7. Fliegen

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Das Wochenende war eine reine Tortur für Tom. Er saß es leidend ab und wartete auf Montag. Noch nie hatte er sich so sehr auf das Ende des Wochenendes gefreut wie jetzt. Er saß am Fenster und starrte hinaus, blickte auf sein Buch, legte es aber schon bald wieder beiseite.

Konzentration war eine Sache der Unmöglichkeit. Er versuchte es mit schlafen, doch irgendwann kann man auch dies nicht mehr. Dann fing er an, die Sekunden zu zählen, wie sie langsam und schleichend zu Minuten und schließlich zu Stunden wurden.

Am Montag war er einer der Ersten in der Schule. Eine ungewöhnliche Situation für ihn, kam er doch für gewöhnlich erst ein paar Minuten vor dem Klingeln. "Montag", flüsterte er kopfschüttelnd und seufzte.

Er lehnte an dem Geländer, welches die Brüstung der Treppe darstellte, die zur Eingangstür führte.

Endlich kam sie. Sie folgte dem großen Strom und ging beinahe unter in den lachenden Schülerscharen. Doch er konnte sie schon von weitem erkennen.

Als das Mädchen ihn erblickte schaute sie verwundert zu ihm herüber, da sie nicht damit gerechnet hatte, dass er auf sie warten würde. Allerdings entschloss sie sich, zu ihm zu gehen. Ohne etwas zu sagen, schaute sie Tom erwartungsvoll an.

"Hi", sagte er und ratterte die Begrüßungsfloskel mehr aus Gewohnheit herunter, als dass er den großen Sinn dahinter verstand. "Eigentlich wollte ich dich fragen, wieso ich dich nicht schon viel früher kannte." Für jeden anderen wäre so eine Frage tabu. Man fragte nicht nach so etwas und genau dies wurde Tom auch in dem Moment klar, als die Worte seinen Mund verließen.

Jedoch lächelte sie nur leicht bevor sie antwortete: "Weil ich es nicht wollte!"

"Und wieso möchtest du es jetzt?" Dumme Frage, ganz dumme Frage, meldete sich etwas in seinem Kopf zu Wort, doch er ignorierte es so gut wie möglich.

"Weil du so bist wie ich!", sagte sie schlicht.

Tom schaute sie verwirrt an, dann schüttelte er fast energisch den Kopf. "Nein, du bist nicht wie ich. Ich lebe mein Leben in Büchern. Ich habe keine Träume wie du. Ich bin schüchtern. Und du, du schweigst und wenn du redest bist du so direkt, wie ich es niemals sein könnte. Du sagst Dinge, die ich nie verstehen werde."

Anstatt auf seine beinahe feurige Rede einzugehen, lächelte sie nur noch einmal und sagte: "Denke noch einmal drüber nach!" Sie drehte sich um und ging - einfach so, ohne ein weiteres Wort.

Tom schaute ihr mit einer Mischung aus Verwunderung und Faszination hinterher. Dieses Mädchen würde seine Gedanken nie wieder in Ruhe lassen, dachte er und versuchte sich an jedes Detail an ihr zu erinnern.

In diesem Moment fiel ihm auf, dass er nichts wusste. Selbst ihre Augenfarbe war ihm entfallen.

SchneeflockenweißWo Geschichten leben. Entdecke jetzt