1 „Auf diesen Sommer"

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Sie wollte nicht schreiben. Eigentlich. Maila blickte mit Missfallen das kleine, ledergebundene Buch an, das ihre Mutter ihr beim Abschied in die Hand gedrückt hatte. Sie könne doch schreiben, also solle sie es doch auch machen. Achtlos ließ Maila das Buch in den Tiefen ihres unordentlich gepackten Koffers verschwinden und rappelte sich auf die Füße. Auf ihrer Matratze sah man deutlich den Abdruck, wo ihr Körper bis gerade quer über dem Bett gelegen hatte, und sie fragte sich, ob es ihr in der Nacht überhaupt möglich sein würde, ihre Schlafposition zu ändern. 

Mit einem Naserümpfen begutachtete sie noch einmal ihre spartanisch eingerichteten Wohnverhältnisse für die nächsten drei Monate. Aber hey, immerhin könnte sie in der verwaschenen gräulichen Badewanne sogar die Füße ausstrecken. Auch wenn sie das Ding auch nur mit Gummihandschuhen anfassen würde. Die Dusche schien ihr da die bessere Wahl, auch wenn sie schon befürchtete, dass der Duschvorhang engere Freundschaft mit ihr schließen wollen würde, als ihr lieb war. Immerhin gefiel ihr das große Fenster mit der Sitzbank, von der aus sie über den Hofplatz bis hin an die verschwommene Linie des Meeres kurz vor dem Horizont blicken konnte. Und das Bett war immerhin ein Doppelbett und keine schmale Gefängnispritsche. Die Stuckverzierungen und die geblümten Vorhänge verliehen dem Zimmer einen Charme der vergangenen Jahre, aber für diesen Sommer war das mehr als gut genug. Maila hätte den Sommer auch in einem Zelt neben Attilas Box verbracht, so lange sie hier hätte trainieren dürfen.

Es hatte mit dem Sieg in der U18Tour im letzten Jahr begonnen, die sie und Attila im Herbst entgegen aller Erwartungen für sich entschieden hatten.

Doch der damalige Freudentaumel war nicht mit dem zu vergleichen gewesen, als ein Brief ins Haus geflattert kam, mit der Einladung für dieses Sommercamp. Da war sie quietschend vor Freude durch die helle Diele in ihrem Kindheitshaus gehüpft und ihr Dad hatte sie nur kopfschüttelnd gemustert und war mit einem für ihn unnachvollziehbaren „Mädchen" wieder flüchten gegangen. Dann hatte sie eine gefühlte Ewigkeit gebraucht, bis sie ihre Eltern davon überzeugt hatte, sie fahren zu lassen.

Kein langweiliger Strandurlaub an der französischen Riviera oder Klettertouren in den italienischen Alpen von denen sie noch wochenlang schmerzende Füße hatte. Aber wochenlanges Bitten, Betteln und alles was ihr noch einfiel hatte schließlich doch geholfen, genau wie die Versprechungen einen entsprechend guten Schulabschluss hinzulegen. Das war ihr dann auch gelungen, aber war leider noch lange nicht das Ende vom Lied gewesen, das ihre Eltern, vor allem ihre Mutter, mit Nachdruck gesungen hatten. Lern was gescheites, geh studieren, hör auf im Stall herumzuhängen, tu was, du könntest so viel erreichen. Je mehr geredet wurde, desto mehr hatte Maila die Lust auf die Zukunft verloren. Jahrelang war ihr das Ende der Schule wie ein Anfang vom wirklichen Leben vorgekommen und jetzt sollte das alles nicht besser werden? Universitäten oder Hochschulen anstatt ihrem nervigen Schweizer Internat, das sie besuchen ‚durfte' weil ihre Eltern so oft beruflich unterwegs waren. Ihr Vater, ein Dokumentarfilmer, war schon an den spektakulärsten Orten gewesen, und als sie noch kleiner war, und auch in den Ferien, hatte sie ihn öfters begleitet. Ihre Mutter war oft mit dabei auf seinen Reisen, ihr war es völlig egal von wo sie ihren neuen Bestseller schrieb.

Manchmal wünschte sich Maila sie hätte ganz gewöhnliche Eltern, vielleicht einen in irgendeiner Abteilung in irgendeiner Firma arbeitenden Vater und vielleicht eine Mutter, die Grundschullehrerin oder irgendwas Stinknormales war. Dann wären vielleicht die Anforderungen an sie nicht so hoch gewesen. Was sie machte, war ihrem Vater egal. Ihr Talent mit der Kamera war ungefähr so groß wie das von Attila, wenn man dem Schimmel eine Kamera umhängen würde. Da blieb ihr ja die freie Wahl. Aber weder Jura, Medizin oder Betriebswirtschaft in irgendeiner Form interessierten sie nicht die Bohne. Und das waren die Favoriten ihrer Mutter, so lange Maila nicht auch schreiben wollte. Denn dann sollte sie selbstverständlich dafür irgendwas tun. Die unzähligen Gespräche waren alle gleich ausgegangen, Maila war frustriert in den Stall gegangen und ihre Mutter war sich mit Wörtern austoben gegangen. Maila wollte nun einmal reiten. Fertig aus.

Hufspuren im SandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt