Möbelrücken, Tränen und alte Bekannte

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"Willst du vielleicht dein Zimmer fertigmachen? Du musst ja bloß noch einräumen, nicht wahr?", ich reichte ihr meine Hand und zog sie hoch. "Ja, stimmt!", fröhlich nickte ich und holte die Taschen, Koffer und Kartons aus dem kleinen Nebenzimmer. "Da sind die Klamotten drin und in dem großen Koffer sind meine Bücher, CDs und DVDs. Die restlichen Sachen mache ich später. Könntest du bitte meine Anziehsachen in den Schrank räumen?", während ich redete, zeigte ich auf die jeweiligen Sachen und eifrig nickte Viola. "Klar, mache ich!" Sie schleppte meine Taschen zu dem großen Schrank aus Ebenholz und fing an, sie einzuräumen. Ich hatte gerade meine CDs einsortiert, da hörte ich einen langgezogenen spitzen Schrei und drehte mich um. "Ist was passiert?", fragte ich erschrocken und guckte in Violas entsetztes Gesicht. "Die...die Anziehsachen sind ja fast gar nicht bunt! Und immer diese brutalen Bandlogos mit all dem Blut und den Totenköpfen... Wo sind denn all die hübschen Kleider hin, die ich dir zum Geburtstag geschenkt habe?" Leise in mich hineinlachend erwiderte ich: "Die hab ich auf Ebay verkauft. Dann konnte ich mir die Konzertkarten von Skillet leisten. Dit war sooo geil!" Streng schüttelte Vivi ihren Kopf ihren Kopf, drückte mir einen Stapel Hosen in die Hand und verließ mit dem Satz "Ich mache Essen" den Raum. Grinsend legte ich eine CD von Kansas ein und sang lautstark zu "Carry On My Wayward Son" mit. Eine halbe Stunde später war ich fertig und hatte gerade die letzte Krimskramskiste in den Händen. Darin befanden sich ein kleiner Teddybär mit einem weißen T-Shirt auf dem ein pinkes Herz gedruckt war und ein verstaubtes Foto. Ich räumte die Kiste weg und setzte den Bären aufs Bett. Er war ein Abschiedsgeschenk von Kentin, der auf die Militärsschule musste. Das Bild, das ich nun in der Hand hielt, war in einen schönen Rahmen gefasst und zeigte vier Personen. Ein junger Mann mit braunen verwuschelten Haaren und grünen freundlichen Augen, neben ihm stand eine hübsche Dame mit blonden Locken und einem gütigen Lächeln. Vor dem Paar saßen zwei kleine Mädchen. Einmal ein dunkelblonder Lockenkopf und daneben silbrigblond und so glatt wie Schnittlauch. Eine glückliche Familie. "Mum, Dad...", wisperte ich und mir stiegen Tränen in die Augen. Zwar war es schon zehn Jahre her, dass sie verschwunden waren, doch trotzdem tat es immer wieder aufs Neue weh. "Nein, ich werde jetzt nicht weinen. Verdammt nochmal, bleib stark, du Idiotin!", sagte ich bestimmt und stand auf. "Cassiiie! Mach dich mal fertig, es kommen ein paar Leute vorbei!", hör ich Vivis Stimme aus dem Flur. "Ist gut!", rief ich zurück und schluckte die Tränen herunter. Ich stellte das Foto auf meinen Nachttisch und verschwand im Bad. Dort duschte ich ausgiebig, machte meine Haare und putzte mir die Zähne. Zurück in meinem Zimmer schnappte ich mir ein olivgrünes Hemd, meine schwarzen Hotpants und Unterwäsche, zog mich an und betrachtete mich im Spiegel. Meine roten Haare gingen mir bis zur Hüfte, umrahmten mein blasses Gesicht mit den Sommersprossen und den grünen Augen, legten sich über meine schmalen Schultern und fingen trotz Glätteisen schon wieder an sich zu locken. Dann drehte ich mich um und guckte mich in meinem Zimmer um. Die Wände waren rot gestrichen, über meinem dunkelgrauen Metallbett mit den schmiedeeisernen Rosen prankte ein großer, schwarzer Schmetterling, auf den Wänden drumherum hingen Postkarten, Konzerttickets und Fotos, es gab zwei Bücherregale, ein CD- und DVD-Regal, einen Fernseher und einen kuscheligen grauen Sessel. Dazu gab es einen Schreibtisch, ein riesiges Poster von Zarame-sama, dem Shinigami aus Zombie-Loan, einem meiner Lieblingsmangas und einen Pfeil- und Bogenständer. Unten hörte ich Stimmen, ich verließ den Raum, lief die Treppen hinunter und blieb stehen, als ich die zwei Typen sah, die bei uns im Türrahmen standen und sich mit meiner Schwester unterhielten. "Cassie, das ist mein bester Freund Alexy", erklärte Vivi und zeigte auf den, der näher bei mir stand. Er hatte blaue Haare, violette Augen, trug eine orangene Sweatshirtjacke, dunkelgrüne Jeans und orangene Stiefel. Um seinen Hals hingen neongrüne Beats und mit fröhlich funkelnden Augen meinte er:"Also, du bist die berühmte Cassie! Vivi hat uns schon viel von dir erzählt. Herzlich Willkommen in Amoris!" Auch ich lächelte und erwiderte:"Hoffentlich nur Gutes! Danke für den Willkommensgruß, echt nett von dir. Wenigstens muss ich mir bei dir keine Sorgen machen, dass du meiner Schwester oder mir an die Wäsche willst. Eine Sorge weniger..." Verwirrt sah er mich an und aus dem Hintergrund hörte ich:"Wie kommst du darauf?" Nachdenklich guckte mich der andere Fremde an. Seine braunen Haare fielen ihm in die grasgrünen Augen, das weiße Hemd und das schwarze Top darunter ließen seine Armmuskeln frei und die Tarnfarbenhose steckte in seinen Militärstiefeln. "Ganz einfach, weil du und er zusammen sind... Kentin!", mit einem fröhlichen Grinsen genoss ich das verblüffte Schweigen, dass auf meine Worte folgte. "Wie... Wo...woher?!", stammelte Alexy und Kentin starrte mich mit offenem Mund an. Viola verdrückte sich in die Küche und fröhlich sagte:"Berufsgeheimnis!" Dann lief ich auf meinen besten Freund zu und nahm ihn in den Arm. "Schön, dass du da bist, Kennylein. Ich hab dich vermisst!" Kentin schloss seine Arme um mich und knuddelte mich so sehr, dass ich nach Luft schnappte. "K..Kentin.. Keine Luft...", keuchte ich und lachend fragte er: "Gehen wir zu den anderen?" Ich nickte. Drinnen angekommen setzten wir uns zu den anderen an den Tisch, aßen gemeinsam Sushi, redeten, lachten und schließlich waren Viola und ich allein. Wir räumten noch auf, zogen uns um und gingen ins Bett. Bevor ich diesen Abend einschlief, dachte ich noch:"Vielleicht wird es ja doch nicht so schlimm, auf 'ne Schnöselschule zu gehen..."

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