Der Gongschlag, der Maila viel zu früh aus ihrer Traumwelt holte, sollte verboten werden. Aus dem Lautsprecher über der Tür erklang ein weiterer Ton, den man mühelos als Anfangston für irgendeinen Schamanengesang verwenden könnte. Maila seufzte leise und schälte sich aus ihrer Bettdecke, während den Geräuschen nach auch so langsam das ganze Haus wach wurde. Sie liebte es von der Sonne aufgeweckt zu werden oder von dem Geruch nach Kaffee und Frühstück. Aber das hier? Das würde der erste Punkt auf der Liste an Dingen die sie nicht vermissen würde, werden. Wind pfiff um die Hausecken, so wie er es schon die ganze Nacht getan hatte. Anfangs fand sie das sehr gewöhnungsbedürftig, aber dann hatte ihr das gleichmäßige Rauschen der Bäume immer mehr gefallen. Und auch jetzt konnte sie sich für die im Wind wogenden Gipfel des kleinen Wäldchens begeistern, als sie den Blümchenvorhang zur Seite schob und die Sonne herein ließ.
Mit einem Bein in der engen Reithose durch die Gegend hüpfend, damit sie ihr Gleichgewicht hielt, während sie die Zahnbürste zwischen den Zähnen festklemmte, vermisste sie ihre Mitbewohnerin aus dem Internat. Tammy hatte dann immer angefangen, Maila auszulachen, wenn sie wieder wie ein Clown durchs Zimmer gesprungen war. Egal, keine Zeit um in Erinnerungen zu schwelgen, sie war eh schon wieder zu spät dran. Ihre halbnassen Haare schnell noch irgendwie zusammendrehend, angelte sie nach dem zweiten Sneakers. Einen Tag hier und schon all ihre Sachen im ganzen Zimmer verteilt, als hätte sie eine Bombe gezündet.
Zimmertüren knallten auf und zu und Füße trampelten die Holztreppe rauf und runter, als Maila sich aus ihrem Zimmer wagte und dem Geruch von verbranntem Toast folgte. Etliche benutzte Bestecke lagen schon verlassen auf den aneinandergeschobenen Holztischen. Personengrüppchen und einzelne saßen quer durch den großen, lichtdurchfluteten Raum verteilt. Maila entdeckte noch einen kleinen Ecktisch, den sie gleich für sich eroberte und legte ihre Kapuzenjacke auf die Sitzbank. Mit einem voll beladenen Teller erntete sie abschätzende Blicke, die gleich noch an ihrer kleinen, zierlichen Person hinunterwanderten. Ja, sie war ein Zwerg und ja, sie hatte trotzdem Hunger.
„Hi", zog sich jemand einen Stuhl vom Tisch weg. Maila brummte irgendwas in ihren Kaffee und wendete sich wieder ihrem Käsebrötchen zu. Gesellschaft am frühen Morgen wurde überbewertet, fand sie.
„Hey", gesellte sich noch eine weitere Person dazu, „ich bin Valerie, und du?"
Ein genervtes Stöhnen unterdrückend, beendete sie ihr Rendezvous mit dem Brötchen und wandte sich der ungeliebten Menschheit zu.
„Hey, Valerie.", sie sah auf und musterte aus dem Augenwinkel das dunkelblonde, nicht ganz vorteilhaft gebaute Mädchen, mit den Designerklamotten, „ich bin Maila"
„Freut mich.", wurde sie freundlich angelächelt, „von wo kommst du?"
„Finnland. Naja, so halb. Mein Vater ist Deutscher", Maila bestrich die andere Hälfte ihres Brötchens mit einer dicken Schicht Nutella.
„Cool", Valerie lächelte sie an, „ich komme aus England und Simon, mein Freund auch"
Ja, sehr schön. Maila warf einen recht uninteressierten Blick zu dem blassen, dunkelhaarigen Jungen rüber. Irgendwas passte ihr an den zwei nicht so ganz. Aber abweisen wollte Maila sie auch nicht, weil sie den Sommer ja auch nicht allein verbringen wollte.
„Okay", erwiderte sie dann, „und wie läuft das hier jetzt ab? Ich nehme an, du bist nicht zum ersten Mal hier". Das würde nicht passen. Valerie bewegte sich hier mit einer Souveränität, die alles andere unerklärlich machen würde.
„Nein, das zweite Mal. Wir treffen uns alle in zehn Minuten in dem Aufenthaltsraum da drüben rechts. Letzten Sommer war es zumindest so, dass wir Gruppeneinteilungen hatten, meistens zu zweit. Damit man auch einfach außerhalb der Reitstunden immer noch jemanden hat, mit dem man mal zusammen trainieren kann. Oh, und letztes Jahr gab es auch eine Schnitzeljagd und solche Spielereien, die hat man dann auch zu zweit gemeistert", erklärte ihr Valerie bereitwillig.
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Hufspuren im Sand
Genç KurguEs ist der erste Sommer von vielen, den Maila nur mit Pferden verbringen möchte. Als sie durch ihren Sieg in der Juniorentour eine Einladung für einen dreimonatigen Trainingsaufenthalt im internationalen Ausbildungszentrum eines bekannten Vielseiti...