Wald, meine Augen sehen nichts, alles ist verschwommen. Meine Brust schmerzt mehr als meine Glieder und ich lasse mich in dem Schmerz treiben. Meine unsicheren Schritte tragen mich schneller durch den Wald, mein Tempo ist zu schnell für meine zitternden Beine, aber ich muss weg.

Ich sehe den See durch die Bäume hindurch schimmern und renne darauf zu. Mühsam erreiche ich das Ufer und lasse mich auf die harten Steine fallen. Ich legte den Kopf auf die Pfoten und starre auf den See.

Meine Gedanken wandern zurück zu dem Ort den ich verlassen habe...

Wer hat sie so grausam umgebracht? Diese Frage stelle ich mir immer wieder, auch wenn sie mich innerlich zerstückelt und jedesmal ein weiterer Stein auf meiner Mauer auftaucht.

Ich bleibe den ganzen Tag am See, ich fühle mich wie eine leere Hülle, mein Geist fliegt mit dem Wind und versucht verzweifelt Leena zu finden...

Eine Nase stupste mich an, ich reagiere nicht ich bin bei Leena in meiner Geburtshöhle, Leena legt mich vorsichtig ab und gibt mir meinen Namen, ihr Blick ist voller Liebe und um sie ist ein Schein aus Licht und Glück.

"Shakira?!" Die Stimme kommt aus einer anderen Welt und ich öffne blinzelnd meine Augen,selbst sie sind steif von dem Stillstand der Bewegung. Es ist nicht sehr hell, die Sonne ist schon wieder verschwunden, diesmal jedoch hinter grauen Wolken, weit entfernt strahlt der blaue Himmel, der Himmel in dem jetzt meine Mutter ist. Meine Pupillen weiten sich langsam, versuchen sich an meine Umgebung zu gewöhnen. Ich strecke meine steifen Glieder, meine harten Muskeln schmerzen und einige Gelenke knacken laut.

"Hey Shakira, jetzt mach schon! Was ist den mit dir los? Du bist ziemlich langsam geworden" Lautes Lachen, am liebsten hätte ich ihn dafür umgebracht, wie kann er in meiner Anwesenheit nur lachen, unsere Mutter ist gestorben!

"Avis!" Sage ich vorwurfsvoll, dann wird mir bewusst, das er noch nichts von ihrem tot weis und das er eigentlich ganz woanders sein sollte.

"Wo warst du?" Frage ich verdutzt, dann realisiere ich erst was wirklich gerade passiert. Mein Bruder ist wieder da!

Mein Herz beschleunigt sich und ich heule freudig auf, springe auf die geschwollenen Pfoten und stoße ihn um. Ich stelle mich über ihn, lecke sein Gesicht seine Schnauze seine Augen, mein Schwanz schlägt wie wild und ich winsel vor Freude über unser Wiedersehen.

Der albino WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt