Gute Nacht SMS, Gedichte und Besuch aus Tokyo

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Im Krankenzimmer angekommen wurde meine Hand abgetastet, ich bekam eine Schiene, weil sich herausgestellt hatte, dass ich mir wirklich etwas verstaucht hatte. Als Dimitri und ich endlich gehen durften, ertönte draußen der erlösende Schulgong, der verkündete, dass wir entlassen waren. Zusammen betraten wir den Pausenhof, verabschiedeten uns mit einer Umarmung und ich blickte ihm verträumt hinterher. "Mund zu, du sabberst!", hörte ich meine Schwester hinter mir zwitschern und drehte mich um. Sie grinste und bevor ich mich verteidigen konnte, hob sie die Hände. "Du musst dir nichts ausdenken. Ich hab eure Blicke gegenüber dem jeweils anderen gesehen und die Art wie er dich berührt, sagt selbst 'nem Blinden mit Krückstock, dass er dich mehr mag, als nur als Freundin. Habt ihr euch draußen auf dem Flur geküsst?" Mit rotem Gesicht schüttelte ich meinen Kopf und wisperte verlegen:"Wir haben nur geredet. Da war gar nichts dabei." Fröhlich kichernd knuddelte Vivi mich, nahm meine Hand und gemeinsam schlenderten wir nach Hause. Dort angekommen erledigten wir unsere Hausaufgaben, aßen Rotkohl, Bratwurst und Kartoffelpüree und verschwanden abends in unseren Zimmern. Dort verschanzte ich mich mit Laptop bewaffnet in meinen geliebten Ohrensessel und guckte mich durch meine Lieblingsanimes, zockte ein bisschen World of Warcraft und ging dann auf Facebook, um mir meine neuen Klassenkameraden mal ein bisschen genauer anzuschauen. Bevor ich mich schlafen legte, guckte ich noch auf mein Handy, erkannte im Halbdunkel, dass ich eine Nachricht bekommen hatte, öffnete sie und las:

Schlaf gut, Alice. Träum süß und fall morgen in keine tiefen Löcher. Wir sehen uns am Schultor um halb acht? Dimitri

Ich kicherte wie ein kleines Mädchen und schrieb:

Vielen Dank, Hoodie. Schlaf du auch gut. Ich werde versuchen, keinen weißen Kaninchen nach zu jagen, versprochen. Halb acht klingt gut :) Hiruko

Am nächsten Morgen vollführte ich meine tägliche Routine. Duschen, Haare föhnen, Zähne putzen, Anziehen (schwarzes Kleid, rote Doc Martens und Overknees) und mehr oder weniger verschlafen meinen morgendlichen Tee trinken. "Moin", begrüßte ich meine Schwester, die anscheinend der Meinung war, das mehr oder weniger genaue Gegenteil meines Outfits zu fabrizieren. Sie war in einem weißen Kapuzenkleid, fliederfarbener Strumpfhose und grauen Ballerinas unterwegs. Nach einem kleinen Frühstück, bestehend aus Croissants und Spiegelei machten wir uns auf den Weg. An der Schule angekommen sah ich schon Dimitris braunen Haarschopf und ganz unauffällig beschleunigte ich meine Schritte. Vivi verstand, verlangsamte und wurde von ihren Freundinnen begrüßt. Ich stand nun neben meinem allerliebsten Hutmacher und tippte ihn an. "Guten Morgen", grinste ich und mit blitzenden Augen sah er zu mir herunter, zog mich in eine lange Umarmung und murmelte in meine Haare:" Guten Morgen, Cassie." Wir betraten das Schulgebäude und machten uns auf den Weg zu unseren Schließfächern. Dort nahmen wir die Bücher heraus, die wir für den heutigen Tag benötigten. "Chemie, Religion, Erdkunde, Englisch und eine Doppelstunde Kunst" las ich vor und Dimitri nickte. "Dann lass uns mal losgehen.", sagte er und lächelnd nahm ich seine Hand und zog ihn in Richtung des Chemiesaals. Ich hatte ihn gestern gesehen, als Rosa mich herumgeführt hatte. Fünf Minuten später hatten wir den Raum erreicht und ließen uns auf zwei Plätze in der dritten Reihe am Fenster fallen. Ich packte meine Sachen aus, Dimitri suchte in seinem Rucksack und holte ein Buch hervor. "Dracula and other Horror Stories" las ich leise. Er nickte grinsend und fing an zu lesen. Als ich aus dem Fenster guckte, versank ich in dem wunderschönen Bild, dass sich mir dort bot. Es war wahrhaftig Herbst geworden. Die Blätter wirbelten, vom Wind beeinflusst in kleinen Spiralen zu Boden und verbanden sich dort zu mehreren großen und kleinen Laubhaufen. Nachdenklich riss ich ein Blatt aus meinem karierten Block und ließ meinen Gedanken freien Lauf...

Zwischen den Zeiten und zwischen den Orten da flieg ich da schwimm ich da gleiten die Bilder mit mir hier drinnen da draußen und mischen sich endlos in deinen Augen les ich noch immer den Himmel die herbstblattfarbenen Wolken ich sag dir ein Märchen ins Ohr von der Vogelfrau die ein Fisch ist und manchmal ein Baum der singt von Berührungen leicht und schwer die werden zu Jahresringen...

Ich saß da und rätselte, was die letzten Worte sein sollten, da verschwand der Zettel vor mir und verwirrt guckte ich hoch. Dimitri hatte sich das Papier geschnappt, las den Text und kritzelte dann etwas unter meinen Gedankenfluss. Er gab mir den Zettel wieder und ich schaute auf die Worte, die dort mit Bleistift in wunderschönen verschlungenen altmodischen Buchstaben dastanden.

... die leg ich mir um mein Herz damit es nicht springt

Ich lächelte und nickte. "Ja, das passt." Dimitri flüsterte:"Du schreibst sehr gut. Kam das alles nur aus deinem Herzen heraus?

Nicht fähig zu sprechen, nickte ich und beeindruckt schaute er mir ins Gesicht. Sanft strich er mir eine Strähne aus dem Gesicht und grinsend wandten wir uns endlich dem Unterricht zu. Am Ende des, mir unendlich vorkommenden Schultags gingen Dimitri und ich zum Schultor. "Cassie, ich wollte dich fragen, ob-" Ich blieb stockend stehen, als ich sah, wer dort schelmisch grinsend an ihrer Harley Davidson gelehnt stand. Den schwarzen Helm unter den Arm geklemmt, grinste sie in meine Richtung und hob ihre Hand zum Gruß. Die schulterlangen schwarzen Haare mit den giftgrünen Highlights hatte sie zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden. Sie trug ein schwarzes enganliegendes Top, darüber eine Lederjacke mit Killernieten auf den Schultern. Ihre schlanken Beine waren in eine schwarze zerrissene Jeans gehüllt und ihre Füße steckten in Motorradstiefeln. Meine Augen wurden groß und quietschend rannte ich auf sie zu. "RIIIIIN!!! BEI ALLEN SHINIGAMIS, WAS MACHST DU DENN HIER? ICH HAB DICH SOO VERMISST!!!", bei ihr angekommen zog sie mich in eine feste Umarmung und quetschte mir beinahe die Luft ab. "Hatte keine Lust mehr auf Tokyo. Und da hab ich mir gedacht, wenn meine Lieblingscousinen in Amoris auf die Schule gehen, haben sie bestimmt noch etwas Platz für mich übrig. Außerdem hab ich euch beiden Penntüten ziiiemlich vermisst." Wir grinsten uns an und dann hörten wir ein nochmal um einige Oktaven höheres Quietschen von Vivi, als die uns beide erblickte. Sie rannte auf uns zu und knuddelte sowohl Rin als auch mich so sehr, dass es sich so anfühlte, als würde sie uns nie wieder loslassen. "Vivi, AUS!!!", keuchten wir im Chor und bekamen einen Lachflash. Nach einer Weile, in der wir uns über Gott und die Welt unterhalten hatten, spürte ich ein leichtes Tippen auf meine rechte Schulter. Erstaunt drehte ich mich um und sah Dimitri kichernd vor mir stehen. Er hielt mir meinen Rucksack mit den Worten:"Den hast du fallen gelassen." hin und dankend nahm ich ihn an. Dann sahen wir uns in die Augen und alles verstummte wieder. Um uns herum stand alles still und der Moment war perfekt. Er lächelte halb, nahm mich in den Arm und drückte mir einen Kuss aufs Haar. "Bis morgen, Cassie", flüsterte er noch, dann löste er sich von mir und lief die Straße entlang. "Bis morgen", rief ich ihm noch hinterher und ein letztes Mal drehte er sich um, verbeugte sich herrlich altmodisch und ging dann davon. Warte mal, wollte er mich vorhin nicht etwas fragen? "Lasst uns nach Hause gehen", schlug Vivi vor und Rin und ich nickten stumm. Zu dritt liefen wir nebeneinander die Straßen entlang, Vivi und Rin unterhielten sich über Tokyo und ich stolperte gedankenverloren neben ihnen her. Warum machte dieser Junge mich nur so verrückt? Bei jedem anderen war ich bisher total ruhig geblieben, nicht mal Tony hatte mir solches Herzklopfen und Magensausen verschafft. Was war nur mit mir los, dass ich auf einmal so schwach wurde?

SchokoküsseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt