C h a p t e r - s i x

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B a i l e e

Noch mal dasselbe." Ich schubste mein leeres Glas über den Tresen zu Joe hinüber, der es mit geübtem Griff auffing.

„Du hast genug gehabt, Bailee."

Ich verdrehe die Augen. „Genug von Cola?"

„Die kann genauso gefährlich sein wie Whiskey." Joe stellte das Glas ins Spülbecken. „Schluss für heute. Glaub mir, morgen wirst du mir dankbar dafür sein. Ein Koffein-kater ist die Hölle, und ich weiß, wie ihr Mädchen drauf seid. Wenn du wegen dem Zeug zwei Kilo mehr auf die Waage bringst, bin am Ende ich daran schuld."

„Und wenn schon." Was machte es denn, wenn ich zunahm – ich war sowieso eine DUFF, und der einzige Typ, dem ich gern gefallen hätte, hatte eine Freundin. Ich hätte auch dreißig Kilo  zunehmen können und wäre nicht schlechter dran gewesen.

„Sorry, Bailee – Kundschaft..." Joe ging zum anderen Ender der Bar, wo Leigh-Anne und ihre beste Freundin Jesy standen und etwas bestellen wollten.

Ich trommelte mit den Fingern auf den Holztresen, in Gedanken weit weg von der Musik. Warum war ich nicht einfach bei Dad geblieben? Warum hatte ich ihn nicht dazu gebracht, mir sein Herz auszuschütten? Stattdessen hockte ich hier und stellte mir die ganze Zeit vor, wie er zu Hause saß und unglücklich war... allein.

Aber das war nun mal die Art, wie wir Grangers mit Problemen umgingen.

Allein.

Warum eigentlich? Warum fraßen wir immer alles in uns hinein? Warum konnte Dad nicht zugeben, dass es zwischen ihm und Mom nicht mehr funktionierte? Warum bekam ich es nicht hin, ihn ganz direkt darauf anzusprechen.

„Hi, Duffy."

Und warum musste sich dieser Scheißkerl ausgerechnet neben mich setzen?

„Verschwinde, Zayn", knurrte ich, der Blick auf meine ruhelosen Finger geheftet.

„Den Gefallen kann ich dir leider nicht tun, Duffy", seufzt er. „Ich bin nämlich nicht der Typ, der schnell aufgibt, und ich bin fest entschlossen, mir eine deiner Freundinnen zu angeln – am liebsten, die mit dem Hammervorbau."

„Warum redest du dann nicht einfach mit ihr, statt mir auf die Nerven zu gehen?"

„Würde ich ja, aber Zayn Malik ist nicht hinter den Mädchen her. Sie sind hinter ihm her." Er grinste. „Warts ab, Duffy, bald fleht sie mich schon auf Knien an, mit ihr zu schlafen. Und dass ich mich mit dir unterhalte, wird die Sache nur beschleunigen. Bisdahin beehre ich dich einfach ein bisschen mit meiner Gesellschaft. Zum Glück scheinst du heute Abend nicht mit einem Getränk bewaffnet zu sein." Er lachte, verstummte dann aber plötzlich.

Ich spürte seinen prüfenden Blick auf mir, starrte jedoch weiter auf den Tresen. „Hey, alles in Ordnung mit dir? Sonst hast du doch immer einen fiesen Spruch auf Lager?"

„Lass mich in Ruhe, Zayn. Ich mein's ernst."

„Was ist los?"

„Geh einfach, okay?"

Ich brauchte dringen ein Ventil für meine innere Unruhe. Die Vorstellung, mich noch so lange zusammenzureißen zu müssen bis ich bei Ashley zu Hause war, brachte mich fast um. Ich muss jetzt Dampf ablassen. Wahrscheinlich hätte es gutgetan, einfach mal eine Rune loszuheulen, allerdings nicht wenn dabei die halbe Schule zuschaute. Joe mein Leid zu klagen – oder gar dem Volltrottel neben mir – kam auch nicht infrage, und jemanden zu verprügeln würde mir nur noch mehr Probleme bescheren. Irgendwelche anderen Alternativen fielen mir nicht ein, aber ich hatte das Gefühl zu explodieren, wenn ich den Druck noch länger aushalten musste.

