Die erste Stunde, mein Sitznachbar und ein Projekt

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"Na komm Cassie, die vierte Reihe ist noch frei!", mit diesen Worten zog mich Rosalia in die letzte Reihe des Musiksaals und gemeinsam ließen wir uns auf zwei Plätze der Vierersitzbank fallen und ich guckte mich im Schutz der erhöhten Position und meiner Ponyfransen um. In der ersten Reihe saßen meine Schwester und drei ihrer Freundinnen, unter anderem der "Rote Flummi", wie ich Iris heimlich getauft hatte. Die zweite Reihe wurde von Amber und ihrem Hofstaat besetzt, die mir immer wieder ach so böse und giftige Blicke zuwarfen. Grinsend zeigte ich ihnen meinen Mittelfinger, auf dem in schwarzer Tinte FUCK YOU eingebrannt stand. Ja, ich hatte ein Tattoo. Mit Kontakten wie den meinen war das nichts Unnormales. Ich ließ meinen Blick weiterschweifen und blieb an der Reihe vor mir hängen. Dort saßen vier Jungs, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Ganz links ein dunkelhäutiger Typ mit schwarzen Rastalocken in Sportklamotten, daneben hockte ein grünhaariger Junge mit Gärtnermütze und einem Gänseblümchen auf den Locken. Direkt vor mir war nur eine dunkelbraune Kapuze zu sehen und ich atmete den Geruch nach Wald und alten Büchern genießerisch ein. Ganz zuletzt vor dem freien Platz rechts neben mir saß ein Typ à la "Sunnyboy mit Tattoos und Hippiehaarschnitt". Er drehte sich um und ich sah seine grünen Augen neugierig aufblitzen. 'Playboy. Nichts für mich. Zu aufdringlich und wahrscheinlich sehr sexistisch. Wie war sein Name nochmal?', mein Gedankengang wurde von einer rauen Stimme und einem Schnipsen gegen meine Stirn unterbrochen. "Hey! Wer bist du und wie heißt du?" Ich drehte meinen Kopf und blickte in ein Paar graubraune Augen. "Cassie. Geschnipst wird nich'. Bin deine Sitznachbarin und wer bist du?" Noch während der letzten Worte streckte ich meine Hand aus und wollte zurückschnipsen, da packte er meine Finger und hielt mich fest. "Nur gucken, nich anfassen, Püppchen. Ich bin Castiel Smith." Er grinste frech und fuhr sich mit einer Hand durch seine rotgefärbten Haare und vorsichtig tastete ich ihn mit meinen Augen ab. Das Gesicht war schmal, seine Wangenknochen standen ein wenig hervor und seine Lippen waren trocken und damit bestimmt sehr rau. Die Klamotten waren ganz cool, schwarze Lederjacke, rotes Bandshirt von "Winged Skulls", schwarze enganliegende Jeans und weiße Chucks. Seine Hände waren größer als meine, jedoch genauso zierlich. "Gitarre oder Bass.", murmelte ich. "Was nuschelst du da vor dich hin?", erkundigte Castiel sich und hob mein Kinn an, sodass ich ihm in die Augen gucken musste. "Wenn du in einer Band bist, spielst du entweder Gitarre oder Bass. Wenn nicht, dann zeichnest du.", meine Wangen wurden rot, doch ich blickte ihm fest in die Augen. "Nicht schlecht Kleine. Ich spiele tatsächlich Gitarre und zeichnen tu ich eigentlich auch ein bisschen. Woher wusstest du das?" Jetzt grinste ich. "Weibliche Intuition", sagte ich und er schnaubte amüsiert. "Coole Sache.", meinte er, ließ mich los und wandte sich nach vorne. Dort stürmt gerade ein Typ zur Tür herein, der aussah, als würde er noch von seiner Mutter angezogen, und ließ sich auf den Stuhl vor dem Lehrerpult sinken. Es wurde ruhiger in der Klasse und auf sein gekeuchtes "Guten Morgen Schüler!" hörte man die gelangweilte Antwort der Schüler: "Guten Morgen, Mr Faraize." Mit zittriger Stimme verkündete er: "Da das unsere erste Stunde in diesem Schuljahr ist, werdet ihr euch mit eurem Banknachbarn zusammen tun und gemeinsam ein Lied vortragen. Ihr habt eine Dreiviertelstunde Zeit." Castiel und ich guckten uns an, er nahm mich bei der Hand und zog mich aus dem Raum. Im Flur angekommen blieb er gar nicht erst stehen, sondern zerrte mich in ein leeres Klassenzimmer und setzte mich auf einen der Tische. "Irgendwelche Vorschläge?", fragte er und nahm eine Zigarette aus der Schachtel in seiner Hosentasche. Er zündete sie an, ließ sich auf dem Fensterbrett nieder und fing an zu rauchen. Seufzend stand ich auf, nahm ihm die Kippe weg und warf sie aus dem Fenster. "Hey! Was-", wollte er protestieren, doch ich schnitt ihm das Wort ab. "Das kannste später machen. Wir haben jetzt wichtigeres zu tun.", sagte ich und lief unruhig im Zimmer herum. "Kannst du denn wenigstens singen?", murrte er und guckte mich abwertend an. "Denk schon?", antwortete ich zweifelnd. "Dann probier das Lied", forderte er mich auf und zog sein Handy aus der Jackentasche. "Rebel Lovesong?", fragte ich zögernd und er nickte stumm. "Na gut!", seufzte ich und begann zu singen...

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