Kapitel 02 | Ich kenne keine Gnade
„Ivy!", rief Shayne, als er zu dem gleichaltrigen Mittelstüfler herüber schlenderte. Ivo ließ sich Zeit damit, seinen Spind zu verschließen und drehte sich nur langsam zu ihm herum. Die Schulbücher in seinen Armen wirkten zu wuchtig für die zierliche Gestalt, doch sein Griff war eisern. Ivo betrachtete ihn mit festem Blick, sein Mund öffnete sich nur für einen kurzen Atemzug, mehr Reaktion zeigte er nicht. Ivo war ein fürchterlich stiller Junge und Shayne fragte sich, ob er in seiner Klasse überhaupt Anschluss fand - die Ruhigen gingen in den Klassengemeinschaften meistens unter. Zumindest brauchte Shayne bei den Zurückhaltenden immer am längsten, um ihre Namen zu lernen. Wie viele sich wohl daran erinnerten, wie Ivos hieß? Er legte einen Arm um dessen Schultern, die um einiges niedriger waren, als seine eigenen.
„Bitte", flüsterte Ivo und brachte Shayne damit zum Lachen. Er hatte nicht den blassesten Dunst, wie ein Bitte in den Kontext passte, eine Begrüßung wäre ihm logischer vorgekommen.
„Bitte...was? Bitte auffälliger mit dir reden? Damit die anderen mitkriegen, dass wir Besties sind?" Shayne grinste verschwörerisch, stieß jedoch auf Widerstand, als er Ivo zu sich heranziehen wollte. „Jetzt hab dich doch nicht so, dann bekommst du vielleicht endlich Freunde."
„Ich habe Freunde."
„Ah ja? Wo denn?" Shayne blickte den Schulflur entlang. Er hatte Ivo noch nie mit anderen Schülern zusammen gesehen und auch jetzt konnte er niemanden entdecken, der auf ihn gewartet hätte.
Ivo starrte ihn aus großen Augen an und blieb still. Aha. Er hatte gelogen. Shayne setzte an, ihm auf den Rücken zu klopfen, als Ivo sich flink aus seinem Arm wandte und quer durch den Flur davonrannte. Sein erschöpfter Atem hallte von den Wänden wider.
„Bis später dann, Ivo", rief er ihm in dem Versuch, die Situation zu retten, hinterher und hängte vorsorglich seinen Namen hinten an. Die anderen sollten schließlich denken, dass sie Freunde waren.
♦♦♦
Shayne fühlte sich danach, seinen Tisch zugreifen und ihn umzuwerfen, direkt in das Chaos, welches sein Zimmer war. Die Stunden des Herumräumens seiner Habseligkeiten hatten nichts als eine Verlagerung der Problembereiche erwirkt. Blätter flogen durcheinander und begruben seinen Basketball, Bücher ummauerten sein Fahrrad und seine Kleidung pflasterte den Boden. Zu allem Überfluss hatte es soeben an seiner Tür geklopft. Normalerweise kam Shayne mit seiner ‚angespannten Zimmersituation' ganz gut zurecht, in diesem Moment störte sie ihn jedoch stark – er wollte nicht, dass Ivo schreiend davonlief, nicht nach all der Zeit, die Shayne auf seinen Besuch hingearbeitet hatte.
Er öffnete seine Tür einen winzigen Spalt breit, gerade genug, um hindurchsehen zu können. „Vielleicht sollten wir spazieren gehn."
„Es regnet."
„Sommerregen is schön."
„Shayne, so schlimm kann dein Zimmer nun wirklich nicht sein", sagte Ivo und drückte ihn beiseite, um die Trümmerlandschaft zu betreten. Nach nur einem Schritt stieß er mit Shaynes Playstation zusammen, die unter seinem Pullover Zuflucht gefunden hatte, und wagte sich nicht weiter vor. „Wie kann man in so einem Saustall leben? Wie kann das hier", er deutete um sich, ein wenig zu theatralisch wie Shayne fand, „noch der entspannteste Teil deiner ‚Komplikationen' sein? Ich habe ja schon Angst, mir etwas einzufangen, wenn ich nur hier stehe."
„Naah, du weißt, dass das Unsinn is", merkte Shayne hilfsbereit an und erntete einen scharfen Blick.
„Ich möchte bitte, dass du dir vor Augen führst, wie lange du bereits in diesem Zimmer lebst. Die Tatsache, dass du noch immer in solch einem Chaos haust kann einzig darauf zurückzuführen sein, dass du vollkommen unfähig bist, Ordnung zu schaffen. Deine Pläne für den heutigen Tag sind angesichts dieser Krisensituation nichtig. Wir. Räumen. Auf."
So hatte sich Shayne seinen ihren gemeinsamen Nachmittag nicht vorgestellt.
„Ich hab aber keine Gummihandschuhe oder sowas", es war ein lahmer Versuch, aber ihm fiel nichts Besseres ein, als an Ivos Ekel zu appellieren. Er wollte wirklich nicht noch länger in seinem Zimmer wüten, er wollte Spaß haben, Ivo näherkommen, mit ihm lachen und diesen blöden Phantomfreund ablösen.
„Ich gehe nicht davon aus, dass deine Besitztümer tatsächlich kontaminiert sind." Und damit hatte sich das erledigt.
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Aus Glas gebaut (Boy/Boy)
Genç KurguShayne ist gutaussehend, charismatisch und beliebt, Dinge mit denen Ivo nicht dienen kann - das denkt Shayne zumindest, bis er seinen ehemaligen Klassenkameraden an der Uni wiedertrifft und vom Gegenteil überzeugt wird. Er will Ivo näher kommen, auc...