Mom war in Kalifornien.

Dad litt wie ein Hund.

Und ich war zu feige, etwas dagegen zu unternehmen.

„Komm schon, irgendetwas macht dir doch zu schaffen." Zayn ließ nicht locker. „Du siehst aus, als würdest du gleich anfangen zu weinen."

Er legte eine Hand auf meine Schulter und drehte mich zu sich um, sodass ich ihn ansehen musste. „Bailee?"

Tja, und dann machte ich etwas total dämliches. Meine einzige Entschuldigung dafür ist, dass ich in einer echten Notsituation war und plötzlich eine Fluchtmöglichkeit entdeckte. Ich brauchte etwas, das mich von den Problemen meiner Familie ablenkte und sei es nur für einen winzigen Augenblick. Die Fluchtmöglichkeit saß neben mir auf dem Barhocker, und ich verschwendete keinen einzigen Gedanken daran, wie sehr ich es hinterher bereuen würde, sondern stürzte mich auf sie. Wortwörtlich.

Ich küsste Zayn Malik.

In der einen Sekunde lag seine Hand noch auf meiner Schulter, und seine dunkelbraunen Augen waren ausnahmsweise mal auf mein Gesicht gerichtet, und in der nächsten presste ich meinen Mund auf seinen. Zügellos gaben meine Lippen sämtliche unterdrückten Gefühle  weiter, was ihn in eine Art Schockstarre verfallen ließ.

Aber nicht für lange. Schon einen Augenblick später schlang er seine Arme um meine Hüfte und zog mich an sich. Es war, als würden unsere Münder einen erbitterten Kampf ausfechten. Ich fuhr ihm ungestüm durch die dunklen Haare, seine Fingerspitzen gruben sich in meine Taille.

Es war besser, als jemanden zu verprügeln. Es befreite mich nicht nur von dem quälenden Druck, sondern lenkte mich vollkommen ab. Ich meine, es ist fast unmöglich, an seinen Vater zu denken, wenn man wild mit jemandem rumknutscht.

Und so verstörend es auch klingt – Zayn konnte fantastisch küssen. Wir drängten uns so heftig aneinander, dass er fast von seinem Barhocker gefallen wäre. Als wollten wir in den anderen hineinkriechen und könnten es nicht ertragen, auch nur einen einzigen Quadratmillimeter Luft zwischen uns zu haben.

Mein Kopf schaltete sich komplett aus und ich bestand nur noch aus Körper. Nichts existierte mehr außer unseren sich bekriegenden Lippen. Es war die pure Glückseligkeit. Es war so gut, nicht zu denken.

An nichts. Nichts... bis er es versaute.

Bis seine Hand plötzlich auf meinem Busen lag.

Mit einem Ruck kehrte ich in die Gegenwart zurück und wusste wieder, wen ich da überhaupt küsste. Ich stemmte die Fäußte gegen seine Brust und stieß ihn so fest, wie ich konnte, von mir. Heiße Wut stieg in mir hoch und verdrängte die bange Unruhe, die ich noch vor ein paar Minuten empfunden hatte. Noch sichtlich benommen sah Zayn mich an und ließ die Hände sinken, eine davon landete auf meinem Knie. Er wirkte überrascht – aber definitiv angenehm überrascht.

„Wow, Duffy, das war..."

Und dann knallte ich ihm eine. Ich knallte ihm eine, dass meine Handfläche davon brannte.

Die Hand auf meinem Knie zuckte zu seiner Wange. „Was zum Teufel?", begann er verwirrt.

„Arschloch!", schrie ich, sprang von meinem Hocker und stürmte auf die Tanzfläche.

Und auch wenn ich es vor mir stelbst kaum zugeben konnte – ich war noch viel wütender auf mich als auf ihn.

Duff - hast du keine, bist du eineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt