Ich versuche die Menschen, die mir am wichtigsten sind, glücklich zu machen. Ich versuche die richtigen Dinge zu sagen und zu tun, aber ich schaffe es nicht. Da ist immer irgendwas in mir, das von mir selbst enttäuscht ist. Immer dieser Teil, der unzufrieden ist mit allem; mit mir, mit den Menschen um mich herum, mit dem Leben, mit der Welt, mit ALLEM. Und ich kann nichts dagegen tun. Ich kann mich nur dafür entschuldigen.
Bei Alan zum Beispiel. Ich habe mich letzten Endes dazu durchgedrungen und bin nach der Schule bei ihm Zuhause aufgetaucht. Ich habe mir mindestens zehn Minuten vor seiner Tür Mut zugeredet, bevor ich es fertig gebracht hab zu klingeln.
"Alan, hör zu...", begann ich. Ich hatte mir eine ganze Reden in meinem Unterbewusstsein zurecht gelegt, nur für den Fall, doch alles war weg. Ich stand da mit leeren Karteikarten und wusste nicht weiter.
"Es tut mir leid", sagte ich und sah ihn an. Er erwiderte meinen Blick und nickte. Es war zu wenig. Viel zu wenig gesagt, viel zu wenig getan. Ich hatte ihm so viel mehr sagen wollen.
Meinetwegen, ich bin nicht mehr sauer, ich bin nicht mehr enttäuscht, meinetwegen schreie ich dich auch nie wieder an. Aber geh nicht weg, ich ertrage das nicht.
So stand ich vor ihm.
"Bitte sieh mich nicht so", flüsterte ich. "Bitte."
Tausend Worte wollten gleichzeitig über meine Lippen. Ich fing sie ein und hielt sie fest ehe ich mich in ihnen verhaspeln konnte, ehe ich in ihnen gefangen war, wie in einem Netz.
Er auf mich zu und nahm mich in den Arm.
"Ich mach mir nur Sorgen", murmelte er, doch ich schüttelte den Kopf.
"Ich bin nicht depressiv."
Ja, so ungefähr lief das ab. Wir sind dann zu ihm reingegangen und haben irgendwelche Filme geguckt. Ich war 90% der Zeit in Gedanken und hab während des Filmes weder mitbekommen, wer die Guten waren, noch für was die sich gegenseitig abgeknallt haben. Alan liebt Actionfilme, was ich beim besten Willen nicht nachvollziehen kann... aber wenn es ihn glücklich macht...
Wir haben seit dem nicht mehr drüber geredet. Von demWort "Depression" wurde keinerlei Gebrauch mehr gemacht. Was aber nicht heißt, dass der Berg in meinem Kopf in irgendeiner Weise geschrumpft ist.
Ich fühle mich stumpf. Irgendwie taub. Irgendwie leer. Ein bisschen einsam vielleicht. Und müde.
Mir ist egal, welchen Tag wir haben, mir ist egal, wie spät es ist, mir ist egal, ob sie gucken oder reden oder lachen, mir egal.
Ich habe Menschen, mit denen ich reden kann. Wozu also dieses unnötige Geschreibe hier? Wieso kann ich die Zweifel nicht zudrehen wie einen Wasserhahn? Die sind wie diese besonderen Kerzen, die man auf Geburtstagskuchen steckt; man pustet und pustet und pustet aber sie gehen immer wieder an.
Es ist, als würde ich auf die nächste Enttäuschung warten, als würde ich bereits den nächsten Schlag erwarten, der für den Moment, den Moment des Schmerzes, alles in Stücke reißt.
Sitzen. Musik hören. Zu laut. Egal welches Lied. Hauptsache ich muss die Stimmen von all den fremden Menschen um mich herum nicht hören.
Durch meine Kopfhörer singt Avril Lavigne, dass sie gerade sehr viel Spaß hat und ein bisschen verrückt sein muss. Ich höre mir das an und spüre, wie der mitreißende Enthusiasmus, den ihr Lied eigentlich vermitteln soll, nicht ansatzweise durch meine Oberfläche dringt.
