21 "Von Chiquitita, Vermisstenanzeigen und dem cool sein"

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"Weißt du, ich wollte einmal in meinem Leben wirklich dazu gehören. Ein Teil von einer Gruppe sein, verstanden werden, bei den 'coolen' Leuten dabei sein. Und das war der größte Fehler, den ich je hätte machen können. Aber er hat mir so viel beigebracht, was ich sonst nicht gewusst hätte. Hat mich nicht zu dem gemacht, was ich heute bin", Elissa hatte einfach angefangen in die Stille des kleinen Raumes unter dem Dach hinein zu reden, während über ihnen stetig der Regen auf das Dach trommelte.

Maila sah kurz auf von ihrem Kokon aus Bettdecke von ihrem Bett am Fenster, wo sie den Regentropfen beim Wettrennen die glatte Scheibe entlang zugeschaut hatte. Wie Tropfen nach Tropfen oben anfing, das kühle Glas hinunter zu rutschen, nur um früher oder später in der Spur seiner Vorgänger zu enden, und um schneller zu seinem Ende in der Pfütze am Fensterbrett zu gelangen. Nur wenige zogen eine unabhängige, langsamere Spur, die den Weg für darauffolgende freimachte. Manche stoppten aber auch einfach inmitten der Scheibe, kamen nicht mehr weiter. Maila fragte sich, wer jetzt erfolgreicher war. Die, jene das Ziel unten erreichten und nichts mehr waren, oder die Wasserperlen, die perlengleich an der Scheibe für sich standen. Allein.

"Valerie ist genauso auf mich zugegangen, wie sie auf dich zukam, am ersten Tag dieses Sommers. Nur habe ich nicht das falsche Gesicht gesehen, ich sah nur das erste Lächeln, das mir jemand an diesem fremden Tag entgegenbrachte, die Freundlichkeit, einen Platz in einer Gruppe am Tisch, die sich gut zu unterhalten schien. Das war neu für mich. Ich war immer "the odd one out", hatte zwar Freundschaften, aber die waren immer flüchtig, wie eine Nuance in der Luft, die aber im nächsten Atemzug schon wieder verschwunden ist, eine Art Melancholie zurücklässt, die einem klar macht, dass sich diese Duftwolke nicht einfangen lässt. Dass sie kommt und geht mit dem Wind. Auf die Idee, eine Freikarte in diesen Kreis, zu hinterfragen, bin ich nicht gekommen. Ich habe es genossen über völlig sinnlose Dinge Unterhaltungen zu führen, dachte, das sei das was all die Filme und Bücher einem vorspielen."

Maila wandte sich Elissa zu, die auf dem anderen Bett lang ausgesteckt lag, ihr Gesicht der Lampe abgewandt, so dass Maila nur eine Art Scherenschnitt ihres Profils sah. Die kalte Glasscheibe im Rücken, beobachte sie den sich bewegenden Schatten an der Wand, als Elissa weitersprach.

"Sie hatten alle möglichen dummen Regeln, gaben sich gegenseitig meist degradierende Spitznamen, die einfach nur verachtend waren. Valerie ist eine Meisterin dieser Spitzen, die du erst spürst, wenn sich die Harpune in deinem Fleisch verankert hat. Ich war kurz davor das gesamte Vertrauen in mich und Dorian zu verlieren. Bis sie dann zu weit gegangen sind, und Andrés mich eines Abends am Strand gefunden hat, dem Ganzen ein Ende setzend. Was glaubst du, was ich trotzdem noch versucht habe, mich an diese Scheinwelt zu klammern, bis er mir immer wieder die bittere Realität aufgezeigt hat. Ich wollte ihn hassen, so wie Valerie ihn versucht hat, als die Inkarnation alles Übels darzustellen, als sie ihn nicht haben konnte, obwohl sie ja eigentlich Simon hatte. Aber es ist einem nicht möglich, jemanden zu hassen, der absolut fair und ohne Emotionen auf alle deine Angriffe eingeht. Man kommt sich irgendwann vor, wie ein kleines Kind, das sich nach jedem Trotzanfall nur wieder eine Rüge einholt."

Der einzige Gedanke, der Maila durch den Kopf schoss, war "Verdammt".

"Ich weiß nicht, was ihr vorhin noch alles in den Raum geschmissen habt, an nutzlosem Gerümpel mit scharfen Kanten, nachdem wir wieder unten im Haus waren. Ich weiß nicht, wer sich mehr geschnitten hat, mehr verletzt davon ist. Vielleicht waren auch ein paar Dinge berechtigt, was weiß ich schon, aber dafür, dass einem der gutherzigsten Menschen, der sich fast immer unter Kontrolle hat, so die Hutschnur hochgeht, muss schon was dabei gewesen sein. Genauso andersherum, ich weiß von Thoma über Lars Jeans Anschuldigungen, die dich vergleichsweise kalt gelassen haben. Kein Vergleich zu vorher."

Hufspuren im SandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt