Ich stehe im Gang des Zuges und kann mich nicht setzen. Meine Brust schnürt sich zu. Es ist ein Gefühl, als würde die Luft von unsichtbaren Händen aus meinen Lungen heraus gedrückt. Als würde man ein Glas über eine Kerze stellen und zusehen, wie das helle Flackern schrumpft und die Flamme langsam erlischt. Das Stehen wird schwer. Das Geradehalten wird schwer.
Ich war letztens ganz plötzlich traurig. Und ich weiß nicht wieso. Vermutlich weiß ich es doch irgendwo tief in mir drin und entscheide mich jetzt einfach nur für die einfache und kurze Variante des Erzählens; der des Ahnungslosen. Aber okay.
Es war im Zug. Ohne Ticket und ohne Sitzplatz habe ich im Gang gestanden, die Kopfhörer über den Ohren, Welt und Menschen ausgeblendet mit Musik, die längst im roten Bereich der Lautstärkeanzeige jedes andere Geräusch erstickt hat. Ohne Ticket zu fahren ist ein seltsames Gefühl aber irgendwie fand ich es auch ziemlich lustig. Bis auf den Kontrolleur, der mein nicht vorhandenes Fahrticket hat sehen wollen und mit dem ich erst ein wenig habe verhandeln müssen, um ihn davon zu überzeugen einfach weiter zu gehen ohne mir Strafgeld abzuziehen.
Jedenfalls hab ich dagestanden und nachgedacht, mich an einer dieser grauen Stangen festhaltend, um durch das Schwanken und ruckartige Bremsen des Zuges nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten, darauf hoffend bald irgendwo einen freien Platz zu finden.
Es war ein Sonntag gewesen. Der nächste Tag ein Montag. Schule also. Und Schule ist mit etwas verbunden, das ich im letzten Jahr über die Maßen hassen gelernt habe, ich verabscheue jegliche Form davon. Und zwar Druck. Ich hasse es unter Druck zu stehen.
Und nach einem Wochenende lang Ebbe ist dann die Flut gekommen, um mich in Form von riesigen Wellen zu überrollen, hinab zu ziehen und mich dort zu in schwarzem erstickendem Wasser zu ertränken.
Im wahrsten Sinne des Wortes, denn ich habe tatsächlich gespührt, wie mir langsam die Luft ausgegangen ist, wie sich in meiner Brust etwas zusammen gezogen hat, unsichtbare Hände schienen mir ein viel zu strammes Korsett angelegt zu haben.
Und ich habe verzweifelt nach Atem gerungen, habe die Tasche abgestellt, ganz bewusst Luft geholt, durch die Nase ein, durch den Mund aus, doch ich habe keinerlei Verbesserung feststellen können, im Gegenteil, es ist immer schlimmer geworden. Langsam hat sich mein Rücken gebeugt, mein Kopf gesenkt, den Blick starr vor meine Füße gerichtet, dann, langsam nach oben gezwungen, auf mein Spiegelbild in der Fensterscheibe, das mit entsetzt geweiteten Augen zurück gestarrt hat.
Das unsichtbare Korsett hat sich immer fester um meinen Brustkorb geschnürrt, ein Ziehen in der Magengegend ist dazu gekommen, ein sich stetig verstärkendes Zusammenkrampfen und hektisch habe ich mich nach einem Platz umgesehen, irgendeiner Sitzmöglichkeit, habe mich jedoch nicht bewegen können. Schließlich ist mein Blick auf eine Treppe ganz in meiner Nähe gefallen und ich habe mich letzten Endes auf die staubigen Stufen gesetzt, das Gesicht in den Händen vergraben, mit den Tränen kämpfend und verzweifelt um ruhigen Atem bemüht.
Druck. Eine Sache, mit der ich überhaupt nicht umgehen kann.
"Du machst dir selbst viel zu viel Stress", hat Helen mal zu mir gesagt, vermutlich hat sie damit recht gehabt.
Heute zum Beispiel habe ich mit Mom geredet. Sie kam in mein Zimmer hinein und hat mich gefragt, wie es mir gehen würde.
"Mir geht's gut, super, so wie immer halt", habe ich gesagt und mit vor Sarkasmus triefender Stimme.
"Das ist doch schön", hat Mom gesagt und ich habe innerlich die Hand gehoben und sie mit voller Wucht gegen meine Stirn geschlagen.Dann kam das Thema Schule und ich war blitzartig von der ganzen Welt genervt gewesen. Mom hat mit Dingen wie "So geht es nicht weiter" und "Du musst früher schlafen gehen um dich in der Schule besser konzentrieren zu können" und "Du musst mal weniger lesen oder dich sonst wie ablenken und mehr für die Schule tun" um sich geschleudert und ich habe mir die Predigt betont gelangweilt angehört, um mich von dem in mir aufsteigenden Druck nicht überweltigen zu lassen. Sie hat meine gleichgültige Art jedoch als provozierend empfunden und ist am Ende wutentbrannt aus meinem Zimmer gestürmt, die Tür dramatisch hinter dich zu knallend.

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LOGBOOK
Genç KurguHaben die Kapitäne von Schiffen nicht Logbücher geschrieben? In dem Falle wäre ich der Kapitän, das Schiff wäre mein Leben und das Meer wäre die Welt. Klingt poetisch. Und da steh ich drauf!