Irgendwie erinnert mich das an diese Vogel-Glasscheiben-Unfälle.
Ein Vogel, der gegen eine Glasscheibe fliegt, weil er denkt, dass die Welt auf dem Glas, bloß ein blasses Spiegelbild der Wirklichkeit wohlgemerkt, eine Welt ist, die weiter geht, eine reale Welt. Doch er muss erkennen, dass es eben doch bloß eine Illusion ist, ein Spiegelbild, so echt, dass er mit voller Wucht vor das Glas fliegt und sich das Genick bricht.Machen Menschen es nicht ähnlich? Rennen sie nicht auch Hals über Kopf in irgendwelche Illusionen, in irgendwelche Spiegelbilder, und müssen dann im Augenblick des Schmerzes erkennen, dass sie in Wirklichkeit vor Glas gelaufen sind?
Aber eine Welt ohne Illusionen und Spiegelbilder...könnte man in einer Welt ohne Illusionen und Spiegelbilder Dinge erschaffen? Sind denn nicht die erstaunlichsten Dinge aus Träumen entstanden? Wurde nicht oft genug ein blasses Spiegelbild der Wirklichkeit zur materiellen oder geistigen Realität gemacht?
Ich kriege Kopfschmerzen, wenn ich jetzt weiter so denke. Alles nur Fragen ohne Antworten. Viel zu komplex.
Die Bahn ist da. Ein Vierer, in dem keiner sitzt. Meiner. Hauptsache niemandem gegenüber sitzen. Lied wechseln, aber ich hab keine Ahnung, was ich hören will. Das ewige hören ist mir zuwider, doch ist sie Musik aus, höre ich die Wirklichkeit. Und diesen Klang könnte ich noch weniger ertragen.
Wirklichkeit. Wirklichkeit. Wirklichkeit. Immer dieses Wort. Es ist überall, weil überall Wirklichkeit ist. Dennoch bin ich gut darin geworden, der allumfassenden Wirklichkeit zwischendurch keine Beachtung zu schenken. So wie jeder Mensch, denke ich. Ich würde sie vergessen, wäre sie nicht der stille Begleiter eines jeden, der auf diesem Planeten wandelt.
Die Wirklichkeit ist Luft. Im wahrsten Sinne des Wortes. Denn ich atme. Dauerhaft. Ständig. Kontinuierlich.
Das ist Wirklichkeit. Wenn ich die Wirklichkeit voll und ganz vergessen würde, entgültig, würde ich dann nicht auch vergessen, dass ich atme? Wobei...vergisst man nicht jeden Tag aufs neue, dass man atmet?VEREHRTES IMAGINÄRES PUBLIKUM! WIR ATMEN! WIR SAUGEN LUFT EIN, STOßEN SIE WIEDER AUS UND LEBEN DAVON! Legen Sie sich eine Hand auf die Brust und spüren Sie, wie es hoch und runter geht, immer wieder! Halten Sie den Atem an und spüren Sie den Druck, wie es langsam Ihren Brustkorb zusammen zieht! Spüren Sie wie es schlägt, Ihr Herz! SPÜREN SIE DIE WIRKLICHKEIT? SPÜREN SIE, WIE WIRKLICH DAS IST? DASS SIE AM LEBEN SIND? EIN LEBENDES, ATMENDES WESEN?
Für viele Menschen ist die Tatsache, dass sie ein schlagendes Herz in der Brust haben, Beweis genug dafür, dass sie am Leben sind und haben allein durch diese Tatsache einen Grund um weiter zu machen. So viele Menschen nicht.
Übertönen ohne etwas zu hören. Vielleicht sollte ich anfangen zu meditieren.
Oder vielleicht einfach Musik ohne Text? Keine Ahnung.
Ich hab mal gehört, man kann Feuer meditieren. Ich glaube, ich werde Zuhause ein paar Kerzen anzünden.
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LOGBOOK
Novela JuvenilHaben die Kapitäne von Schiffen nicht Logbücher geschrieben? In dem Falle wäre ich der Kapitän, das Schiff wäre mein Leben und das Meer wäre die Welt. Klingt poetisch. Und da steh ich drauf!